Der Unterschied zwischen Plausibilität und Zwangsläufigkeit

Wenn man sich Gedanken über die Zukunft unseres Planeten machen möchte, ist die Frage nach der weiteren Evolution der Biosphäre sicher eine der interessantesten.

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Wenn man sich Gedanken über die Zukunft unseres Planeten machen möchte, ist die Frage nach der weiteren Evolution der Biosphäre sicher eine der interessantesten. Man weiß aus allerlei Befunden einiges über die Vergangenheit, man kann mittels der Prinzipien der Evolution das Werden und Vergehen der Arten im Verlauf von Jahrmillionen sehr plausibel erklären. Warum also nicht einen Blick in die Zukunft zu wagen? Vor einer geraumen Weile sendete das Fernsehen eine entsprechende, populärwissenschaftlich aufgemachte Dokumentation. Die befragten Forscher trafen darin bemerkenswerte Aussagen. Plausibel erschien ihnen beispielsweise das baldige Aussterben der Säugetiere, die heute doch eigentlich als dominierende Klasse im Tierreich angesehen werden. Die Begründung der Wissenschaftler war ebenso einfach wie nachvollziehbar: Säugetiere haben eine vergleichsweise niedrige Vermehrungsrate und es ist ein langer Weg voller Risiken, bis ihre Nachkommen erstens eigenständig überleben und sich zweitens ihrerseits fortpflanzen können. Die teilweise erhebliche Spezialisierung auf bestimmte Lebensräume wird dadurch dann zum Nachteil, wenn diese sich schneller ändern, als die evolutionäre Anpassung Schritt halten kann. Entsprechend wurden die Nagetiere als die Säugetierordnung mit der höchsten Zahl an Nachkommen und der am wenigsten ausgeprägten Spezialisierung als diejenigen angesehen, die ihre Nachbarn im Stammbaum der Evolution am ehesten überleben könnten. Angesichts dieser Argumentation stellt sich natürlich die Frage, warum denn die Säugetiere überhaupt jemals ihre heutige Stellung erreichen konnten. Die Antwort ist ganz ähnlich: Durch einen langen Zeitraum des Lernens für den Nachwuchs und den Aufbau komplexer sozialer Beziehungen konnten Gruppen entstehen, in denen die Fähigkeiten der Individuen sich ergänzten, um das Überleben der Gruppe zu sichern. Überlegene kognitive Fähigkeiten hängen damit zusammen, die wiederum die Spezialisierung und die optimale Nutzung der Nahrungsquellen eines bestimmten Lebensraum beförderten. Die Annahme einer langfristigen Fortsetzung der hohen Zeit der Säugetiere ist damit ebenso plausibel, wie die von deren raschem Ende.

Die Evolutionstheorie ist in vielerlei Hinsicht ein Einschnitt in der kulturellen Entwicklung der Menschheit. Nicht nur machte sie einen Schöpfer als welterklärenden Faktor unnötig, auch verbannte sie den Laplaceschen Dämon endgültig aus der Wissenschaft. Es ist eben nicht möglich, aus der genauen Kenntnis der Vergangenheit eines Systems und der auf es und in ihm wirkenden Kräfte auf die Zukunft zu schließen. Unsere Unwissenheit über die Zukunft ist auch nicht vorwiegend in einer mangelnden Kenntnis der wirkenden Faktoren begründet, sondern in der Vielfalt der potentiellen Wechselwirkungen dieser Faktoren untereinander.  Da wäre die Plattentektonik, die die Verteilung von Land und Meer, den Meeresspiegel und die Geographie bestimmt. Da wäre die Zusammensetzung der Atmosphäre und ihre Dichte, auf die nicht nur das Leben selbst, sondern auch Vulkanausbrüche erheblichen Einfluß nehmen können. Da gibt es die Gezeiten, die zumindest kleinräumig erhebliche Gestaltungskraft aufweisen und natürlich die allgegenwärtige Erosion, die Materialien umverteilt und dabei die Form der Landschaften stetig verändert. Da wären Klima, Witterung und Wetter und am Ende natürlich vor allem die Art und Weise, wie auf molekularer Ebene gespeicherte Informationen in der DNA sich verändern, anders gelesen und auf dem Weg vom Geno- zum Phänotyp neu interpretiert werden. Diese Auflistung ist bei weitem nicht vollständig. Es gibt immer noch Neues zu finden. Wie die jüngste Veröffentlichung von Henrik Svensmark zeigt, treibt die Erde eben nicht als isoliertes Raumschiff durch das All sondern steht möglicherweise selbst mit Vorgängen außerhalb unseres Sonnensystems in Verbindung.

