Große Aufregung herrschte kürzlich wegen eines Fotos aus dem Familienalbum der Windsors. Diese königliche Dynastie hat einen Stammbaum, der viel mit dem Herzogtum Sachsen-Coburg-Gotha zu tun hat. Dessen schämt man sich in England. Himmel und Hölle wurden in Bewegung gesetzt, um die deutsche Herkunft der britischen Monarchen zu verschleiern. Und nun dieses Foto! Auf dem Foto waren gereckte Arme zu sehen und sofort wurde auf Grund der teutonischen Abstammung vermutet, daß es sich um den Deutschen Gruß handeln müsse.

Diese Vermutung ist mit einiger Wahrscheinlichkeit falsch. Den Gruß benutzten zwischen 1919 und 1945 wirklich Hinz und Kunz. Er war schon vor der Gründung der NSDAP 1920 in Gebrauch. Die italienischen Faschisten sagten sich so „Guten Tag“, die Olympioniken gleichfalls. Welchen Gruß die Franzosen 1936 beim Einmarsch in das Olympiastadion benutzten ist ebenso unklar, weil der Olympische Gruß und der Deutsche Gruß sich nicht unterschieden. Selbst in Griechenland hob man zur Zeit von Diktator Metaxas, also kurz vor dem italienischen Angriff 1940, den rechten Arm.

Kreiert wurde der steife Arm, so wie der ganze faschistische Hokuspokus in Fiume. Diese kurzlebige Stadtrepublik der Zwischenkriegszeit ist heute fast vergessen, also ist es Zeit an sie zu erinnern. Fiume lieferte die Blaupause für den Faschismus und den Nationalsozialismus.

Der populäre italienische Dichter Gabriele D´Annunzio hatte bereits im September 1919 ganz im Stile seines Landsmanns Garibaldi ein Expeditionschorps aus Freischärlern, sogenannten Arditi, gebildet und die im Frieden von Trianon eigentlich Jugoslawien zugeordnete an der Adria liegende Stadt Rijeka (it. Fiume) an der Adria besetzt. Das war definitiv die Generalprobe für die Etablierung der elitaristischen Regierungspraxis in Europa. England, Frankreich und die Vereinigten Staaten reagierten zunächst überhaupt nicht auf diese radikale Provokation. Italien verwickelte die faschistische Stadtrepublik erst Ende 1920 in einen Krieg, der binnen weniger Wochen zum Zusammenbruch der usurpierten Macht und zum Abzug der Arditi führte. Viel zu spät, denn die Früchte der elitären Propaganda waren bereits reif worden und die Samen flogen durch halb Europa.

Fünfzehn Monate, bis zum Dezember 1920, regierte Gabriele D´Annunzio Fiume als unabhängigen Stadtstaat nach den Vorstellungen der Jugendbewegung. Er schuf einen von Mussolini und Hitler immer wieder kopierten Stil der politischen Liturgie. Aufwändige Uniformen, spezielle Zeremonien, Sprechchöre, Reden vom Balkon des Rathauses vor Massenpublikum als Dialog mit dem Führer und spezielle Symbole und Feldzeichen hatten wenig später ihren festen Platz im faschistisch-nationalsozialistischen Kostüm- und Zeremonienfundus. Die schwarzen Hemden der Kämpfer, die Hymne „Giovinezza“ (Jugend), Massenkundgebungen (soweit das die Bevölkerungszahl Fiumes erlaubte)  und der zum römischen Gruß erhobene rechte Arm waren ebenfalls Neuerungen des Dichter-Staatschefs.

Im Dezember 1920 besetzte Italien Fiume und vertrieb die Freischärler. Politisch wurde Gabriele D´Annunzio besiegt, kulturell blieb er für die folgenden sieben Jahrzehnte ein sogenannter „Sieger der Geschichte“. Die Zeremonien seines Stadtstaats sollten für die nächsten Jahrzehnte die politische Liturgie Europas bestimmen. Zu vielen politischen Ereignissen der Zwischenkriegszeit gibt es fast keine Fotos. In Fiume war vom ersten bis zum letzten Tag immer ein Fotoapparat zur Hand.

Der faschistische Stil verbreitete sich in anfällige gesellschaftliche Biotope wie eine hochansteckende Krankheit. Bereits im Frühjahr 1920 führten die italienischen Fasci Flaggen, schwarze Hemden, Uniformen und das Tragen von Dolchen ein.

