Der Vorzug der Nische

Integration, wie die ZEIT sie versteht -  ist Deniz Baspinar die türkische Eva Herman?

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Die Kölner Psychotherapeutin und regelmäßige ZEIT-"Kölümnistin" Deniz Baspinar hat am 1.12.2010 wieder einmal zugeschlagen. Sie konstatiert auf ZEIT online, der "türkische Macho" sei eigentlich ein Muttersöhnchen, existiere nur als "Mythos", de facto haben in der türkischen Familie nur die Frauen das Sagen: Null Patriarchat. "Das machtvolle Wirken der Frauen bleibt [...] im Geheimen." Diese Argumentation kennen wir bestens aus der deutschen Debatte der sechziger und siebziger Jahre, als jede Emanzipation mit dem Argument erstickt werden sollte, die Männer hätten zwar die Macht über die Welt, aber die Frauen hätten die Macht über die Männer. Wie schön: Frau Baspinar verschafft uns ein Déja vu.

Zudem: Dass türkische Männer unter dem klassischen Rollenbild leiden könnten, ist eine Binsenwahrheit. Natürlich erpressen die Frauen ihre Männer dafür, dass sie nur für Küche und Kinder zuständig sind und bleiben sollen und erwarten dafür von ihnen Rundum-Versorgung, Geld und Prestige. Das ist auch eine Art von Gegenseitigkeit. Aber wohl eher keine, die wir wollen. Ob die resultierenden beiderseitigen Neurosen bei der Durchsetzung modernerer Rollenbilder allerdings nicht bloß durch andere Neurosen bei den Geschlechtern ersetzt werden, kann niemand versprechen; es ist wahrscheinlich, ja sogar unvermeidlich, dass es so kommt. Die heile Welt ist noch nicht erfunden. Aber Neurosen sind auch nicht der Punkt bei der Diskussion, die Frau Baspinar hier verharmlost, indem sie den Mann nun ebenso übertrieben zum Opfer stilisiert, wie andere dies mit der Frau getan haben, und damit dazu beiträgt, gesellschaftliche Verhältnisse zu zementierten.

Ihr Vorgehen ist nicht ganz zufällig. Sieht man sich ihre Kolumnen einmal aufmerksam durch, so fällt auf, dass Frau Baspinar auch sonst außerordentlich, sagen wir, differenziert. Ihre Spezialität ist es, genau das Gegenteil des klaren Augenscheins zu behaupten. Für eine Psychotherapie mag das hingehen, in der politischen Diskussion wird das bald problematisch. Die Realität existiert für sie gar nicht, es ist immer irgendwie ganz anders.

So sieht sie zum Beispiel in der durchaus von der Realität bestätigten Vermutung, "orientalische Frauen" bzw. "Migrantinnen aus dem islamischen Raum" seien häufig benachteiligt, einen "eurozentristischen" Blick (Kolumne vom 25.11.2009). Mit einem anatolischen Blick ist also alles okay. Konsequenterweise findet sie Zwangsheiraten gar nicht so schlimm, es seien ja nur "arrangierte Ehen", die es anderswo auch gebe. Dass Arrangements und Zwang nirgendwo akzeptabel sind, kommt ihr nicht in den Sinn. Das Kopftuch, dessen Problematik ja gerade auch in der Türkei selbst bekannt ist, hat für sie nicht das Geringste mit Unterdrückung oder archaischer islamischer Ethik zu tun (3.9.2009). Der Begriff des "Ehrenmords" sollte ihrer Meinung nach in Frage gestellt werden: dahinter stehe eine "komplexe familiäre und psychische Dynamik" (5.9.2009). Hat das jemand bezweifelt? Wo ist der Widerspruch zur Motivation aus "Ehre"? Die Ergebnisse der sogenannten Pfeiffer-Studie, die Gewalttätigkeit muslimischer männlicher Jugendlicher wachse mit deren zunehmender Bindung an den Islam, hält sie für "monokausal" und "hysterisch" (8.6.2010). Aber auch Pfeiffer hat nie eine Monokausalität behauptet.

Deniz Baspinar hat sich ganz offensichtlich eine Nische erkämpft, indem sie regelmäßig Gegenpositionen zu denen anderer bekannter türkischstämmiger Publizistinnen einnimmt, nämlich Seyran Ates und Necla Kelek. Es ist zwar gut, dass die Sichtweise Frau Baspinars ein Gegengewicht zu den Meinungen der beiden genannten Autorinnen bildet, dass innerhalb der Community (und nicht nur über sie) ein Diskurs auf höherem Niveau und öffentlich stattfindet. Aber Frau Baspinar riskiert, mit ihrem durchsichtigen Konzept des Kontra um jeden Preis, das sich als besonders verständnisvoll geriert, letztlich aber nur stockkonservativ ist, die Integration und Modernisierung islamischer Auffassungen zu torpedieren. Sie differenziert solange, bis der fragliche Gegenstand zu Tode differenziert ist. Häufig verharmlost sie damit auch, wie gezeigt wurde, in unzulässiger Weise.

Eva Herman rückt vielleicht manche überzogenen Auswüchse des westlichen Feminismus zurecht, was eine ganz andere Ausgangsposition ist als die von Deniz Baspinar, die schon bremst, bevor der Zug der Emanzipation der türkischen Frauen überhaupt Fahrt bekommen hat. Sie kann es sich leisten: Im Westen haben Andere die Freiheit erkämpft, die ihr zugute kommt. Man sollte auf jeden Fall vorsichtig sein, ihre tendenziösen Aussagen für bare Münze zu nehmen, ohne sie zuvor genau zu prüfen. Diese notwendige Quellenkritik zu leisten sollte hier versucht werden. Zu prüfen sind natürlich auch die Aussagen von Frau Ates und Frau Kelek, die aber für sich beanspruchen können, auf besonders großen Widerstand getroffen zu sein und insofern eher schon die Esse der Kritik bestanden zu haben als es die doch etwas billigen und chicen Thesen Deniz Baspinars je erleben werden.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Klono

bäbel, ich werde gerne Ihre Kommentare lesen, wenn diese in der deutschen Sprache geschrieben worden wären. Schauen Sie, ob Sie auf der Tastatur links-unten eine "Schift"-Taste haben? Wenn vorhanden, dann lassen Sie sich von einem Mann beraten, wozu diese dient.

Gravatar: Adorján F. Kovács

@bärbel
Frau Baspinar ist persönlich wahrscheinlich völlig mit den "abendländischen Werten" (die ich als solche gar nicht angesprochen habe) verschmolzen. Umsomehr wundert es mich, dass sie Dinge postuliert wie ich sie im 4. Absatz meines Beitrags referiert habe. Da steht sie aber nicht allein, da haben Sie leider recht. Und genau das nenne ich chic, wenn man von einer Freiheit profitiert, die bestimmte Voraussetzungen hat, für die im übrigen auch Leute gekämpft und gelitten haben, und diese jetzt unterläuft. Aber gut, dafür gibt es eben diese Diskussionen.

Gravatar: bärbel, backlasherin

ah, da haben wir es! das groß postulierte zurückfallen "hinter in unseren breiten erreichte gesellschaftliche standards". danke für die bescheinigung!

schade nur, dass sie als weiser wächter an der pforte des abendlandes ausgerechnet frau baspinar nicht reinlassen wollen in ihren wertekanon.

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