Der zukünftige Kanzlerkandidat der SPD legt sein Konzept für die Reform der Eurozone vor – oder die EU als Koalition der Verlierer

Veröffentlicht:
von

In der Welt erschien am 4. 6. ein Gastbeitrag von Sigmar Gabriel, des deutschen Wirtschaftsministers, und seines französischen Kollegen Emmanuel Macron.[1] Freie Welt hat bereits darüber berichtet. Beide Politiker setzen sich hier für eine europäische Sozial- und Fiskalunion ein. Das Prinzip ist relativ einfach. Es soll ein gemeinsames Budget für die Eurozone geschaffen werden, das den wirtschaftlich leistungsschwachen Ländern in der Eurozone zeitweilig oder eben auch dauerhaft finanzielle Unterstützung gewährt. Aus solchen Mitteln könnten etwa Ausgaben für Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger, aber vielleicht auch für Investitionen finanziert werden. Im Gegenzug würde die EU für die Eurozone dann freilich einen Korridor für die Sozial- und Steuerpolitik der Einzelstaaten festlegen. Betroffen wären etwa die Höhe des Mindestlohns oder auch die Steuersätze. Die Sprengkraft dieses Vorschlages darf man nicht unterschätzen. Die Souveränität der Nationalstaaten würde drastisch eingeschränkt, nicht zuletzt durch die Einführung einer eigenen Steuerhoheit der EU respektive der Eurozone. Zwar würde diese zunächst wohl nur über relativ begrenzte Mittel, etwa aus einer Finanztransaktionssteuer und aus Anteilen der Körperschaftssteuer verfügen, aber das System ist natürlich so angelegt, daß mit der Zeit Brüssel immer mehr Geld und die Nationalstaaten immer weniger Geld aus Steuern erhalten würden. Für Deutschland wäre ein solches Arrangement besonders riskant, weil es vermutlich dann auch offiziell, nicht nur implizit über die Rettungsschirme und die von der EZB verordnete finanzielle Repression auf Dauer die Defizitländer in der Eurozone finanzieren müßte und zwar mit erheblichen Summen, es sei denn der zweite Teil des Vorschlages, eine Harmonisierung der Sozial – und Steuerpolitik würde umgesetzt und würde wirklich dazu beitragen, daß die Mittelmeerländer und Frankreich aus eigener Kraft wieder prosperieren und zwar so weit, daß sie die Wirtschaftskraft der nördlichen Länder annähernd erreichen. Indes, warum sollte in Europa das funktionieren, was in Süditalien trotz enormer Förderung durch Norditalien und die EU über Jahrzehnte hinweg auch keinen wirklichen Erfolg gebracht hat? Und in den neuen Bundesländern übrigens in den letzten 25 Jahren auch nur in sehr eingeschränktem Maße. Zahlreiche Experten haben schon dargelegt, daß ein Erfolg hier extrem unwahrscheinlich ist, und man am Ende zwar Abhängigkeiten schafft und immer mehr Geld wird aufwenden müssen, aber ohne die gewünschte wirtschaftliche Prosperität zu erzielen. Es mag hier reichen auf ein Arbeitspapier von Wolfgang Streeck und Lea Elsässer zu verweisen.[2]

Im übrigen, der Widerstand gegen solche Pläne wird immens sein. Länder wie die Slowakei und Irland werden sich vermutlich nicht zwingen lassen, ihre niedrigen Körperschaftssteuern aufzugeben, während umgekehrt andere Länder ihre gemessen an der jeweiligen Wirtschaftskraft zu hohen Sozialausgaben nicht bereit sein werden zurückzufahren, oder ihren Arbeitsmarkt ausreichend zu flexibilisieren und zwar insbesondere dann nicht, wenn Aussicht auf weitere finanzielle Unterstützung aus Brüssel besteht. Daß selbst kleine und sehr schwache Länder wie Griechenland von Brüssel auf Grund der inneren Mechanik des Euro, die ein Ausscheiden eines Landes aus der Währungsunion aus politischen Gründen nahezu unmöglich macht, kaum zur Räson gebracht werden können, um eine halbwegs vernünftige Politik zu erzwingen, sieht man ja in diesen Tagen nur allzu deutlich.

