Der Bürgerhaushalt in Porto Alegre

Partizipative Demokratie in Lateinamerika als Vorbild für deutsche Kommunen? In vielen Kommunen denkt man über die Einführung des Bürgerhaushalts nach. Führt dieser aber tatsächlich zu einer Verbesserung demokratischer Partizipation? Beitrag zum historischen Hintergrund dieses Konzeptes.

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Das Konzept des Bürgerhaushalts entstand Ende der 80er Jahre in der brasilianischen Stadt Porto Alegre. In den folgenden Jahren übernahmen hunderte lateinamerikanischer Städte dieses Konzept und im Jahr 2009 wurde der Bürgerhaushalt in über 200 Städten in Europa praktiziert.Die Idee des Bürgerhaushalts stammt aus den Reihen der brasilianischen Linken. 1988 gewann in der damals 1,3 Millionen Einwohner großen Stadt Porto Alegre ein linkes Bündnis unter dem Namen „Volksfront“ unter der Führung der Arbeiterpartei die Bürgermeisterwahlen.

Die Regierungszeit der Arbeiterpartei in der Stadt fiel in die Zeit, in der die Zentralregierung den Kommunen größere Finanzautonomie einräumte, was die Sanierung der kommunalen Haushalte erleichterte. Die Kommunalpolitik der Arbeiterpartei war in dieser Hinsicht pragmatisch, auch wenn ihrer Vorstellung von partizipativen Verfahren ältere sozialistische Vorbilder zu Grunde lagen: „Vorbilder für dieses Verfahren waren die Ideale der revolutionären marxistischen Tradition, wobei sich hier die „Sowjets“ von den Fabriken in die Wohnviertel verlagert haben. Unter expliziter  und zum Teil mythischer Bezugnahme auf die Pariser Kommune sollte ein pyramidales Delegiertensystem aufgebaut werden.“

 

Der Bürgerhaushalt in Porto Alegre

Das Verfahren beruht auf regionalen und thematischen öffentlichen Versammlungen. Diese öffentlichen Versammlungen wählen aus einer Liste von Investitionsbereichen Prioritäten aus und diskutieren Großprojekte. Sie wählen in der ersten Versammlungsrunde Delegierte für die zugeordneten Foren und diese Foren kontrollieren den Rat des Bürgerhaushalts, der in der zweiten Versammlungsrunde gewählt wird. Darüber hinaus existieren Kommissionen, in denen Vertreter dieses Rates und der Stadtverwaltung und auch Vertreter der Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes vertreten sind. Der Rat erarbeitet zusammen mit der Stadtverwaltung den Haushalt und einen Investitionsplan.

Der Bürgermeister und die Stadtverwaltung spielen in diesem Verfahren als Ansprechpartner und Koordinatoren eine zentrale Rolle. Die Versammlungen werden vom Bürgeramt koordiniert und am Ende des Verfahrens wird der Haushalt von dem Stadtplanungsamt aufgestellt, das zur Stadtverwaltung gehört, die dem Bürgermeister untersteht. Der vorgelegte Entwurf wird dem Stadtparlament zur Verabschiedung vorgelegt, das diesen Entwurf ablehnen oder auch verändern kann, was aber offenbar selten vorkommt. Wohl da es im Vorfeld bereits Konsultationen zwischen dem Rat des Bürgerhaushalts und dem Stadtparlament gibt.

Wie repräsentativ ist der Bürgerhaushalt in Porto Alegre

Im Jahr 1990 beteiligten sich weniger als tausend Bürger an den zentralen Versammlungen. Im Jahr 1999 waren es 14000 und im Jahr 2002 waren es 17000. Der Anstieg der Zahlen ist zwar erheblich, aber gemessen an der Gesamtbevölkerung von 1,4 Millionen Menschen, die heute in Porto Alegre leben, sind nur ein minimaler Anteil der Bürger an diesem Verfahren beteiligt. Bei Kommunalwahlen, aber auch bei wirklich direktdemokratischen Verfahren wie in der Schweiz sind weit  mehr Bürger durch Wahlen involviert als in dem Verfahren des Bürgerhaushalts in Porto Alegre.

Insgesamt erscheint der Bürgerhaushalt in Porto Alegre vielmehr auf die Stärkung der Exekutive auf Kosten der Legislative hinauszulaufen. Der Bürgermeister und die Stadtverwaltung sind die Herren des Verfahrens. Dies mag darin begründet sein, dass nach der ersten Wahl des Bürgermeisters der Arbeiterpartei die „Volksfront“ einer oppositionellen Mehrheit im Stadtparlament gegenüber stand. Die Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen, dass in diesem Verfahren gut organisierte und politisch gesteuerte Minderheiten ihren Einfluss an der Mehrheit der Bürger und der von ihnen gewählten Vertretung vorbei geltend machen.

Literatur

Carsten Herzberg: Wie partizipative Demokratie zu politisch-administrativen Verbesserungen führen kann: der Bürgerhaushalt in Porto Alegre, Münster 2001.

Yves Sintoner, Carsten Herzberg, Anja Röcke: Der Bürgerhaushalt in Europa eine realistische Utopie. Zwischen partizipativer Demokratie, Verwaltungsmodernisierung und sozialer Gerechtigkeit, Wiesbaden 2010.

Dieser Beitrag erschien zu erst auf dem Blog des Liberalen Instituts


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