Man kann also verstehen, wie sich das Auge entwickelt hat. Man kann den Ursprung der Wirbeltiere verstehen und die Durchsetzung eines Bauplans, der vier Gliedmaßen vorsieht. Man kann verstehen, wie sich Fische entwickelt haben, wie Vögel und wie letztendlich auch der Mensch. Weil es bereits geschehen ist. Das ermöglicht die Evolutionstheorie in Verbindung mit der Kenntnis der oben aufgelisteten Faktoren. Aber es ist nicht möglich, daraus eine Aussage über die Zukunft abzuleiten. Die Entwicklung, die bereits stattgefunden hat, war zu jedem Zeitpunkt plausibel. Aber nicht zwangsläufig. Ein Beobachter vor zwei Milliarden Jahren hätte die Bäume nicht vorhersehen können, ein solcher vor 120 Millionen Jahren nicht das Ende der Dinosaurier. Hätte man vor zehn Millionen Jahren den Menschen prognostizieren können? Vielleicht mit einem gigantischen Supercomputer, der alle möglichen Entwicklungswege vorausberechnet. Aber man hätte keine Entscheidung darüber treffen können, wie wahrscheinlich denn die Entwicklung des Menschen ist.

Die Evolutionstheorie ist deswegen wissenschaftstheoretisch so bedeutsam, weil sie den Unterschied zwischen plausibel und zwangsläufig, zwischen möglich und wahrscheinlich, zwischen vorstellbar und determiniert im naturwissenschaftlichen Denken verankert hat. Sie stellt damit in gewisser Hinsicht eine Vollendung des Prozesses der Aufklärung dar. Hinter den die Klimakreationisten, die Alarmisten, wieder zurückfallen.

Man versetze sich in die Rolle eines Politikers. Dem eines Tages eine Gruppe von Wissenschaftlern vorrechnet, eine sehr viel wärmere Welt als heute würde entstehen. Eine Welt, in der bedingt durch diese Erwärmung das Leben, insbesondere der Menschen, sehr viel unbequemer wäre als in der Gegenwart. Es wäre gar die menschliche Kultur insgesamt bedroht – und zahlreiche andere Arten gleich mit. Man könne diese Welt aber sicher vermeiden, würde man nur aufhören, Kohlendioxid zu emittieren. Wie sollte ein Politiker daraufhin handeln?

Wie wir hier bei Science Skeptical immer und immer wieder, in hunderten von Texten beschrieben und begründet haben, sollte sich besagter Politiker daraufhin als aufgeklärter Zeitgenosse erweisen und einfach nichts tun, überhaupt nichts.

Grundsätzlich kann sich das Klima in drei Richtungen entwickeln. Es könnte wärmer werden oder kälter, es könnte auch einfach so bleiben, wie es ist. Wie unserem Politiker die Veröffentlichungen des IPCC deutlich gemacht haben, ist eine Welt, die sich auf Basis anthropogener Einflüsse in katastrophaler Weise erwärmt, plausibel, weil grundsätzlich denkbar. Aber das genügt nicht als Entscheidungsgrundlage.

