Der eigene Waggon und das Ende der Eisenbahn

Dampfschiffe, Fernbusse, Taxidienste und Roboterautos zeigen: Vorschriften sind überholt, sobald sie neue und nützliche Angebote be- oder gar verhinderen.

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Mein Bekannter ist Anwalt und sieht die Welt entsprechend. Über die Unternehmen aus dem Silicon Valley und deren immer größere Wirkung auf unsere Art zu leben und zu arbeiten, hat er nicht viel Gutes zu sagen. Es wäre schließlich nicht akzeptabel, sich einfach so über die geltende Rechtslage hinwegzusetzen. Ob bei großen Fragen wie Datenschutz und Urheberrecht oder ob bei kleineren wie dem Personenbeförderungsgesetz: Man dürfe doch nicht wissentlich Regulierungen unterlaufen. Ich entgegnete, wenn Firmen wie Uber mit ihren Fahrdienstangeboten einen offensichtlich vorhandenen Bedarf erfolgreich befriedigen, müsse man doch wohl eher die Gesetze ändern. Eine Vorschrift, die neue und nützliche Angebote be- oder gar verhindert, hätte keine Verteidigung verdient. Worauf er mit dem Anspruch der Taxifahrer auf Schutz antwortete.

Hatten die Droschkenfahrer zum Ende des 19. Jahrhunderts diesen nicht auch? Oder die Erbauer und Betreiber von Segelschiffen? Ich hatte das große Glück, die Cutty Sark im Jahr 2006 in Greenwich noch besichtigen zu können, bevor sie durch einen Brand schwer beschädigt wurde. Der Teeklipper aus dem Jahr 1869 stellte wohl gemeinsam mit der ein Jahr vorher fertiggestellten Thermopylae einen Höhepunkt der Schiffbaukunst dar. Schnellere und schönere Vollschiffe gab es zuvor nicht – und vielleicht auch nicht danach. Was mögen ihre Kapitäne und Besatzungen die Dampfschiffe belächelt haben, die damals zwar schon die Binnengewässer beherrschten, sich aber nur selten auf die hohe See trauten. Und wenn, dann immer schön in Küstennähe, um nicht allzu weit von neuen Kohlevorräten in den Häfen entfernt zu sein. Zwei Jahrzehnte später übernahmen die Dampfer auch den interkontinentalen Transport. Die Cutty Sark endete nach einigen Verkäufen als Museumsschiff, die Thermopylae als Schulschiff und schließlich – welche Schmach – entmastet ausgerechnet als Kohlenhulk in Portugal, wo man sie 1907 versenkte.

Die besten Segler markierten das Ende ihrer Epoche und wahrscheinlich gelangten Daimler und Benz mit den besten jemals gefertigten Kutschen in ihre Werkstätten. So könnte es auch der Eisenbahn ergehen. Moderne und komfortable Hochgeschwindigkeitszüge wie der deutsche ICE, der japanische Shinkansen oder der französische TGV markieren vielleicht nicht einen zukunftsweisenden Fortschritt für den Personentransport auf der Schiene, sondern dessen letzte Atemzüge.

Aber Bahnfahren ist doch so effektiv, mögen viele nun einwenden. Man steigt einfach ohne lange und nervtötende Sicherheitskontrollen ein und ist auf kurzen und mittleren Distanzen unschlagbar schnell unterwegs – im Vergleich zum deutlich preiswerteren Fernbus beispielsweise. Das stimmt. Meistens.

Was habe ich mich vorgestern geärgert, nicht mit dem Wagen zur Arbeit gefahren zu sein. Sturmtief Niklas legte zwar nicht Deutschland lahm, aber die Bahn. Was mir einen mehrstündigen Heimweg über mehrere Busverbindungen hinweg bescherte. Die Bindung an eine komplexe Infrastruktur weist einen entscheidenden Nachteil auf: Der Schienenverkehr ist nicht resilient. Schäden an wenigen Knotenpunkten oder auch auf einigen Hauptstrecken genügen, um das ganze System weitgehend zum Stillstand zu bringen. Mit dem Auto hingegen findet man immer einen Ausweg – und sei es über Nebenstraßen durch kleine Dörfer. Die Bahn kommt allzu häufig eben nicht, sie ist kein verläßliches Transportmittel.