Eine weitere Bühne für den römischen bzw. deutschen Gruß war der Sport. Die Alten Germanen hatten ihre legendäre Kraft durch archaisches Doping befördert. Siegfrieds Drachenblutpanzer, Brunhildes Kraftgürtel, die verhängnisvolle Tarnkappe, Magie und Zauberei hatten ins äußerste gesteigerte burgundische bzw. isländische Trainingsprogramme entbehrlich gemacht. Auch im alten Olympia gehörten Doping und Unfairnis zum guten Ton.

Anders in der modernen olympischen Bewegung. Hier sollte der Einzelne an seine körperlichen Grenzen geführt werden. Während für Pierre de Coubertin der Sport eine Angelegenheit für die Elite war, wurde in der Zwischenkriegszeit der olympische Wettbewerb für alle Schichten, Geschlechter und fast alle Kulturen geöffnet. Bei der Olympiade in Paris 1924 wurden gemäß der organisatorischen Weisheit der olympischen Funktionäre deutsche Sportler vor der Verwendung des olympischen Grußes in Form des Hebens des rechten Arms bewahrt; sie durften auf Grund des Kriegsschuldartikels von Versailles als ehemalige Kriegsgegner nicht teilnehmen. Es herrschte die verkehrte Welt in Paris: das noch demokratisch regierte Deutschland durfte nicht einmal in die entfernte Nähe der Siegertreppchen, das bereits faschistisch beherrschte Italien nahm wie selbstverständlich an der Olympiade teil. In die Gedanken der olympischen Gremien hatten sich die Dogmen der Jugendbewegung fest eingenistet, wodurch der Faschismus ein Stückchen Normalität geworden war. Das olympische Komitee übernahm liturgische Versatzstücke der Jugendbewegung, die bereits seit 1919 auch zum Ritual der Faschisten gehörten. Die Herkunft der Sportbewegung aus der Jugendkultur, die gemeinsame Bezugnahme auf das nietzscheanische Leitbild des Neuen Menschen schuf eine gemeinsame völkerverbindende Plattform, in der die unkritische Rezeption des „Körpers als heiligem Tempel“, die Entstehung einer Körperreligion die Entstehung von „Schönheitsstaaten“ wie in Fiume, Italien und Deutschland förderte.

Der Hitlergruß war erst seit 1925 die übliche Grußform in nationalsozialistischen Kreisen. 1926 wurde der Hitlergruß parteioffiziell befohlen. Laut Wikipedia hatte Hitler ihn von Benito Mussolini kopiert, der seinen Gruß wiederum auf den Saluto romano (römischen Gruß) zurückführte. Allerdings ist unter Historikern umstritten, wie sich die Römer wirklich grüßten. Mussolini hatte den Gruß höchstwahrscheinlich nicht von den Römern, sondern von Gabriele D´Annunzio übernommen. Denn die Schwarzen Hemden, die Dolche und die Zeremonien der Faschisten waren ja auch aus Fiume nach Italien herübergeschwappt. In Fiume hatte man bereits seit 1919 mit dem Armheben Männchen gemacht.. Ob Hitler den Gruß direkt von Gabriele D´Annunzio geklaut hatte oder ihn über den Umweg Italien kennen- und liebengelernt hatte ist unklar und eigentlich egal.

Fakt ist, daß die NSDAP den Gruß verwendete nachdem er in Fiume, in Ilatien und bei der Olympiade in Paris gezeigt worden war. Er war ein international übliches Erkennungszeichen der Jugendbewegung. Deutsch war an dieser Geste überhaupt nichts, römisch war sie wahrscheinlich auch nicht. Das englische Königshaus kann also alles mögliche mit dem steifen Arm gegrüßt haben. Als 1936 König George V. beerdigt wurde, mußte sein Vetter Carl Eduard, ehemaliger Herzog von Sachsen-Coburg-Gotha als letzter dem Trauerzug einsam hinterhertrotten. Er wurde trotz enger Verwandschaft geschnitten, was nicht gerade auf deutsche Sympathien der Windsors schließen läßt.

Dieser Eintrag ist teilweise dem Buch: „Der Bausatz des Dritten Reiches“ entnommen. Es ist bei Amazon als e-Book verfügbar.