Das irdische Klimasystem ist nicht minder komplex als die Evolution des menschlichen Lebens. Es ist Teil eines größeren Ganzen, in dem “äußere” Einflüsse auf unterschiedlichen Zeitskalen erhebliche Wirkungen zeigen können. Beispiele hierfür sind die Vorgänge im Erdinneren, die erodierende Kraft der Gezeiten und wohl auch galaktische kosmische Strahlen (Svensmark-Effekt). Hinzu treten “innere”, rückgekoppelte Faktoren, etwa die Zusammensetzung der Erdatmosphäre und die Biosphäre. Von diesen Kräften sind nur sehr wenige unmittelbar durch den Menschen zu beeinflussen, zu nennen wären beispielsweise die Emissionen von Kohlendioxid oder auch die Waldfläche. Schon die Frage der Klimasensitivität, also die Frage, inwieweit sich eine auf Kohlendioxid basierende Erwärmung der unteren Luftschichten durch zusätzliche Wirkungen verstärkt – oder auch nicht – wird nicht nur wissenschaftlich debattiert, sondern liegt außerhalb des menschlichen Zugriffs. Genau wie bei der Evolution der belebten Umwelt, genau wie bei jedem dynamischen, sich in der Zeit verändernden Prozeß ist auch beim Klimasystem die Trennung zwischen der erlebten Vergangenheit und der noch nicht eingetretenen Zukunft entscheidend. Zwar kann man auf Basis des aktuellen Wissens sehr gute Erklärungen dafür anbieten, warum sich bestimmte Parameter, etwa die Temperatur, in den letzten 150 Jahren wie beobachtet und nicht anders entwickelt haben. Man hätte dies aber vor 150 Jahren nicht vorhersehen, sondern nur als eine mögliche plausible Zukunft berechnen können und man kann daraus auch nicht auf den weiteren Ablauf schließen. Denn all die Zufälligkeiten, die die realisierte Vergangenheit ermöglicht haben, werden auch in der Zukunft genau so weiterwirken: zufällig. Die Unmöglichkeit der Klimakatastrophe zu beweisen ist daher nicht notwendig. Einen Beweis für das Nichteintreten einer plausiblen Zukunft führen zu wollen, wäre ebenso unwissenschaftlich, wie das Gegenteil.

Wie unter dem Text “Top 10 der positiven Klimaentwicklungen” geschehen, projizieren viele Klimakreationisten ihre eigene Sichtweise in die Skeptiker hinein, außerstande, sich selbst mit distanziertem Blick zu hinterfragen. Weil die Klimakatastrophe als mögliche Zukunft in den Computern der Klimamodellierer erschaffen wurde, wird sie zwangsläufig auch eintreten, so das alarmistische Dogma, und deswegen hätten die Skeptiker einen Gegenbeweis zu führen, eine andere Zukunft als zwangsläufig zu belegen. Ein gutes Beispiel hierfür liefert die Debatte über das von Fritz Vahrenholt und Sebastian Lüning in ihrem Buch “Die kalte Sonne” gewagte Szenario. Sie gehen auf Basis des Svensmark-Effektes und eines anthropogen verursachten Kohlendioxid-Anstieges in der Atmosphäre von einem Temperaturanstieg von 0,6 bis 1 Grad gegenüber heute bis 2100 aus. Diese (Zitat) “trendmäßige, konzeptionelle Abschätzung”, die weit unter den Katastrophenszenarien des IPCC liegt, ist mitnichten unvereinbar mit den IPCC-Szenarien. Am Ende wird natürlich sich eine der beiden Erwärmungsbandbreiten als richtig erweisen (oder vielleicht auch keine von beiden); beides zusammen kann nicht eintreten. Aber das werden wir erst in Jahrzehnten wissen. Jetzt können weder Vahrenholt und Lüning ihre Schätzung, noch das IPCC die seinen beweisen. Das Argument ist nicht “Die Zukunft wird anders verlaufen, als das IPCC sagt!”, das Argument lautet “Die Zukunft könnte anders verlaufen, als das IPCC sagt!”. Der Svensmark-Effekt ersetzt nicht das Kohlendioxid als “Klimaschöpfer”, er tritt als zusätzliche Wirkung neben die schon bekannten. Das Grundgesetz der modernen Wissenschaft, wonach mehr Wissen immer auch gleichzeitig mehr Möglichkeiten, mehr Fragen und mehr Unsicherheit bedeutet, berücksichtigen die Klimakreationisten nicht.

Aus heutiger Sicht sind Vahrenholt/Lüning und das IPCC miteinander vereinbar, weil beide Ansichten potentiell mögliche Zukünfte wiedergeben. Und die Bandbreite der denkbaren Entwicklungen ist dadurch bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Es könnte sogar noch viel wärmer werden, als es die IPCC-Modelle projizieren, es könnte sich aber auch dramatisch abkühlen. Das hängt ganz davon ab, ob sich natürliche oder anthropogene Faktoren als wirkungsmächtiger erweisen, ob sie sich gegenseitig verstärken oder abschwächen und in welche Richtung diese weisen.

