Im Roman „Die Asche meiner Mutter“ erzählt der Autor Frank McCourt, wie er als kleiner Junge die Fäuste ballt, sobald jemand die Ballade des irischen Nationalhelden Roddy McCorley aufzusagen wagt. Der kleine Frank sieht die Worte als sein und seines Vaters Eigentum an.
„Geistiges Eigentum“, was muß man sich darunter vorstellen? Erinnerungen, Phantasien, Worte, Wissen? Ist geistiges Eigentum körperlos oder materiell oder beides zusammen? Ganz gleich, worum es sich handelt, so lange es nicht mit anderen Menschen geteilt wird, ist es das Geheimnis des Urhebers und gehört mithin auch ihm allein.
Die veröffentlichte Idee wird unweigerlich kollektiviert
Als soziales Wesen kann der Mensch nicht existieren ohne körperlichen und geistigen Austausch mit seinesgleichen. Eine Person, die eine Idee hat, wird diese in der Regel nicht für sich selbst behalten wollen. Sobald ein Mitmensch in das Geheimnis einweiht ist, beginnt nolens volens die „Enteignung“ der „Entdeckung“. Das Wort ist flüchtig wie der Geist, der aus der geöffneten Flasche in alle Windrichtungen ausströmt und nicht mehr einzufangen ist. Insofern sind Ideen und gesprochene Wörter kein geistiges Eigentum, sie können es gar nicht sein.
Beim Streit um das geistige Eigentum geht es deshalb um anderes als um die Idee oder das Wissen selbst, sondern um dessen gesellschaftlichen und kommerziellen Nutzwert. Bücher, Lieder, Bilder und andere künstlerische Werke sind eben keine Ideen, sondern Handelsware. Und als solche besitzen sie einen Marktpreis. Hauptnutznießer ist der Urheber, sofern es die allgemein gültigen Regeln so bestimmen.
Am neuen Wissen partizipieren irgendwann alle
Irgendwo las ich einmal einen Spruch, der mich beeindruckt hat: „Alles kann man aus der Welt schaffen, nur das Wissen nicht.“ So gut wie alle geistigen Werke gehen mit der Zeit in die Allgemeinkultur ein und werden zu Volksgut. Als Volksgut bezeichnet man unter anderem Lieder, Gedichte, Sprichwörter, Kunstgegenstände, Schriftwerke, deren Urheber unbekannt oder nicht mehr zu ermittelt sind. Darf man daraus ableiten, ein Eigentumsrecht für geistige Urheberschaft zu reklamieren, sei generell Unfug? Schon werden Stimmen laut, die fordern, alles veröffentlichte Schrifttum sei zur beliebigen Nutzung durch jedermann freizugeben. Ein eklatanter Widerspruch zur gängigen Abmahnpraxis, die ebenfalls einen Mißbrauch des Urheberrechts darstellt, allerdings in die andere Richtung. Anwaltskanzleien haben sich darauf spezialisiert, das Internet nach Urheberrechtsverstößen zu durchkämmen. Einem lächerlichen Bagatellverstoß, der dem Urheber oder dessen Erben eher nützt als schadet, weil jede Internetpräsenz zugleich auch Werbung ist, kann eine anwaltliche Forderung in vierstelliger Höhe folgen. Wenn es sich dabei um einen populären, beinahe schon zu „Volksgut“ mutierten Spruch von weniger als einem Dutzend Wörtern handelt, dann läuft hier deutlich etwas aus dem Ruder.
Verschiedene Arten von Eigentum und deren Enteignung
Das private Eigentum ist Kennzeichen einer freien Gesellschaft. Dabei ist zu unterscheiden zwischen dem, was sich generell schützen läßt und jenem, was mit bestem Willen nicht zu schützen ist.
Das oberste und erste Eigentum ist das des Menschen an sich selbst. Dazu zählen das individuelle Erscheinungsbild, die physischen Merkmale, Wesen und Charakter, Konstitution, Begabungen und erlernte Fertigkeiten. Dieser Besitz ist vor dem Zugriff dritter relativ sicher. Körper und Eigentümlichkeiten einer Person können zwar durch gewaltsamen Angriff beschädigt oder vernichtet werden, auf den Neider, Räuber oder Mörder gehen sie trotzdem nicht über.
Leichter zu enteignen sind die bewegliche Dinge, die ein Mensch sein ehrliches Eigentum nennt. Im Laufe eines arbeitsreichen Lebens erzeugt oder erwirbt er diese durch Tausch: Werkzeuge, Lebensmittel, Statussymbole, Geld und anderes mehr.
