Chapeau, Herr Richter

Pinkeln am „Spülsaum der Ostsee“ erlaubt – Wasserlassen unter freiem Himmel keine grob ungehörige Handlung – Das gesellige Wasserlassen an durchgehenden Pissoirs für Männer – Eine gewisse Üblichkeit und Duldung beim Wandern, Pilzesammeln und sonstigen naturnahen Beschäftigungen – Der bei der Ostsee-Wassermenge zu hohe Verdünnungsgrad – Ein vergnügliches und vermutlich legendäres Urteil

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Nehmen wir einmal an: Sie sind mit ein paar Freunden am Strand. Es ist ein Strand an der Ostsee, der von Lübeck-Travemünde. Zusammengeführt hat sie ein geselliger Anlass, die Travemünder Segelwoche. Der Tag hat sich verdämmert, eine laue Sommernacht ihn abgelöst. Man plaudert, man fühlt sich wohl, man trinkt. Getrunkenes pflegt nach einer gewissen Zeit dem Drang wieder nach draußen schwerlich zu widerstehen. Wie dem Drang nachgeben? Was liegt näher, als das Wasserlassen dort zu vollziehen, wo Wasser ohnehin in Fülle schon vorhanden ist. Und so geschieht es dann auch. Einer der Freunde begibt sich ein paar Schritte fort und vertraut sein Wasser dem Ostseewasser an.

Das Meer ist groß, das Meer ist weit – und sehr aufnahmefähig und die Gefahr, es könne durch die zusätzliche Anreicherung über seine Ufer treten, ziemlich gering. Es geht auf Mitternacht zu. Zufälliger- wie unglücklicherweise läuft dort zur gleichen Zeit Personal des Lübecker Ordnungsamtes herum. Es beobachtet das Geschehen, das wegen der Dunkelheit zunächst nur schemenhaft wahrzunehmen ist, und vermag es daher erst mittels Taschenlampe dem Schutz der Dunkelheit zu entreißen. Die (insgesamt drei) Ordnungshüter beurteilen die Entwässerung – vielleicht ist unter ihnen zumindest eine empfindsame Frau – als unsittlich und notieren die Tat als Verstoß gegen die öffentliche Ordnung. Einige Zeit später folgt ein Bußgeldbescheid über 60 Euro. Es zu zahlen, verweigert der Täter. Das Verfahren landet vor Gericht.

Als habe dem Richter das Urteil so richtig Spaß gemacht

Was man sich zunächst nur auszudenken vermag, wird gelegentlich von der Wirklichkeit eingeholt. Das scheinbar nur Ausgedachte hat sich aber genau so abgespielt. Doch die nach Ansicht des hansestädtischen Ordnungsamtes verübte Untat stieß auf einen Richter, der sich, so meint man beim Lesen seines Urteils zu spüren, wegen der Belanglosigkeit des Vergehens das Vergnügen am Formulieren des Urteils und ein Dauergrinsen nicht verkneifen konnte. Er sprach den Übeltäter frei und formulierte Sachverhalt und Begründung des Urteils (Aktenzeichen: 83a OWi 739 Js 4140/23 jug), als habe ihm das so richtig Spaß gemacht, nämlich so:  Bitte hier weiterlesen

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: John Frederick

Die (insgesamt drei) Ordnungshüter beurteilen die Entwässerung – vielleicht ist unter ihnen zumindest eine empfindsame Frau – als unsittlich


Schade, dass jetzt überall - dümmlich/dumme - Frauen mit dabei sind.
Männer würden humorvoller reagieren.

Gravatar: Hans-Peter Klein

@ Krause, Klaus+Peter+Dr. 20.10.2023 - 12:46

Die PS wind-offshore sind signifikanter Bestandteil der (Wind-) Analyse.
Auch Ihnen ein erholsames Wochenende, trotz vorhergesagter Sturmflut im hohen Norden.
MfG, HPK

Gravatar: Krause, Klaus+Peter+Dr.

@Hans-Peter Klein: Prima, Herr Klein. Ich sehe, Sie haben Humor und verstehen Spaß. (Ihr PS. lasse ich mal beiseite). Ein schönes Wochenende wünscht Klaus Peter Krause

Gravatar: Hans-Peter Klein

Dieser Vorfall wirft ernsthafte Fragen auf.

Wo war der obligatorische dreimalige Warnruf "Achtung" von mindestens Einem der drei Ordnungshüter ?

Wie war die Windrichtung zwischen dem Delinquenten und den Ordnungshütern während dem Vorgang der Verrichtung?

Fallstudie:
1. Landwind:
Dieser Fall ist juristisch unterkomplex, da sich Wind und Urinat in gleicher Richtung bewegen, somit eine unbeabsichtigte Strandbeschmutzung ausgeschlossen werden kann.

2. Seewind frontal von vorne:
Hier muß von unbeabsichtigter Selbstschädigung des Delinquenten ausgegangen werden, für die er die volle Eigenverantwortung trägt.

Nach Angaben zum Vorfall stand der Delinquent zur Tatzeit mit dem Rücken zum Strand.
Ungeklärt ist ob dies für den gesamten Tatzeitraum zutraf.
Nicht auszuschließen sind spontane Drehungen, hervorgerufen möglichweise durch kommunikativen Austausch mit den umstehenden Begleitpersonen, möglicherweise auch als Spontanreaktionen auf die Warnrufe der Ordnungshüter.
Neben einer optisch-ästhetischen muß zusätzlich von einer olphaktorischen Belästigung, möglicherweise Beschmutzung des öffentlichen Raumes ausgegangen werden von nicht geklärter Größenordnung.

Dem Urteil des Richters, wonach
„Die verbliebenen tatsächlichen Feststellungen rechtfertigen die Annahme einer Belästigung der Allgemeinheit nach § 118 OWiG nicht.“

schließe ich mich mich dann an, wenn von einer glaubwürdigen Reue des Beklagten ausgegangen werden kann.

seines Zeichens
HPK

P.S.: Update Stromwende 19.10.23:
- 205 TWh (60,1%) durch EE
- davon 17 TWh (5%) durch Wind-Offshore

Gravatar: Croata

Natürlich.
Die Tiere dürfen pinkeln, die Menschen müssen (!) die Strafe zahlen .
Was für ein Paradox.
Von lauter Verbote und Beschränkungen kann ich ko*en.
Die Ampel zeigt der Weg!

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