Barmherzigkeit: Bedürfnis und Anspruch

Ein Heiliges Jahr der Barmherzigkeit, wie es Papst Franziskus ausrufen wird, weist sowohl auf einen Anspruch an uns als auch auf ein elementares Bedürfnis jedes Menschen hin.

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Wie berichtet, hat der Papst am 13. März im Rahmen der Bußfeier im Petersdom die Ausrufung eines Heiligen Jahres ausgerufen, dass die Barmherzigkeit thematisieren soll. In seiner Predigt hat er auch deutlich gemacht, warum dieses Thema in seinen Augen ein so wichtiges ist. Diese Predigt ist auch deshalb interessant, weil sie zwei Aspekte der Barmherzigkeit aufgreift: Den Anspruch an uns alle, Barmherzigkeit zu zeigen, und unser aller Bedürfnis nach der Barmherzigkeit Gottes.

Nicht wenige Kritiker werfen dem Papst ja vor, für alles und jedes Verständnis zu haben, sein hinsichtlich des Problems der Homosexualität geäußertes “Wer bin ich, dass ich urteilen könnte” wird ihm als Relativismus ausgelegt. Solchen Vorwürfen käme ein Jahr der Barmherzigkeit ganz recht, wenn es sich nur darauf bezöge, dass wir den Sündern gegenüber Barmherzigkeit zeigen sollten. In dieser Hinsicht kann Barmherzigkeit auch in die falsche Richtung ausgelegt werden in ein liberales “Du bist okay, ich bin okay”. Der Papst dagegen nutzt den Evangelientext zur Sünderin, die Jesus bei seinem Besuch bei einem Pharisäer mit Reue um Barmherzigkeit bittet (Lukas 7,36-50), um den Anspruch deutlich zu machen, der sich aus unserem eigenen Bedarf an Barmherzigkeit ergibt.

“Seid barmherzig wie der himmlische Vater!” (vgl. Lk 6,36), unter diesem Leitwort wird das Jahr der Barmherzigkeit stehen, und die Frage, die wir uns alle stellen können, ist, wie man das eigentlich macht. Der Papst stellt dazu das Evangelium in das Spannungsfeld von Liebe und Urteil bzw. Gerechtigkeit:

Da ist die Liebe der Sünderin, die sich vor dem Herrn demütigt; doch noch vorher ist da die barmherzige Liebe Jesu zu ihr, durch die sie gedrängt wird, zu ihm zu gehen. Ihre […] Küsse sind Ausdruck ihrer lauteren Zuneigung, und das reichlich ausgegossene wohlriechende Öl bezeugt, wie kostbar er in ihren Augen ist. Jede Geste dieser Frau spricht von Liebe und drückt ihre Sehnsucht nach einer unerschütterlichen Gewissheit in ihrem Leben aus: nach der Gewissheit, Vergebung erlangt zu haben. Diese Gewissheit ist etwas Wunderschönes! Und Jesus gibt ihr diese Gewissheit: Indem er sie annimmt, zeigt er ihr die Liebe Gottes zu ihr, ausgerechnet zu ihr, einer öffentlichen Sünderin! Die Liebe und die Vergebung sind gleichzeitig: Gott vergibt ihr viel, er vergibt ihr alles, weil sie »so viel Liebe gezeigt« hat. […]

Simon hat sich darauf beschränkt, Jesus zum Essen einzuladen, aber er hat ihn nicht wirklich aufgenommen. In seinen Gedanken beruft er sich nur auf die Gerechtigkeit, und damit begeht er einen Fehler. Sein Urteil über die Frau entfernt ihn von der Wahrheit und ermöglicht ihm nicht einmal zu begreifen, wer sein Gast ist. Er ist an der Oberfläche stehen geblieben – bei der Förmlichkeit – er war nicht fähig, auf das Herz zu schauen.