Damit soll nicht gesagt werden, daß es Macron mit seinen Vorschlägen nicht ehrlich meint. Macron ist in der Tat ein Reformer, der überzeugt ist, daß er nur mit Hilfe Brüssels und Berlins in Frankreich überhaupt noch irgendwelche Reformen durchsetzen kann. Im Grund genommen steht er in seiner Partei und in seinem Land auf der Verliererseite. In Frankreich gibt es keine Mehrheiten für die eigentlich vernünftige Politik, die er umsetzen will, also muss der Druck von außen aus Brüssel kommen. Aber im Falle Gabriels sieht es eigentlich ähnlich aus. Gabriel ist der Vorsitzende einer Partei, die auf Dauer in der 25 %-Falle steckt. Für die von der SPD gewünschte Wirtschaftspolitik, die ganz auf immer höhere Steuerlasten für den Mittelstand setzt und im übrigen keynesianisch, etatistisch, verschuldungs- und inflationsfreudig ist, gibt es eigentlich in Deutschland keine Mehrheiten mehr, zumal auch die Grünen eher in anderen Bereichen (Positive Diskriminierung von Minderheiten jeder Art, Frauenquoten, Förderung der kulturellen Diversität Deutschlands, PC-Sprachverbote, egalisierende Schulpolitik) linke Akzente setzen wollen, weniger im Bereich der Steuer- und Sozialpolitik, da dies einen Teil ihrer Wähler doch verschrecken könnte. Gabriel braucht also ebenfalls Rückenwind für seine Politik von außen, aus Brüssel und aus Paris, wenn er schon in Deutschland dafür keine Mehrheiten gewinnen kann und damit rechnen muß, 2017 durch ein schwarz-grünes Bündnis ausmanövriert zu werden. Insoweit ist der Vorschlag von Gabriel parteitaktisch klug angelegt. Auf spezifisch deutsche Interessen wird dabei allerdings wenig Rücksicht genommen, denn Gabriel sollte wissen, daß weder Brüssel noch Berlin dazu in der Lage (und im ersten Fall auch nicht gewillt) sind, Deutschlands Partner zur Einhaltung irgendwelcher Vereinbarungen zu zwingen, das gilt besonders für die größeren Länder wie Frankreich oder Italien. Das Schicksal des Maastricht-Vertrages hat das ja sehr deutlich gezeigt. Und solange Männer wie der famose Herr Juncker, der Sepp Blatter der EU, in Brüssel an der Spitze stehen, wird dort ohnehin jedem Sünder, der sich nicht an Verträge hält, großzügig vergeben werden. Die Zahlungsverpflichtungen hingegen, die Deutschland mit dieser neuen Vereinbarung einginge, würden auch bestehen bleiben, wenn es dafür keine Gegenleistungen gibt, das ist ganz klar. Dazu kommt ein weiterer Punkt. Eine europäische Sozialunion, eine Vorstufe für einen gemeinsamen europäischen Sozialstaat könnte sich für Deutschland vielleicht lohnen, wenn Länder mit günstiger demographischer Entwicklung bereit wären, Deutschland einen Teil seiner Rentenlasten abzunehmen. Aber wer glaubt, daß das jemals geschieht, könnte genauso gut annehmen, daß die Erde eine Scheibe ist.

Das alles ist allerdings Gabriel ganz eindeutig gleichgültig. Er will über europäische Vereinbarungen sicherstellen, daß Deutschland auch in Zukunft nur sozialdemokratisch regiert werden kann (zur Zeit diktiert die SPD ja weitgehend der CDU die Sozialpolitik), dafür ist er bereit, jeden Preis zu zahlen. Da in Brüssel demokratische Auseinandersetzungen und Wahlen faktisch bedeutungslos sind, hat er richtig erkannt, dass der Umweg über Europa die Stimmenverluste der SPD in Deutschland kompensieren könnte. Sollte Gabriel mit seinen europäischen Plänen doch durchkommen, wird er freilich den Untergang des deutschen Sozialstaates wegen der wachsenden Lasten der Transferzahlungen an Brüssel wohl eher noch beschleunigen, aber das nimmt er als europäischer Patriot in Kauf, zumal diese Konsequenzen vermutlich erst in 10 bis 15 Jahren vollständig sichtbar sein werden. Der Karlspreis ist ihm dafür sicher. Freilich liefert er mit solchen Plänen auch einem Herrn Lindner von der FDP – falls dieser den Mut hat einmal ein wenig Euro-kritisch aufzutreten - und vielleicht sogar der CDU deutliche Angriffspunkte und eines Tages vielleicht auch der AfD, sollte diese sich irgendwann wieder zusammenraufen.