Auch das Stück Land, welches durch mühsames Urbarmachen, Pflege, Bebauen, Bewohnen oder als Familienerbe zum persönlichen Besitz wird, ist, wie die Geschichte lehrt, immer wieder Gegenstand der Enteignung; die Mittel sind Nötigung, Vertreibung und Mord. Wer das Eigentum fremder Menschen hinterrücks und heimtückisch in seinen Besitz bringt, verzichtet lediglich auf Anwendung direkter Gewalt.
Auf welchem Weg auch immer die Wegnahme fremden Eigentums vor sich geht: Immer ist die Enteignung mit Mühen und Gefahren für Räuber oder Dieb verbunden, was dieser Art Erwerbstreiben seine Attraktivität raubt. Im Vergleich zum Nutzen erscheint der notwendige Einsatz den meisten Menschen zu riskant. In den zivilisierten Gesellschaften hält sich denn auch das Stehlen und Rauben in engen Grenzen. Eine Sonderkategorie bildet der moderne Umverteilungsstaat mit seinen räuberischen Zwangseinrichtungen. Dies jedoch soll hier nicht Gegenstand der Betrachtungen sein.
Das geistige Eigentum
Gedanken und Ideen als solche lassen sich überhaupt nicht schützen, wie ich im folgenden kurz skizzieren will. Nehmen wir zum Beispiel die Produktion von Textwerken und deren Veröffentlichung. Erinnern wir uns an die Frage, was unter „geistiges Eigentum“ zu verstehen ist. Prinzipiell erwachsen dem Urheber keinerlei Vorteile aus seiner schöpferischen Arbeit, so lange er diese nicht publiziert. Mit der Veröffentlichung aber läßt er zu, daß die Öffentlichkeit partizipiert. Trotzdem soll und muß dem Urheber für gute Arbeit gesellschaftliches Ansehen und Würdigung in Form von Entlohnung zugestanden werden.
In einer freien Gesellschaft entscheiden die Marktgesetze über den Wert einer Veröffentlichung. Der Verfasser eines Textes wünscht sich die vielfache Verbreitung seiner Ideen durch den Buchhandel, denn erst durch den Verkauf der Kopien kann er wirtschaftlich erfolgreich sein. Es versteht sich von selbst, daß jeder Versuch, das geistige Werk eines Autors ganz oder in Teilen unter eigenem Namen zu veröffentlichen, als Verletzung des Eigentumsrechts gewertet werden muß. Wo also liegt das Problem, um das in den letzten Jahren gestritten wird? Die Veröffentlichung von Texten einerseits und der eingeforderte Eigentumsschutz andererseits sind seit je her eine Gratwanderung gewesen. Heute nun stehen wir diesbezüglich durch die Möglichkeiten der körperlosen Verbreitung von Texten und Bildern (u.a.) vor einem bislang ungelösten Problem.
Why does the dog lick its paws?
Verlockend und durch Verbote nicht aus der Welt zu schaffen ist die Leichtigkeit, mit der heute jedermann Bausteine aus dem Internet herunterladen und als eigenes Werk ausgeben kann. War es noch vor wenigen Jahrzehnten mit erheblichen Mühen verbunden, ein Plagiat anzufertigen – das jeweilige Schriftstück mußte körperlich aufgetrieben, die Texte mußten zuerst gelesen, dann per Hand oder Schreibmaschine abgetippt werden – so gelingt dies jetzt im Handumdrehen. Allerdings war auch die Chance, entdeckt zu werden, früher geringer, denn ein „Fahnder“ mußte praktisch in einer Bibliothek Bücher wälzen und unter Umständen viel lesen, um den Plagiator bloßzustellen.
Das erhebliche Maß an Fleiß- und Denkarbeit schränkte ehemals den Kreis der Plagiierwilligen deutlich ein. Heute erleichtern die technischen Voraussetzungen den Vorgang des Plagiierens ungemein. Es genügen ein paar Handgriffe für Copy & Paste, nicht einmal die Originalsprache des ausgespähten Dokuments muß beherrscht werden. Jeder Halbanalphabet kann sich dieser Aufgabe widmen. Damit sind dem massenhaften Mißbrauch Tür und Tor geöffnet.
Die entscheidende Frage lautet deshalb nicht, ob das geistige Eigentum heute überhaupt noch geschützt werden sollte, sondern ob grundsätzlich ein Schutz gewährleistet werden kann! Letzteres muß verneint werden. Wer einen Text ins Netz setzt, macht diesen zur Allmende. Niemand läßt die Eingangstür zu seinem Wohnhaus offenstehen, wenn er in Urlaub fährt. Niemand glaubt, daß die gefüllte Brieftasche, die er auf der Parkbank deponiert, am nächsten Tag noch in unangetastetem Zustand dort liegt. Nur Träumer oder Spinner glauben, daß man durch Gesetze, Verbote und Strafen Menschen davon abhalten kann, sich an einer Quelle zu laben, die öffentlich sprudelt und relativ gefahrlos zugänglich ist. Keine Bildung und kein akademischer Grad, keine Religion und keine Strafandrohung machen vor dieser Versuchung gefeit. Selbst Adam ließ sich von Eva verführen, und sie waren doch nur zu zweit. Heute gewährt die Massengesellschaft dem Einzelnen weitgehende Anonymität. Alles, was machbar ist, wird irgendwann von irgendwem auch gemacht. Angesichts der technischen Möglichkeiten ist dies durchaus beängstigend. Gleichgültig, um welche Erfindung es sich handeln mag: sie wird unter Mißachtung potentieller Gefahren getestet, allein schon deshalb, weil die Möglichkeit dazu besteht. Ein englisches Sprichtwort drückt diesen Umstand recht anschaulich aus: Why does the dog lick its paws?Because it can.
