"Aufmerksamkeit des Bürgers"

im Hinblick auf den sexuellen Missbrauch von Kindern?

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Ein Neologismus aus Kindermund geht neuerdings seiner Einbürgerung entgegen: "Po piken". Ein 8-Jähriger führt mir diesen neuen Terminus folgendermaßen vor: "Wir Jungen machen jetzt in der Pause ein Spiel: Zwei Jungen gehen zusammen auf die Toilette, wir ziehen beide die Hosen runter, und dann machen wir das hintereinander." In dieser Aussage wird deutlich, dass die seit 40 Jahren schwelende Tendenz, Kinder vom Säuglingsalter ab zu sexualisieren, eine neue Erfolgssteigerung erfahren hat: Das Tolerieren von sexuellen Spielereien im Kindesalter. Bei mir als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin landen z. Z. immer häufiger die Mails und Anrufe ratloser Eltern an, die mit dieser Liberalität in Konflikt geraten sind. Sie berichten von unangemessenem Sexualkundeunterricht mit drastischem Bildmaterial. Machen die Kinder jetzt lediglich nach, was sie dort gesehen bzw. gehört haben? Ja, hat dieses allzu frühe Interesse schon der kleinen Kinder an sexueller Praxis nicht ihre Ursache bereits in dem Bemühen der jungen Revolutionäre in den 70er Jahren, die gesamte Menschheit zur Sexualität "zu befreien" - ist doch bei der großen Strafrechtsreform von 1975 ein Großteil der Paragraphen, die die Sexualität in Normen einband als ein Siegeszug der Liberalität, aufgelöst worden! Aber ein Paragraph blieb bis heute bestehen: Das Verbot des sexuellen Umgang von Erwachsenen mit Kindern- und Jugendlichen. Doch, wer diese Regelung in Anspruch nehmen will, muss manchmal leider erleben, dass das Gesetz ebenso wenig eingehalten wird, wie etwa das gesetzliche Verbot zur Abtreibung. Ein nicht seltener Fall aus diesem Bereich: Ein 40-Jähriger Mann aus dem Westen unseres Landes schildert mir seine Not und genehmigt deren Veröffentlichung. Er habe sich nach der Geburt seines Kindes von seiner Frau scheiden lassen. Laut Gerichtsbeschluss darf er alle 14 Tage seinen nun bereits dreijährigen Sohn von der Mutter des Kindes abholen. Im Umgang mit diesem erlebt er seit einem Jahr Merkwürdiges: Der Junge ist zwar außerordentlich glücklich, wenn er des Vaters ansichtig wird. Es hat sich offenbar eine Vertrauensbasis zum Vater ausbilden können, die tiefer ist als die Bindung an seine leibliche Mutter; denn das Kind klammert sich bei der Rückgabe regelmäßig schreiend an das Hosenbein des Vaters fest und ist nur mit Gewalt von diesem abzulösen. Da der Junge bereits zweimal Verletzungen aufgewiesen habe - sowohl im Gesicht, wie Hämatome an seinem kleinen Körper - habe dieser Vater unter Beilage der entsprechenden Fotos bisher vergeblich versucht, das Aufenthaltsrecht für seinen Sohn zu erwerben. Es sei ihm vom Gericht verwehrt worden. Nun aber jenes merkwürdige Erleben: Während er das Kind zur Nacht vorbereitet, erhebt der vor ihm liegende Junge sein Stimmlein und sagt laut: "Opa macht Aua am Po - tut weh!" Dann klemmt er seine Beinchen zusammen und ruft: "nein, nein, nein!" Innerlich aufgeschreckt bleibt der Vater stumm und geht dazu über, dem Söhnchen die fällige Gute-Nacht-Geschichte vorzulesen. Aber am nächsten Tag beginnt er zu recherchieren. Um was für einen "Opa" kann es sich denn hier wohl handeln? Er findet heraus, dass seine geschiedene Frau einen Lover habe, der seinen berenteten Vater als einen Transporteur des Kindes von der Krippe, hin-und zurück angestellt habe. Der Kindsvater erkundet zunächst die Namen dieser ihm fremden Personen und begibt sich dann zum Jugendamt, um über seine Beobachtungen zu berichten. Die dortigen Angestellten hätten kein Verständnis für die Befürchtung des Vaters gehabt, dass es sich um sexuellen Missbrauch handeln könne. Sie meinen, dass Kleinkinder sich häufig einmal dergleichen ausdenken würden, wenn sie mit solchen Worten bei den Erwachsenen Aufmerksamkeit erregen möchten. (Dazu darf ich als Fachfrau und ehemalige Gutachterin beim Jugendgericht einwenden: Das mag zwar selten einmal bei älteren Schülern um die 9-10-Jährigkeit herum der Fall sein, bei Kleinkindern handelt es sich aber - wie genaueres Beobachten dann zeigt - meistens um einen dringlichen Hilferuf des wirklich missbrauchten Kindes. Bei diesen habe ich eine bewusste Strategie - allein um Aufmerksamkeit bei der Umwelt zu erregen - noch niemals als Ursache solcher Äußerungen erlebt. Dieses ist im unreifen Hirnstatus des Kleinkindalters meist noch gar nicht möglich.) Die nun aufkeimende Befürchtung des Vaters wird dadurch genährt, dass das Kind nicht davon ablässt, bei den Besuchen - nun auch bei der Großmutter des Kindes - in der entsprechenden Situation sich immer wieder in gleicher Weise zu artikulieren: "Opa pikt den Po, aua, aua!", etc. Die Familie des Mannes versucht nun, da sich auch die Zeugen häufen, Anklage zu erheben. Aber die dafür vorgesehenen Rechtsanwälte winken ab. Es bestünde bei dieser Sachlage und dem Kleinkindalter des Jungen keine Hoffnung auf Erfolg. Zu einer Prozesseröffnung käme es in solchen Fällen nicht, da dem Aussagewert des Kindes so viel Geltung nicht zugebilligt werden könne. Ist unser Recht stumpf geworden? Aber selbst, wenn sich für ein solches Verhalten der Behörden berechtigte Argumente finden ließen, bleibt doch die bange Frage: Erstens: Wie werden die Störungen des später Erwachsenen im Hinblick auf den Umgang mit seiner Sexualität aussehen? Hier verfügen die Tiefenpsychologen bereits über Bibliotheken an negativen Erfahrungen. Sie konstatieren als Folgen des frühen Missbrauchs nicht selten Sexualstörungen - entweder in Form von Sexualsüchten oder auch als Blockaden der Sexualität. Und als Zweites lässt sich laut Erfahrung der Fachleute vermuten, dass der hier geschilderte Verdachtsfall, wenn er zutrifft, selten eine einmalige Umgangsform eines Erwachsenen mit einem Kleinkind ist; denn die Praxis lehrt, das kindsmissbrauchende Täter oftmals sexuell gestörte Menschen sind, die längst in einer ihre Willensfreiheit einschränkenden Sexualsucht gefangen sind. Was also nützt die in unserer Öffentlichkeit so viel angemahnte "Aufmerksamkeit des Bürgers" im Hinblick auf den sexuellen Missbrauch von Kindern? Wo ist hier nun Hilfe zu finden? Bleibt wirklich nichts anderes übrig, als dass die tapfere Schar des Vereins Familienschutz e. V. erneut vor die Tore des Europaparlaments in Straßburg zieht, um für die Unversehrtheit der Kinder zu kämpfen? Unser Gesetz jedenfalls scheint häufig nicht mehr geeignet zu sein, die Kinder und ihre Familien vor schweren lebenslänglichen Beeinträchtigungen zu schützen.