Der Mangel an Flexibilität betrifft nicht nur die Unmöglichkeit, bei Störungen über eine alternative Strecke ausweichen zu können. Er ist grundsätzlicher Natur, denn am Ende bringt einen auch eine funktionierende Bahn immer nur von einem (Haupt-)Bahnhof zum nächsten. Da will man in der Regel aber nicht wirklich hin. Bahnreisen erfordern Planung und Vorbereitung. Fahrpläne sind zu berücksichtigen und der Weitertransport zum eigentlichen Ziel zu organisieren. In Metropolen mit gut ausgebautem Nahverkehr in der Regel kein Problem. In Klein- und Mittelstädten und vor allem in ländlichen Regionen schon.

Viele Menschen nehmen diese Nachteile in Kauf, weil es mit dem Zug so bequem ist. Man kann sich unterwegs ausruhen, etwas lesen oder gar arbeiten. Längere Fahrten mit dem PKW hingegen sind anstrengend und ermüdend. Mit diesem unschlagbaren Vorteil wirbt die Bahn intensiv für sich. Durchaus berechtigt. Noch.

Denn auch Uber liefert letztendlich ein Fahrzeug mit Chauffeur. Schon viel kostengünstiger als ein herkömmliches Taxi kann dieser alle Vorteile des Individualverkehrs bereitstellen und mich zu einer von mir vorgesehenen Zeit direkt zu einem von mir definierten Ziel bringen. Dies ist noch nicht das Ende der Entwicklung, sondern nur ein Zwischenschritt.

Nicht nur die Teams aus dem Silicon Valley, nicht nur Google, Apple und Co., sind von der Vision des autonomen Fahrens überzeugt. Auch deutsche Hersteller und Forschungseinrichtungen treiben dieses Thema intensiv voran. Bereits im Jahr 2010 fuhr Leonie, ein durch die TU Braunschweig entsprechend ausgerüsteter Passat, völlig selbstständig und ohne jeden Eingriff seitens des noch zur Sicherheit anwesenden Fahrers durch die Braunschweiger Innenstadt. Seitdem ist viel geschehen. Immer mehr fortgeschrittene Fahrerassistenzsysteme entstehen aus solchen Entwicklungen. Ein Auto, das den Stop-and-Go-Verkehr eigenständig meistert? Bereits Realität. Automatisches Einparken? Bereits Realität. Autofahren ist stressig und ermüdend? Immer weniger.

Auf der IAA Nutzfahrzeuge 2014 stellte Daimler einen autonom fahrenden und bereits erfolgreich getesteten Sattelschlepper vor.  Jüngst folgte eine aufregende Studie für einen selbstfahrenden PKW. Es ist keine Zukunft mehr vorstellbar, in der Roboterfahrzeuge nicht auf unseren Straßen präsent sein werden.

Das autonome Auto wird mehr sein als nur eine weitere Optimierung des konventionellen motorisierten Individualverkehrs. Es ist ein neues Mobilitätsparadigma, das unser bisheriges Verständnis über Verkehrssysteme und deren Entwicklung völlig auf den Kopf stellt.

Es ist ein zusätzlicher mobiler Lebensraum, ein rollendes Büro, ein rollendes Schlaf- oder Wohnzimmer, je nach Wunsch. Dieser individuelle Aspekt kann natürlich nur dann ausgereizt werden, wenn man das Vehikel auch besitzt. “Sharing” ist nicht die Zukunft, sondern auch weiterhin nur eine Ergänzung, die Menschen den Zugang zum Individualverkehr ermöglicht, die sich kein eigenes Fahrzeug leisten können.

Das autonome Auto sichert die Mobilität auch für jene ab, die nicht mehr selbst fahren können oder wollen. Es ist die perfekte Lösung für die Herausforderungen, die manche im demographischen Wandel erkennen. Neue Ideen für den öffentlichen Nahverkehr, die dem Veröden der ländlichen Räume entgegenwirken sollen, werden schlicht nicht mehr benötigt.