Die Umverteilung des Wortes
Der Streit um Urheberrechte und geistiges Eigentum dreht sich um die Verwertungsmöglichkeiten eines Werkes. Es geht darum, die vorhandenen Werke „umzuverteilen“, damit niemand sich benachteiligt fühlen muß, der aus seiner geistigen Veranlagung kein Kapital zu schlagen weiß. Wieder einmal geht es um Geld, diesen schwer zu begreifenden Stoff aus geronnener Arbeitskraft. Einem schriftstellerischen Werk ist die dahintersteckende Arbeit nicht anzusehen. Nicht an den Mühen des Schreibens, aber am Glanz der Wortschöpfung möchten viele Unberufene partizipieren. Diese materialistische Einstellung entstammt einer Ideologie, die in der Zuordnung von Mein und Dein immer schon versagt hat.
Wer unter persönlicher Anstrengung und unter Entsagung ein geniales geistiges Werk errichtet hat, ist darauf angewiesen, daß die Mitmenschen seine Leistung zumindest für eine gewisse Zeitspanne anerkennen und honorieren. Dies ist nur möglich, wenn dem Schöpfer des Werkes dasselbe auch „gehört“. Wenn allen alles gehört, gehört niemandem etwas, und was niemandem gehört, wird ausgebeutet und zerstört. Das gilt nicht nur für das Körperliche wie Ländereien, Unternehmen, Institutionen und Organisationen, sondern auch für das Urheberrecht. Wenn geistige und sprachliche Werke dem Urheber weder Ansehen noch wirtschaftlichen Nutzen bringen, wird niemand mehr wertvolle Lebenszeit opfern wollen, um schöpferisch tätig zu sein.
Wenn Worte (nicht Wörter!) nicht mehr eignen – das heißt, keinem Urheber zugeordnet werden – dann sind Aussagen nicht mehr zuschreibbar. Die Frage: Wer hat dies gesagt / geschrieben? wird irrelevant. Mitteilungen aller Art verlieren ihre Aussagekraft und Glaubwürdigkeit, wenn sie niemandem zugeschrieben werden können. Jedermann kann alles sagen, Wahrheit und Lüge sind nicht mehr zu unterscheiden. Im Internet wird der Weg dorthin bereits beschritten.
Was Geld und Wort gemeinsam haben
Die seit der Französischen Revolution mit wenigen Unterbrechungen voranschreitenden Enteignung und Verteilung von Kapital folgt nun eine Enteignungswelle auf immaterieller Ebene. Ablauf und Modus der Wortenteignung ähneln frapant den währungspolitischen Vorgängen. Die Entwertung des Geldes durch das Zwangswährungsmonopol der Staaten brockt der Welt immer drastischere Finanz- und Wirtschaftskrisen ein. Der fleißig und sparsam wirtschaftende Mensch sieht sich immer wieder um die Früchte seiner Arbeit betrogen. Die Betrogenen merken dies viel zu spät, da die Enteignung in Friedenszeiten schleichend vor sich geht, vorrangig über die laufende Inflationierung des Papiergeldes. Die Folge: Immer weniger Menschen wollen produktiv tätig sein.
Die Währung für wirtschaftliches Handeln ist Geld. Geld bildet Grundlage des arbeitsteiligen Marktes. Geld steht für all das, was die Menschen durch ihre Arbeit geschaffen und gespart haben. Wenn das Geld durch räuberische Vermehrung nicht mehr den arbeitenden und handelnden Menschen gehört, werden Arbeitskraft und Ersparnisse Schritt für Schritt ausgehöhlt.
Die Währung für gedankliches und sprachliches Handeln ist das Wort. Das Wort bildet die Grundlage für die geistigen Auseinandersetzung mit der Welt. Es ist das Wort, auf dem unsere Kultur aufbaut. Wenn das Wort durch die Aushöhlung des Urheberrechts enteignet wird, kommt es zur Inflation der Wörter und in der Folge zu deren verantwortungslosem Gebrauch. Das inflationierte Wort verliert seine Aussagekraft. Die Folge: Je weniger die Worte aussagen, desto ihrer mehr werden produziert. Schließlich entsteht ein allgemeines Wortgetöse, in dem kluge Gedanken untergehen. Die Geisteskraft des Menschen wird ausgehöhlt, immer weniger Menschen sind bereit, durch tiefes Nachdenken schöpferisch tätig zu sein.
