Bitte nicht füttern!

An einem der wenigen sonnigen Märztage dieses Jahres zieht es mich hinaus in die Natur. In bewaldetem Gelände führt mich ein Forstweg zu einer Lichtung, auf der sich ein gutes Dutzend Rotwild tummelt. Hoher Maschendrahtzaun umfriedet die Wiese. Wo das Gelände an den Gehweg grenzt, drängen sich Hirsche und Rehe an das Maschengitter. Im Näherkommen erkenne ich den Grund dafür. Eine junge Frau hält eine Plastiktüte, aus der sie Brotbrocken herausholt, die sie durch die Drahtmaschen steckt. Eine ältere Frau und ein Kind von etwa fünf Jahren schauen zu.

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Ich bleibe stehen, und gleich fällt mir das große Schild in die Augen, das unübersehbar in Augenhöhe am Drahtmaschengeflecht befestigt ist: BITTE NICHT FÜTTERN! Ich lese laut. Die ältere Frau, offensichtlich die Mutter der jungen Frau und Oma des Kindes, bläst den Rauch ihrer Zigarette aus, entblößt dabei gelbe Zähne und sagt mit der typisch heiseren Stimme des Kettenrauchers: „Ja, das haben wir leider erst zu spät gesehen.“

Leider zu spät gesehen. Immerhin spricht daraus ein gewisses Bedauern. Weshalb aber setzt die junge Frau am Zaun ihre Fütterung unverdrossen fort, so als sei dies ein selbstlaufendes Programm, das, erst einmal in Gang gesetzt, nicht mehr abgebrochen werden kann?

„Sie hören ja noch immer nicht damit auf!“ Ich bin fassungslos.

„Wir haben das Brot extra mitgebracht, und jetzt verfüttern wir es eben.“

Das verschlägt mir für einen Moment die Sprache. Dann sage ich: „Meinen Sie nicht, daß sich der Besitzer etwas dabei gedacht hat, wenn er ein solches Schild aufhängt? Sie tun den Tieren nichts Gutes, wenn Sie dieser Bitte zuwiderhandeln!“ Die junge Frau läßt sich nicht aus der Ruhe bringen. Sie sagt: „Das ist trockenes Brot. Ich kenne Leute, die füttern sogar verschimmeltes Brot.“

Na prima. Schädliches Handeln wird damit entschuldigt, daß andere Leute noch Schädlicheres tun. In Situationen wie dieser pflegt sich mein sonst flüssiger Verstand zu verdichten in eine zähe Masse, wo insbesondere die klugen Worte klebenbleiben wie Fliegen am Leimstreifen. Ich mache einen Schritt vorwärts und greife blitzartig nach der Plastiktüte. Die junge Frau aber ist reaktionsschnell, mein Griff geht ins Leere. „Sie wollen mir doch nicht etwa die Tüte wegnehmen, aber pfui doch!“ höhnt sie.

„Hören Sie mit dem Füttern auf, es bekommt den Tieren nicht.“

Die Frau mit der Zigarette und den gelben Zähnen nimmt das Kind an der Hand und sagt: „Komm, laß uns gehen!“ Aber die junge Frau will den Platz nicht kampflos räumen. „Dann bleiben wir eben hier stehen“, sagt sie und wirft mir einen unzweideutigen Blick zu. Das Rotwild hat sich inzwischen zurückgezogen und schaut aus einiger Entfernung zu uns herüber. „Einverstanden“, sage ich, stelle mich auch in Position und komme mir dabei reichlich dämlich vor, was ziemlich dicht an der Realität liegen dürfte.

Es vergeht etwa eine halbe Minute, dann räumen die Frauen das Feld. Ich setze meine Wanderung fort und leide unter dem nagenden Gefühl, nur einen Scheinerfolg errungen zu haben.

Dumme Leute hat es immer gegeben, und man bekehrt sie nicht, indem man versucht, ihnen Plastiktüten mit Brot aus der Hand zu winden. Was auffällt, ist die Schamlosigkeit, mit der sich die Dummheit heute zur Schau stellt. Dummheit ist gesellschaftsfähig geworden. Und ist es denn ein Wunder? Wo auf der politischen Bühne Vertragsbruch, Rechtsbeugung und zur Rechtfertigung desselben die dümmsten Ausreden in aller Öffentlichkeit gebraucht werden, findet das sofort seine begeisterten Nachahmer im Volk. Der Eurokrat, der dem Volk Dinge verordnet, von denen jeder weiß, daß sie niemandem bekommen, unterscheidet sich bloß in seinem Erscheinungsbild von der Frau am Wildgehegezaun: er trägt keine Plastiktüte mit sich, sondern eine Aktentasche voller Papiere, die er unterschrieben hat oder noch unterschreiben wird, obwohl er sie nicht gelesen hat und auch nicht lesen wird. Und er unterschreibt, obwohl in ganz Europa Tafeln erscheinen mit der Aufschrift: BITTE NICHT UNTERSCHREIBEN!

Und ja, es muß ausdrücklich gesagt werden: Eurokraten, die dem europäischen Volk Schaden zufügen, tun dies keineswegs aus Bosheit, ebensowenig wie die Frauen am Wildgehegezaun, die das Wild mit Brot füttern. Beide sind bloß von unsäglich-unerträglicher Dummheit. 

 

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Markus

Man sieht also, auch als Kettenraucher kann man alt werden, man sollte sich nur öfter die Zähne putzen.

Gravatar: dickbrettbohrer

Becker: Was haben Sie gegen Grundschullehrerinnen? Sie diskriminieren ja doppelt - erstens den Beruf, und zweitens das Geschlecht!
Pfui aber doch!

Gravatar: Udo

Viel schlimmer sind die Deppen die Wildschweine und Waschbären in der Stadt füttern!

Gravatar: Becker

bläst den Rauch ihrer Zigarette aus, entblößt dabei gelbe Zähne und sagt mit der typisch heiseren Stimme des Kettenrauchers:
Hübsche Diskriminierung von Rauchern.
Was hat das mit der Fütterung zu tun?
Genauso einfach kann man sagen "Wna ja Grundschullehrerin".

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