Eine weitere Ebene der Komplexität wird erreicht, wenn man zusätzlich die Auswirkungen einer Klimaveränderung auf die menschliche Gesellschaft und mögliche Reaktionen dieser in sein Kalkül mit einbezieht. Grob gerechnet kann man von einer Erwärmung von etwa 1 Grad in den letzten 150 Jahren ausgehen. Und hier lehrt uns die abgeschlossene Vergangenheit: Wir haben davon in vielerlei Hinsicht profitiert. Das könnte bei weiterem Temperaturanstieg so weitergehen, trotz (Anpassung) oder gerade deswegen (Nutzung neuer Möglichkeiten). Eben darauf weist oben erwähnter Text über positive Klimaentwicklungen hin. Er bestätigt nicht etwa die Haltung des IPCC, er widerspricht ihr, weil er die Sicht auf eine Realität und eine andere plausible Zukunft öffnet, die das IPCC nicht beachtet. Natürlich könnte es sich auch anders darstellen. Klimakreationisten sprechen gerne von Stürmen, Dürren und Überflutungen. Nur gibt es diese in jedem Klima. Es ist völlig unklar, ob nun Abkühlung, Erwärmung oder Konstanz günstig oder ungünstig wären hinsichtlich des Auftretens von Extremwetterereignissen.

Ein Klimapolitiker sollte sich also folgende Fragen stellen:

     

  • Ist eine andere klimatische Entwicklung plausibel denkbar, als die, die das IPCC verbreitet?
  • Könnte die durch das IPCC skizzierte klimatische Entwicklung mehr positive als negative Wirkungen auf die menschliche Zivilisation ausüben?   
  •  

Ein aufgeklärter, der modernen naturwissenschaftlichen Denkweise verpflichteter Zeitgenosse kann beide Fragen nur mit “Ja” beantworten. Ich habe erst vor kurzem versucht, diesen Ansatz bildlich in einer “klimapolitischen Entscheidungsmatrix” in anderer Formulierung darzustellen, was ich hier wiederholen möchte.

Die gegenwärtige Klimaschutzpolitik ist nur dann sinnvoll, wenn die Zukunft exakt so eintritt, wie sie die Klimakreationisten vorhersagen. Da wir über den Verlauf der Zukunft aber erst dann genaues Wissen haben werden, wenn diese schon wieder Vergangenheit ist, sollte keine Entscheidung getroffen werden, die alle denkbaren alternativen Entwicklungen ausschließt. Mein Argument als Skeptiker ist daher nicht genau eine zur Klimakatastrophe alternative Hypothese, sondern der Verweis auf viele andere plausible Szenarien. Es ist letztlich zwingend, diese auch konkret zu benennen, um diesem Argument Konsistenz zu verleihen. Nicht alle diese Szenarien können gleichermaßen eintreten, das ist wahr. Aber Politik hat sich auf alle diese Zukunftswelten einzustellen, durch Entscheidungen, die bei allen denkbaren Entwicklungen Nutzen stiften. Es wäre eben unnütz, Kohlendioxid-Emissionen zu vermeiden, würde es auch ohne menschliches Zutun deutlich wärmer. Es wäre geradezu tragisch, stürzte uns die Vermeidung in eine neue (kleine) Eiszeit. Es wäre verantwortungslos, Ressourcen, Werte und Chancen zu vernichten, um etwas zu verhindern, was keinen Belang hat.

Es sind nicht die Skeptiker, die unwissenschaftlich denken. Tatsächlich üben sich die Klimakreationisten in einer Denkweise, die die Wissenschaft vor der Evolutionstheorie bestimmt hat. Sie ersetzen lediglich den metaphysischen Schöpfer durch den Menschen und seine Kohlekraftwerke. Sie verharren in Stasis, weil sie annehmen, was die Vergangenheit erkläre, müsse auch die Zukunft determinieren. Ihnen erscheint gesichert, was in Wahrheit nur plausibel ist, und sie erwarten daher Zwangsläufigkeit dort, wo die Wissenschaft nur Möglichkeiten aufzeigt.

Beitrag erschien zuerst auf science-skeptical.de.

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