Das Tsipras-Dilemma

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Einerseits gilt das lateinische Wort: pacta sunt servanda. Die Euroskepsis der AfD wie auch vieler Blogger und Kommentatoren bei der Freien Welt muss ihre Grenzen dort finden, wo rechtlich gültige Abmachungen willkürlich über den Haufen geworfen werden sollen. Zumal die Milliarden, die vor allem Deutschland zur Verhinderung des Staatsbankrotts nach Griechenland transferiert hat, zwar kaum je zurückbezahlt werden, aber den Schuldner doch zu einem veränderten politischen Verhalten und neuer ökonomischer Verlässlichkeit führen sollte. Zwei Punkte sollten bedacht werden: Deutschland hat sich der EU ebenso vertraglich verpflichtet und konnte daher kaum tatenlos zusehen, war vielmehr gehalten zu handeln; ferner hat es nach allgemeiner Ansicht, zu der ich mangels tieferer Einsicht in die Zahlen wenig sagen kann, an dieser Griechenlandhilfe verdient, die also nicht ganz uneigennützig war, was aber, wenn es so wäre, auch das gute Recht Deutschlands ist.

Doch war die de-facto-Kolonialisierung Griechenlands durch die EU keine gute Sache. Das Land hat eindeutig (wenigstens Teile seiner) Souveränität eingebüßt und wurde von einer sogenannten Troika verwaltet, die keine demokratische Legitimation hatte. So sehr Euroskeptiker das Rettungsgebaren auch der deutschen Regierung kritisierten, so sehr mussten sie die Mittel, mit denen ein europäisches Land durch die EU erniedrigt wurde, missbilligen. Natürlich hat sich Griechenland wider besseres Wissen in die Eurozone geschwindelt, aber nicht nur der damalige deutsche Finanzminister Eichel hat das gewusst und den illegalen Beitritt billigend in Kauf genommen. Das rechtfertigte aber kaum das schroffe Agieren der EU gegenüber Griechenland.

Jetzt zeigt sich, dass der beherzte Rausschmiss der Troika durch die Regierung Tsipras die Euroskeptiker vor ein Dilemma stellt: Sollen sie sich darüber aufregen, dass Griechenland sich möglicherweise aus europäischen Verträgen und eingegangenen Verpflichtungen herauswindet oder sollen sie sich freuen darüber, dass wieder einmal ein europäisches Land der EU-Bürokratie gezeigt hat, wie es nicht geht? Die Wahl einer linken Regierung stellt die EU heute vor ähnliche Probleme wie 2010 die Wahl einer rechten Regierung in Ungarn: Ein legaler und demokratischer Regierungswechsel wird kritisiert. Nicht nur ihre Kritiker, auch die EU ist in einem Dilemma.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Adorján Kovács

@E. Oberdörffer
Vielen Dank. Gerade Ihre Argumente stützen doch letztlich meine Verwirrung, die ich im Beitrag zum Ausdruck brachte. Wenn schon die Ausgangsverträge rechtlich problematisch sind, wie Sie sagen, kann auch ein Rechtsbruch Griechenlands kaum verurteilt werden. Umgekehrt kann jemand, der mehr Volksentscheide will, kaum gegen eine Regierung Tsipras sein, die eindeutig den Volkswillen umsetzt, wenn sie auf einem Schuldenschnitt besteht. Das alles ist doch sehr widersprüchlich und zeigt, dass die EU in einer echten Krise ist.

Gravatar: Markus Estermeier

Bezüglich der Euroskeptiker hat sich Herr Oberdörffer bereits hinreichen geäussert.
Zum nächsten Punkt:
"...ferner hat es nach allgemeiner Ansicht, zu der ich mangels tieferer Einsicht in die Zahlen wenig sagen kann, an dieser Griechenlandhilfe verdient..."
Sicherlich haben auch einige Marktteilnehmer daran verdient. Auf realwirtschaftlicher Seite ein paar Exporteure, die via EZB (Target II) über die Bundesbank > Hausbank ihre Griechenlandlieferungen bezahlt bekamen. Dieses "Guthaben" der Bundesbank bei der EZB stellt aber eine "uneinbringliche Forderung" dar, da der Schuldner (griechische Nationalbank) zahlungsunfähig ist.
Sowohl die tatsächlichen Zahlungen, wie auch die Bürgschaften an Griechenland bedeuten ja nur einen Aufschub der endgültigen Zahlungsunfähigkeit. Unsere Banken und Versicherungen brauchten Zeit, ihre "sicheren" Anleihen los zu werden. Noch vor 2 Jahren hat meine Hausbank "hochrentable Griechenlandanleihen" an ihre unbedarften Kunden verhökert. Solche Eigenbestände auszumisten geht ja schliesslich nicht von heut auf morgen.

