Brüderle entdeckt die Langsamkeit

Einen Funken klimapolitischen Realismus ließ Wirtschaftsminister Brüderle aufblitzen als er am Dienstag in Brüssel anmahnte, Europa müsse sich bei der Umsetzung seiner Emissionsminderungsziele mehr Zeit lassen.

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Prompt musste er eine Breitseite der Alarmistenfraktion einstecken, die bekanntermaßen an die Quadratur des klimapolitischen Kreises glaubt und davon ausgeht, dass uns der Klimaschutz  wie von Geisterhand aus der wirtschaftlichen Depression befreit. Sicher, man muss nur feste dran glauben. In dieser Traumtänzerwelt kann man dem Wirtschaftsminister die Entdeckung der Langsamkeit  gar nicht hoch genug anrechnen.

Erst vor wenigen Tagen hat der amerikanische Ökonom William Nordhaus, Vater des bekannten integrierten Klimamodells RICE  (Regional Integrated model of Climate and the Economy); seine Projektion für einen Alleingang der Industriestaaten veröffentlicht und dabei festgestellt, dass die Industrieländer sich und dem Rest der Welt damit einen Bärendienst erweisen würden. Ein ambitionierter Alleingang der Industrieländer ist derzeit die schlechteste aller alternativen Klimaschutzstrategien. Gegenüber einer optimalen Klimaschutzpolitik, bei der man sich  redlich bemüht weltweit moderate, dafür aber einheitliche Preise für Kohlendioxidemission zu implementieren, würde ein starrsinniges Vorpreschen wenig Nutzen, dafür aber umso höhere Kosten für die betroffenen Ländern hervor bringen. In einer früheren Simulation hatte er dem blauäugigen Aktionismus bereits exorbitant hohe Kosten bescheinigt. So würde die Erreichung des von der EU nach wie vor anvisierten Zwei-Grad-Ziels bei einer Teilnahme der größten fünf globalen Emittenten 114 Prozent höhere Kosten, ein Teilnahme der zehn größten Emittenten 66 Prozent höhere Kosten und eine Teilnahme der 25 größten Emittenten immer noch 50 Prozent höhere Kosten als bei einem global einheitlich abgestimmten Vorgehen verursachen. Diese ernüchternden Zahlen setzen jedoch voraus, dass sich die Politik auf eine effiziente Vermeidungspolitik mit einem einheitlichen Abgabensatz auf Treibhausgasemissionen konzentriert, eine Prämisse die von den EU-Mitgliedsländern derzeit eklatant verletzt wird. Auch andere Modellsimulationen gehen in aller Regel davon aus, dass sich die Klimapolitik darauf beschränkt, ihre Ziele kostenminimierend mit marktkonformen Instrumenten zu erreichen. Berücksichtigt man jedoch die Realität, in der widersprüchliche Klimaschutzauflagen, sektoraler Emissionshandel und ineffektive Subventionen die Kosten der Klimapolitik zusätzlich in die Höhe treiben, bleibt von den Hurra-Parolen der Klimaaktivisten nicht viel Substanz übrig.

Da hilft es auch nicht, wenn sich Vertreter der harten Linie darauf berufen, dass strenge Klimaschutzziele weniger als bisher erwartet zu einem direkten Export der Treibhausgasemissionen führen. Da der größte Teil der Leakageeffekte durch Brennstoffpreissenkungen aufgrund verringerter Energienachfrage in den Klimaschutz betreibenden Ländern stattfindet und die Verlagerung energieintensiver Industrien eher untergeordneter Natur ist, trägt diese Argumentation gerade nicht zur Relativierung des Problems eines teuren doch wenig wirksamen Klimaschutzes durch die Industrieländer bei.Das was in den Industrieländern aufgrund hoher Energiepreise nicht konsumiert wird, nehmen aufstrebende Wirtschaftsmächte wie China liebend gern zu günstigeren Preisen ab. Unsere Askese kommt im Zweifel dem Rest der Welt gerade gelegen. Trotzdem dürfte zu erwarten sein, dass die harte Hand ambitionierter Ziele in Europa durch weiche Ausnahmen für diese und jene Branche ergänzt wird, was sich nicht gerade förderlich auf die Effizienz des klimapolitischen Alleingangs auswirken dürfte. Wer mit der Flucht droht, bleibt ungeschoren, wer  sich nicht so leicht davonmachen kann, zahlt die Rechnung.

Generell mangelt es dem europäischen Klimaschutzmodell an einer rationellen Abwägung von Kosten und Nutzen. Derzeit existierende Modellsimulationen zu den sozialen Kosten zusätzlicher Treibhausgasemissionen rechtfertigen lediglich moderate Klimaschutzschritte mit effizienten Umweltinstrumenten. Gelingt deren Implementation in absehbarer Zeit nicht, und daran besteht seit dem Scheitern der Verhandlungen in Kopenhagen im vergangenen Jahr kaum ein Zweifel, dann ist es vernünftiger sich primär um die Lösung dringender Entwicklungsprobleme zu kümmern. Jüngst veröffentliche Forschungsergebnisse zum Einfluss des Klimawandels auf die Verbreitung der Malaria zeigen beispielsweise, dass ein wirksamer Kampf gegen die Ausbreitung von Malariaüberträgern ein Vielfaches an Wirksamkeit verspricht, als Hoffnungen, die Ausbreitung der Krankheit durch die Kontrolle der Erdtemperatur zu reduzieren. Doch ein derart nüchternes Abwägen von Vor- und Nachteilen ist nicht nach dem Geschmack der Politik, die sich die Gunst ihrer Unterstützer noch immer mit wirtschaftlichen oder ideologischen Zugeständnissen an einflussreiche Minderheiten erkauft. Der verantwortungsvolle Umgang mit knappen Ressourcen war dabei noch nie die Stärke der politischen Entscheidungsträger.

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