Das Problem mit der Meinungsfreiheit

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Deutsche Medien und Politiker werfen in Europa Ungarn und vor allem Russland eine Verletzung der Meinungsfreiheit vor. Darunter wird anscheinend verstanden, dass in diesen Ländern offensichtlich auch Meinungen geäußert werden, die hierzulande tabu sind und gleichzeitig Meinungen angeblich unterdrückt werden, die hierzulande en vogue sind.

Tabu und en vogue genannt werden müssen hierzulande nur jene Meinungen, die in den Leit- oder Systemmedien tabu und en vogue sind. Man könnte das die veröffentlichte Meinung nennen. Im Netz gibt es aber noch Meinungen zu lesen, die für die Leit- oder Systemmedien tabu sind. Gleichzeitig kümmern bestimmte Meinungen, die für die Leit- oder Systemmedien en vogue sind, die öffentliche Meinung, so sie sich im Netz äußert, herzlich wenig.

Unter Meinungen sollen an dieser Stelle selbstverständlich nicht irgendwelche platten Äußerungen verstanden werden, sondern solche, die mit nachprüfbaren Begründungen versehen sind.

Ein typisches Beispiel für eine en-vogue-Meinung ist die Gleichstellungspolitik, insbesondere die Forderung nach der mit ihr verbundenen Frauenquote. Auf verschiedenen Plattformen ist vor kurzem ein Offener Brief an den Deutschen Presserat erschienen, der „fundamentale Prinzipien der journalistischen Arbeit“ einfordert, die in der Behandlung der oben genannten Themen verletzt werden: „Sachlichkeit, weltanschauliche Neutralität, die Trennung von Nachricht und Weltanschauung sowie Nachricht und Kommentar, Unabhängigkeit, Unvoreingenommenheit, Ausgewogenheit und Nachprüfbarkeit.“ Ziel solcher Prinzipien wäre die „Annäherung an die Realität und eine objektive Berichterstattung“.

Hingegen werden, wie jeder Zeitungsleser feststellen kann, „widersprechende Meinungen“ zu diesen Themen, deren Darstellung aber eigentlich journalistische Aufgabe wäre, nicht zugelassen, sondern unterdrückt, d. h. nicht gedruckt, nicht gesendet, nicht publiziert. Die Schere im Kopf bewirkt außerdem, dass die herrschende Gleichstellungspolitik von den Journalisten der Leit- und Systemmedien vorausgesetzt wird, anstatt sie, wie es aufklärerische Pflicht wäre, zu hinterfragen und zu kritisieren.

Weitere Beispiele sind leicht zu finden; ich will sie nicht auflisten. Bestimmte Dinge darf man einfach nicht sagen, auch mit sachlich fundierten und interpersonell nachprüfbaren Begründungen nicht; jeder Leser kann das an vielen Themen selber ausprobieren. Die Folge wären natürlich nicht Gefängnis, aber doch soziale Ächtung und möglicherweise auch ernste berufliche Konsequenzen. So werden Kritiker der Gleichstellungspolitik, werden sie nicht von vorneherein medial unterdrückt, von den Vertretern der Leit- und Systemmedien „als Extremisten und als politisch rechts denunziert“. Auf Wikipedia, das, obwohl im Netz, schon so weit kontrolliert ist, dass es zu den Leitmedien gezählt werden muss, wird ein solcher Kritiker das ihm von einem anonymen „Bearbeiter“ angeklebte Etikett, er sei „rechts“, nicht mehr los. Das ist wie ein Pranger.

Henryk M. Broder hat in einem Beitrag auf der „Achse des Guten“ („Das Problem des trockenen Alkoholikers“) darauf hingewiesen, dass nun schon das Erzählen harmloser [Ausländer-]Witze als „rassistisch“ gebrandmarkt werden kann. „Wenn eine Gesellschaft über einen [...] harmlosen Witz in Rage gerät, dann hat sie entweder keine wirklichen Probleme und muss aus schierer Langeweile welche erfinden, oder sie hat in der Tat ein dickes Problem mit dem eigenen Rassismus – wie ein trockener Alkoholiker, der nicht einmal eine Mon-Chéri-Praline auspacken darf, um nicht rückfällig zu werden.“ Tatsächlich haben in Analogie dazu die Leit- und Systemmedien ganz offensichtlich ein Problem mit der Meinungsfreiheit. Anscheinend geraten diese Medien darum so in Rage bei ihren selbstdefinierten Tabu-Themen, weil sie selber so sehr gefährdet sind, intolerant und propagandistisch zu werden. Zu einem guten Teil sind sie es schon.

Um keinen Beifall von der falschen Seite zu bekommen, sei nochmals betont: Es geht nicht um sogenannte „Meinungen“, die unbegründet und pauschal verurteilen. Broder fügt deshalb in seinem Beitrag über den Ausländerwitz auch hinzu: „Erst wenn sich der Witz mit einer Vernichtungsfantasie verbindet, nimmt er eine bedrohliche Haltung ein.“ Das kann niemand wollen.

Aber das Problem mit der Meinungsfreiheit besteht im Deutschland des Jahres 2014 eben darin, dass nicht nur unbegründete und pauschale „Meinungen“, denn das ist unstrittig, sondern gerade auch sachlich begründete und differenzierte Meinungen nicht geäußert werden dürfen, verschwiegen werden oder mit den oben genannten Konsequenzen zu rechnen haben. Es stellt sich daher die Frage, ob in Deutschland noch von uneingeschränkter Meinungsfreiheit geredet werden kann.

Umgekehrt wissen Leute, die ungarisch oder russisch können, dass in Ungarn und Russland Meinungen in einer Breite und Vielfalt geäußert werden, die beeindruckend ist und die Verhältnisse in Deutschland hinter sich lassen.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: DerLektor

Herr Kusch, den Artikel musste ich nicht noch einmal lesen. Ich bleibe bei meiner Aussage.
Ihren Hinweis auf Springer habe ich allerdings wirklich nicht verstanden.

Gravatar: Kusch

Herr "DerLektor"
bitte tun sich sich einen Gefallen und lesen Sie den Beitrag noch einmal.
Es könnte sein, dass Sie ihn dann verstehen!
Oder " gehen Sie zu einem Springer - Journalisten " der übersetzt Ihnen den Artikel
in kämpferischer Mainstream - Manier

Gravatar: DerLektor

Gut zu wissen, dass Herr Broder den Maßstab dafür setzt, wann und worüber man lachen soll und wann und worüber nicht. Was qualifiziert ihn eigentlich dafür?

Gravatar: Dr. Alexander Ulfig

Ich kann russisch und ich lese russische Zeitungen (Leitmedien) im Internet. Dort wird wesentlich OFFENER und FREIER geschrieben und diskutiert als in Deutschland.

Gravatar: Stellmacherei

Russisch oder Ungarisch beherrsche ich auch nicht.
Doch die Schilderungen der weißrussischen Ehefrau eines Freundes von mir bestätigen immer und immer wieder im Gro0ßen und Ganzen die Anmerkungen von Professor Adorján F. Kovács bezüglich Russlands!

Gravatar: Stellmacherei

Leider kann ich auch kein ungarisch oder russisch. Aber im Großen und Ganzen beschreibt die weißrussische Frau eines Freundes von mir die Sachlage für Russland ähnlich wie Prof. Kovacs!

Gravatar: pit

Der Artikel gefällt mir außerordentlich gut.

Gravatar: Winfried Schley

Nachdenkenswert, auch wenn ich diese Aussagen mangels russischer und ungarischer Sprachkenntnisse nicht auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen kann.

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