Der Kampf um die Rente mit 60 in Frankreich

Angeblich demonstrierten am 7. September 270.000 Leute in den Straßen von Paris. Laut Polizeiangaben waren es nur 80.000. Die U-Bahn lief normal. Der Verkehr in den Straßen war mit wenigen Ausnahmen das tägliche Chaos. Nur bei der Bahn und auf den Flughäfen gab es Ausfälle. Hier von einem großen Erfolg für die französische Linke zu sprechen, wie es in den Medien durchwegs geschieht, ist blanker Unsinn, zumal wenige Tage später das französische Parlament die von Staatspräsident Nicolas Sarkozy vorgeschlagene Rentenreform trotz der massiven Proteste verabschieden konnte.

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Damit werden die heute 50-Jährigen um vier Monate später in die Rente gehen. Für die nachfolgenden Jahrgänge erhöht sich das Renteneintrittsalter schrittweise, bis es die Altersgrenze von 62 erreicht. Das ist viel weniger als in Deutschland, wo diese Grenze von 65 auf 67 Lebensjahre verschoben wurde, allerdings auch hier unter heftigem Protest der politischen Linken, die (wie in Frankreich) verspricht, bei einem Wahlsieg das Rad wieder zurückdrehen zu wollen.

Bekanntlich liegt die Lebenserwartung in beiden Ländern gleich hoch bei durchschnittlich 81 Jahren. Die Ansprüche und Lebenshaltungskosten sind gestiegen, das Zahlenverhältnis von Beitragzahlern und Rentenempfängern hat sich in den letzten Jahrzehnten dramatisch verschoben. Kurzum, es handelt sich um eine ziemlich einfaches Rechenexempel mit einem für Jedermann verständlichen Ergebnis: Die Renten sind nicht mehr finanzierbar ohne eine Kürzung der Leistungen. Entweder bei der Dauer des Rentenbezugs oder bei der Höhe. (Voraussichtlich müssen beide gesenkt werden.) So einfach ist das, wenn …

Ja, wenn man bei dem traditionellen Grundsatz bleiben will, daß sich die Renten unabhängig vom Staat finanzieren, nämlich durch einen Solidaritätspakt zwischen Einzahlern und Empfängern („Umlageprinzip“). Die Alternative wäre eine kapitalgedeckte Altersversorgung, bei der jeder Empfänger die Zinsen seines selbst eingezahlten Geldes erhält. Es gibt jedoch eine dritte Möglichkeit: die Staatsrente aus Steuergelder. Ohne eigene Leistung, nach dem sozialistischen Prinzip „jeder nach seinen Bedürfnissen“, erhält man eine „Volksrente“. Schließlich ist eine vierte Variante zu nennen, die in der völligen Abstinenz des Staates bei der Altersvorsorge besteht: Jeder möge privat für seinen Lebensunterhalt im Alter sorgen.

Im heutigen Sozialstaat ist diese Abstinenz jedoch unmöglich geworden, weil der wahlberechtigte Bürger, der in großer Zahl sein Einkommen lieber konsumiert als einen Teil für das Alter zurückzulegen, das Wahlrecht hat und damit „die Politik“ zur Finanzierung seiner verschwenderischen Lebensart zwingen kann. Das „Solidaritätsprinzip“ funktioniert aus demographischen Gründen nicht mehr. Zudem werden die Rentenkassen vom Staat gesteuert und nicht von den Einzahlern. Damit sind die Beiträge und die Auszahlungen (Renten) den Mechanismen der Politik unterworfen, wobei die Empfänger zunehmend die Einzahler majorisieren. Ihre Wahlbeteiligung ist erheblich höher als die der 18- bis 35-Jährigen. Deshalb ist die finanziell verantwortungslose Rentenpolitik ein Ergebnis der demokratischen Machtverteilung. Tendenziell beuten die Alten die Jungen aus.

Um die Defizite der Rentenkasse zu füllen, müssen Steuermittel eingesetzt werden. Und da die sozialstaatlichen Ansprüche stetig anwachsen, ohne daß die Steuereinnahmen Schritt halten können, steigt die Staatsverschuldung unaufhörlich. Es sind also nicht „die Politiker“, die unsere Schuldenkrise verursachen, sondern es sind die demokratisch durchgesetzten Ansprüche der egoistischen Wählerinnen und Wähler. Im grenzenlosen Sozialstaat führt die Demokratie zur grenzenlosen Staatsverschuldung. Das will niemand wissen, aber es ist so.

Wie ein bockiges kleines Kind weigert sich nun der demokratische Wähler, dieser Realität ins Auge zu sehen. Er brüllt. Er geht auf die Straße. Er macht sich allerlei Bösewichter zurecht, denen er die Schuld für seine Malaise geben kann. „Die Politik“, „das Kapital“, „den Staatspräsidenten“ persönlich, wofür man bei Sarkozy und seiner Umgebung gewiß vielerlei ärgerliche Gründe findet. Und die französische Linke gibt diesem Kindergartengeschrei den politisch-intellektuellen Überbau. (Ihre deutschen Genossen sind übrigens in diesem Punkt keineswegs besser.) Bei der Finanzierungsfrage des Sozialstaates fällt ihr immer nur die eine Antwort ein: „les riches“. Die Reichen müssen zahlen. Dann ist das Problem gelöst. So einfach geht das in der demokratischen Infantilität.

Dabei vergißt man, daß die Demokratie früher einmal den mündigen Bürger hervorbringen wollte. Durch eigene Leistung sollte er ein selbstbestimmtes Leben führen. Deshalb wollten die klassischen Sozialreformer keine Staatsrente, sondern eine selbstfinanzierte Altersversorgung, die sowohl von den Reichen als auch von den Konjunkturen des Kapitals unabhängig sein würde. Die Gewerkschafter des 19. und frühen 20. Jahrhunderts wollten einen demokratischen Bürger, der durch seine eigene Arbeit seine Familie ernähren kann, das ganze Leben lang. Und keinen Arbeiter, der nach den Almosen der Fürsten und Kapitalisten schielt.

Doch das ist alles vergessen. Die Kaviar-Linke, wie man sie in Frankreich nennt, die selbst überwiegend vom Staat alimentiert wird (als Beamte, Abgeordnete und Privilegienempfänger); wirft ihre Leute den Reichen zu Füßen. Die Gewerkschaften, die in Frankreich nur noch in den Staatsbetrieben stark sind, laufen hinterher. Oder ist es umgekehrt? – Man möchte es gar nicht so genau wissen …

 

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: ronny

die franzosen sind eben revoluzzer im blut. ich finde es gut, dass sie für ihre rechte kämpfen, man darf sich nicht alles gefallen lassen, was eine regierung entscheidet.

Gravatar: vince

Die revoltieren da drüben doch nur um des revoltierens willen. Rente mit 62 geht nun mal leider nicht anders, wer ein wenig nachdenkt, muss das doch akzeptieren. Wir haben hier ne Rente mit 67 und das funktioniert auch.

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