Gravatar: Helene

Ich sehe das wie Sie, Herr Oberdörffer. Denn dieser Satz stimmt einfach nicht: "Deutschland hat sich der EU ebenso vertraglich verpflichtet und konnte daher kaum tatenlos zusehen, war vielmehr gehalten zu handeln ....". Dieses Handeln geschah doch, indem man einen Vertrag gebrochen hat. Das war der Fluch der bösen Tat, begründet mit dem fast dümmsten Satz aller Zeiten: "Scheitert der Euro, dann scheitert Europa."

Gravatar: Klimax

Die Euro-Gangster haben Verträge gebrochen und den Rechtsstaat in Europa zur Farce gemacht. Nun geht es weiter mit Ausbeutung und Erpressung. Wenn vorher feststeht, daß Griechenland im Euro bleiben muß, ist das Erpressungspotential riesig. Es wird genutzt werden. Wenn wir ein Ende des Dramas wollen, dann muß das kleinere Übel des Euro-Ausstiegs durch Griechenland dem größenen einer europäischen zentralistischen Transferunion, die auch, nur später, gegen die Wand fahren wird, vorgezogen werden. Wir dürfen nicht alles mit uns machen lassen. So viel Verantwortung der Zukunft unserer Kinder gegenüber müssen wir haben und notfalls die eigenen Politiker entmachten.

Gravatar: Karin Weber

Also ich sehe das ganz locker. Uns Bürger hat man nie gefragt und wir haben auch nix beschlossen und/oder vereinbart. Gleichfalls habe ich der politischen Klasse auch keine Vollmacht zu solchen Handlungen und/oder dem Verschleudern meines bzw. des Volkes Geldes gegeben.

Langsam kommen wir hier in die Phase, wo das mal alles eine Rolle spielen und Rechenschaft gefordert wird. Auch wenn der Bürger sicher letztlich den Schaden tragen muss, aber mit den Tätern (Politiker u. Parteien) wird sich das Volk in Sachen "Haftung" auseinandersetzen müssen. Die Beschlagnahmung von Privat- und Parteivermögen ist da nur ein Teil der Wiedergutmachung. Insbesondere die Aktionen von Frau Merkel und Herrn Schäuble waren allesamt persönliche Alleingänge.

Gravatar: Elmar Oberdörffer

"Die Euroskepsis der AfD wie auch vieler Blogger und Kommentatoren bei der Freien Welt muss ihre Grenzen dort finden, wo rechtlich gültige Abmachungen willkürlich über den Haufen geworfen werden sollen." Ja, wo werden denn rechtlich gültige Abmachungen, also Verträge, willkürlich über den Haufen geworfen? In der EU, und durch die EU-Organe! Maastricht-Vertrag, Lissabon-Vertrag, das Verbot der Staatsfinanzierung durch die EZB, alles wird doch nach Belieben mißachtet und gebrochen! Hat jemand die Griechen gezwungen, sich über jedes vernünftige Maß hinaus zu verschulden? Und jetzt wollen und können sie die Schulden nicht zurückzahlen und verlangen von uns, daß wir diese Last übernehmen. Mit welchem Recht? Die Euroskepsis und die EU-Skepsis vieler Bürger ist durchaus berechtigt. Kein Bürger ist zu den erwähnten rechtlich gültigen Abmachungen befragt worden, das ist alles diktatorisch über die Köpfe der Bürger hinweg entschieden worden. Weshalb sollen dann die Bürger die erwähnten rechtlichgültigen Abmachungen respektieren, die zum Teil unter Bruch anderer rechtlich gültiger Abmachungen zustande gekommen sind?

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