Freilich kann man sich kaum vorstellen, daß die kleineren europäischen Ländern nördlich des Mittelmeerraumes sich auf dieses Konstrukt einlassen werden. Auf sie müssen wir als Deutsche vor allem unsere Hoffnung setzen, denn Europapolitik ist kein Problembereich, den man in Deutschland über Wahlen stärker beeinflussen kann. Er ist der demokratischen Mitsprache weitgehend entzogen, das war in der Vergangenheit so, es ist heute so und es wird immer so bleiben. Darauf setzt auch Gabriel, der früher schon einmal als enorm durchsetzungsstarker und phantasievoller Popbeauftragter seiner Partei gezeigt hat, daß er über große politische Talente verfügt. Ob er auch diesmal zumindest taktisch aus der Sicht seiner Partei auf das richtige Pferd gesetzt hat, wird sich zeigen.

 

 

[1] www.welt.de/wirtschaft/article141919414/Warum-Europa-zu-einer-Sozialunion-werden-muss.html

[2] www.mpifg.de/pu/mpifg_dp/dp14-17.pdf: MPIfG Discussion Paper 14/17:Monetary Disunion, The Domestic Politics of Euroland Wolfgang Streeck and Lea Elsässer

 

Für die Inhalte der Blogs und Kolumnen sind die jeweiligen Blogger verantwortlich. Die Beiträge der Blogger und Gastautoren geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion oder des Herausgebers wieder.

Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte
unterstützen Sie mit einer Spende unsere
unabhängige Berichterstattung.

Abonnieren Sie jetzt hier unseren Newsletter: Newsletter

Kommentare zum Artikel

Bitte beachten Sie beim Verfassen eines Kommentars die Regeln höflicher Kommunikation.

Gravatar: Hans von Atzigen

Grins:
Das mit dem EU- Imperial- Nationalismus ist voll Richtig.
Ansonsten:
Schlicht so gut wie gar nichts aus dem Untergang des
roten Imperiums gelernt.
Wenn die pro Kopf Produktion rückläufig ist gibt
es zwingend auch immer weniger zum verteilen.
Ist denn das sooo schwer zum schnallen.
Immerhien die Roten haben es eingesehen
und den Eigenen Verein geschleift und
das immerhien mit einem denn doch eher bescheidenen Blutzoll.
Ob das mit dem Blau- Sterne Verein auch soo glimpflich
ausgeht???
Bei der bornierten Verbissenheit???
Entschuldigung.
Da habe ich denn doch erhebliche Zweifel.
Freundliche Grüsse

Gravatar: Jürg Rückert

Da wird der bisherige Weg in der EU doch nur folgerichtig fortgesetzt, da ist keine neue Idee, da ist fantasielose Vollstreckung sozialistischer Ideen: jedem nach seinen Bedürfnissen, jeder nach seinen Fähigkeiten.
Wenn wir dann alle Griechenland sind und vollgestopft mit "Flüchtlingen", gebiert sich die neue wunderbare Welt aus Schutt und Asche, ja, das sozialistische Jerusalem steigt vom Himmel hernieder und es gibt nur noch Glück!

Von den Pyrenäen bis nach Westfriesland erstreckt sich demnächst ein Kalifat. DAS ist keine Fantasie mehr sondern demographische Realität. Da ist nichts mehr zu retten!
Statt immer neue Verbindungen zu diesen verlorenen Ländern zu schaffen sollten wir die Ketten durchtrennen und die Türen schließen!

Schreiben Sie einen Kommentar


(erforderlich)

Zum Anfang