Auch legalisierter Mißbrauch ist Mißbrauch
Eine große Gefahr droht durch die Macht der Gewohnheit. Bereits in der Schule ist es gängige Praxis, Textpassagen aus dem Internet abzuladen und als eigene Gedankenschöpfung zu präsentieren. Schließlich wird niemand mehr etwas dabei empfinden, jemand anderem aus einer puren Laune heraus das wegzunehmen, was man gerade braucht und selbst gerade oder überhaupt nicht zur Verfügung hat.
Eines ist inzwischen klar geworden: Die herkömmlichen Mittel des Eigentümerschutzes in bezug auf das geistige Gesamtwerk sind angesichts der technischen Möglichkeiten nur noch Makulatur. Sowohl Urheber geistiger Werke wie Gesetzgeber müssen völlig neue Wege beschreiten. Für alle Lebensbereiche gilt grundsätzlich, daß der massenhaft praktizierte Mißbrauch oder das täglich begangene Unrecht nichts an dessen unmoralischem Wesen ändert. Es ändert sich auch dann nicht, wenn das unmoralische Handeln aus Hilflosigkeit oder Bequemlichkeit stillschweigend toleriert oder gar ausdrücklich straffrei gestellt wird. Selbst wenn das Plagiieren heute schon als „normal“ erscheint, so bleibt es doch Unrecht.
Um den bis in die höchsten akademischen Kreise betriebenen geistigen Diebstahl nachträglich zu rechtfertigen, wurden prominente Fälle banalisiert und die Frage diskutiert, ob das Abschreiben aus fremden Textpassagen überhaupt als Delikt zu werten sei. Diese Diskussion entspringt der stupenden Hilflosigkeit gegenüber dem weit verbreiteten Plagiatsunwesen.
Das Recht des Schöpfers an seinem Werk
Freilich wird man, wie wir gesehen haben, die bloße Idee nicht als Eigentum reklamieren können – und das ist tatsächlich nicht wünschenswert. Die Verpackung der Idee aber ist eine eigentümliche Leistung und bedarf daher dringend eines Urheberrechts, das dem Schöpfer des Gesamtwerkes die Früchte der Arbeit zuspricht und ihn vor „digitalen Taschendieben“ schützt.
Das Recht des Schöpfers an seinem geistigen Werk ist mitnichten ein Bremsklotz für die kulturelle Entwicklung, wie allenthalben behauptet wird. Wer solchen Unsinn nachplappert, findet sich in verwandtschaftlicher Nähe zu den Propagandisten der Hochfinanz, welche den schleichenden Diebstahl am privaten Volksvermögen damit rechtfertigen, daß mit den Krediten (aus dem Nichts) die Wirtschaft „angekurbelt“ werden müsse, um den Wohlstand zu erhalten bzw. zu steigern. Wie falsch das ist, wissen nachdenkliche Zeitgenossen auch, ohne die Kernsätze der Wiener Schule der Ökonomie zu kennen. Was für das Geld gilt, ist für die Währung des menschlichen Geistes nicht minder wahr: das Wort darf nicht enteignet werden, damit die Sprache nicht zur hohlen Phrasendreschmaschine verkommt.
Die Natur sucht immer den kürzesten Weg. Weil der abendländische Mensch gelernt hat, durch persönlichen Verzicht und harte Arbeit im Hinblick auf die Zukunft Umwege zu beschreiten, hat sich eine einzigartige Kultur entwickelt. Voraussetzung dafür war die Installierung des Eigentumsschutzes, im Dekalog als siebtes Gebot festgeschrieben. Arbeitsamkeit, Genügsamkeit, Mäßigung, geistige und moralische Bildung sind prosperitätsträchtige Eigenschaften, die der Mensch nur in einer Gesellschaft entwickeln kann, in welcher der private Eigentumsschutz absolute Priorität genießt.
Ob in Zeiten des Internets ein wirkungsvoller Schutz geistigen Eigentums durchgesetzt werden kann, ist mehr als fraglich. Die hilflose Forderung, eine unmoralische Verhaltensweise allein deshalb für legal zu erklären, weil sie zur gängigen Praxis geworden ist, führt in eine Sackgasse. Diebstahl bleibt Diebstahl, auch wenn es ein Gesetz gäbe, das es ausdrücklich erlaubte, zu stehlen.
Kommentare zum Artikel
Bitte beachten Sie beim Verfassen eines Kommentars die Regeln höflicher Kommunikation.
Keine Kommentare