Das autonome Auto kann mit allen anderen Fahrzeugen kommunizieren und so die Abläufe, vom Einfädeln auf der Autobahn, über das Überholen auf der Landstraße bis hin zum Kreuzungsverkehr in der Stadt selbst organisieren. Unfälle werden selten, Staus und Verkehrsbehinderungen werden durch die kollektive Intelligenz vieler Fahrzeuge häufig schon vorausschauend vermieden. Mit dem autonomen Auto steigen nicht nur Resilienz und Flexibilität, sondern auch Effizienz und Effektivität des Individualverkehrs. Die optimale Ausnutzung der vorhandenen Verkehrswege inbegriffen.

Und jetzt, so eröffnete ich meinem Bekannten nach dem Abendessen, verknüpfe ich das autonome Auto mit Uber. Wenn ich weiß, daß ich es für einige Stunden (auf der Arbeit) oder gar für Wochen (im Urlaub) nicht benötige, gebe ich es frei für andere. Fahrdienste wie Uber vermitteln dann nicht mehr menschliche Fahrer, sondern robotische, die noch ein wenig Geld in die Familienkasse spülen, während der Besitzer im Liegestuhl entspannt. Mit einem Batteriefahrzeug, das Stunden an der Steckdose verbringt, geht das natürlich nicht. Das autonome Auto ist auch eine Entwicklung, die viele Vorstellungen bezüglich der Potentiale der Elektromobilität in Frage stellt.

Ich denke, ich konnte den Anwalt zum Nachdenken anregen. Nicht Gesetze sind der Rahmen für den Fortschritt. Sondern allein der individuelle Kundennutzen, den Innovationen bieten. Das haben die Macher im Silicon Valley längst erkannt – im Gegensatz zu vielen deutschen Unternehmern. Da Gesetze oft nur den Status Quo bewahren wollen, werden sie durch den Fortschritt hinweggefegt. Nicht andersherum. Es gilt das Primat der Technologie.

Ob die Busfahrer, die mich gestern über allerlei Umwege nach Hause gebracht haben, sich dessen bewußt sind?

Manch ein Zugbegleiter oder Lokomotivführer mag begeistert sein von der Technik der Hochgeschwindigkeitszüge und seine Arbeit als relevant und nützlich empfinden. Aber eigentlich kommen diese Menschen mir vor wie die Kapitäne und Matrosen, die damals mit der Cutty Sark oder der Thermopylae die Weltmeere durchpflügten. Noch lachen sie und denken, ihr Job sei zukunftssicher. Bald aber könnte ein ICE im Museum stehen, während die anderen verschrottet werden. Die Eisenbahn würde so enden, wie sie begonnen hat: Als Transportmittel für Massengüter aller Art.

Denn das autonome Auto nimmt der Bahn den letzten Vorteil, den sie noch hat. Mit ihm werden die Menschen sich weiterhin fahren lassen und dabei leben statt lenken. Wie in einem individuellen Luxusreisewaggon, der nicht an eine Schieneninfrastruktur gebunden ist und daher auch dann sein Ziel erreicht, wenn Niklas stürmt.

Beitrag erschien auch auf: science-skeptical.de

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Jürg aus Zürich

Zu dem Problem mit den Zügen die bei Sturm wegen umgefallenen Bäumen stillstehen.
Das gibt es nur, weil das Ausholzen unterlassen wird!
Neben der Bahnstrecke dürften die Bäume nicht höher sein, als im 45 Grad Winkel nach oben. Dann können die Bäume gar nicht auf die Gleise fallen.
Nur, die DB macht das nicht. Bei anderen Bahnen ist das Standard!

Gravatar: Freigeist

Interessanter Artikel. Meiner Vermutung nach wird der Bahnverkehr im S-Bahn-Bereich bleiben, da nur so ein Zusammenbruch des Verkehrs während der Rush-Hour zu verhindern ist. Ansonsten bin ich Ihrer Meinung. Die Elektronik wird eine große Zahl von Geschäftsmodellen bringen, aber auch viele alte schnell vernichten.

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