Das eher schlechte Beispiel des Simon macht den Anspruch und auch die Schwierigkeiten deutlich, denen wir uns ausgesetzt sehen. Ich selbst bin auch schnell dabei, bei den Äußerlichkeiten stehenzubleiben, dem anderen die Umkehr nicht zuzutrauen oder der Lauterkeit seiner Reue zu misstrauen. Wie gehe ich denn um mit Menschen, wie denke ich über Menschen, die sich einmal als “Sünder” gezeigt haben?

Wie geht Jesus damit um, wie verhält er sich zu einem reuigen Herzen?

Mit wieviel Liebe schaut Jesus auf uns! Mit wieviel Liebe heilt er unser sündiges Herz! Niemals erschreckt er vor unseren Sünden. Denken wir an den „verlorenen Sohn“: Als er sich entscheidet, zum Vater zurückzukehren, denkt er daran, was er ihm sagen will, aber der Vater lässt ihn gar nicht zu Wort kommen, er umarmt ihn (vgl. Lukas 15, 17-24). So ist Jesus mit uns. „Pater, ich habe so viele Sünden…“ – „Aber Er wird sich freuen, wenn du gehst: Er wird dich umarmen mit so viel Liebe! – Keine Angst!“

Das zu verstehen, einerseits den eigenen Bedarf an Barmherzigkeit, die Notwendigkeit zur eigenen Umkehr zu sehen, und andererseits Barmherzigkeit gegenüber jedem zu zeigen, der ihrer bedarf (was wiederum nichts mit Relativismus zu tun hat), das ist ein großes Thema, das sich bestimmt für ein Heiliges Jahr eignet:

Liebe Brüder und Schwestern, ich habe oft darüber nachgedacht, wie die Kirche ihre Sendung, Zeugin der Barmherzigkeit zu sein, deutlicher machen könnte. Es ist ein Weg, der mit einer geistlichen Umkehr beginnt; und diesen Weg müssen wir gehen. Darum habe ich entschieden, ein außerordentliches Jubiläum auszurufen, in dessen Zentrum die Barmherzigkeit Gottes steht. Es wird ein Heiliges Jahr der Barmherzigkeit sein. Wir wollen es im Licht des Herrenwortes leben: „Seid barmherzig wie der himmlische Vater!“ (vgl. Lk 6,36). Und das gilt besonders für die Beichtväter! Ganz viel Barmherzigkeit!

Ich bin kein Theologe und kein Kirchenhistoriker, ich kann nicht beurteilen, ob es für ein Jahr der Barmherzigkeit eines Heiligen Jahres bedurft hätte. Mir scheint aber, angesichts meines eigenen Bedarfs an Barmherzigkeit und meiner mangelnden Fähigkeit, Barmherzigkeit zuzugestehen, dass man das Thema eigentlich nicht überschätzen kann. Ohne Gottes Barmherzigkeit werden wir es nicht schaffen, durch die schmale Tür ins Paradies zu gelangen, und der Anspruch an uns, barmherzig zu sein wie der Vater im Himmel ist mehr als deutlich. Mit seinen letzten Worten:

Vergessen wir nicht, dass Gott alles vergibt und dass Gott immer vergibt. Werden wir nicht müde, um Vergebung zu bitten.

… erinnert der Papst mich noch mal an Aussagen vom Beginn seines Pontifikats, in denen er deutlich machte, dass Gott uns immer wieder vergibt, wir nur müde werden, um Vergebung zu bitten. Auch hierzu kann ein Jahr der Barmherzigkeit dienen und so wird daraus ein rundes Bild: Beginnend mit der geistlichen Umkehr das Bewusstsein für alle Aspekte der von Gott geschenkten Barmherzigkeit für mich und jeden Menschen und die von mir geforderte Barmherzigkeit für jeden Menschen – auch mir selbst gegenüber – (wieder) erwecken und – vor allem auch im Bußsakrament- in der Praxis anwenden.

Mit Gottes Gnade wird so aus jedem, der sich auf diesen Weg einlässt, am Ende ein besserer Mensch, ein Mensch wie ihn sich Gott, der uns als sein Abbild geschaffen hat, vorgestellt hat.

Beitrag erschien auch auf: papsttreuerblog.de

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