Beitrag zuerst erschienen auf christa-meves.eu

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: R. Avis

@ expertin: sexualfeindliche Ressentiments? Was geht Sie das Privatleben ihrer Mitbürger an, nur weil Triebbefriedigung bei uns keine oberste Priorität hat? Die Jugendarbeiter, mit denen ich bisher zu tun hatte, waren abgeklärt und desillusioniert. Vielleicht gibt man einer "expertin" gegenüber nicht zu, daß man auf verlorenem Posten steht. Man sieht das Leid und versucht Schadensbegrenzung, mehr ist nicht möglich; die Kinderseele ist kaputt.

Gravatar: Klaus Kolbe

Eine Schande, was hier den Schwächsten der Gesellschaft, den Kindern, die sich nicht wehren können, passiert! Diese Kinder können einem nur von ganzem Herzen leid tun.
Aber – wo bleibt der Schutz der Kinder?! Diese Individuen, die Kindern so etwas antun, sind in meinen Augen psychisch massiv gestört und gehören weggesperrt – und zwar lebenslang. Wobei lebenslang heißt, bis ans Ende ihrer Tage!
Was für Hilfeschreie der Kinder (wie im geschilderten Fall) bedarf es eigentlich noch, ehe die Justiz sich bequemt, der Sache auf den Grund zu gehen. Dieses Kind muß doch zwangsläufig den sprichwörtlichen Glauben an das Gute im Menschen verlieren!
Vor Jahrzehnten schon hat ein alter Richter auf Grund seiner langen Berufserfahrung und Menschenkenntnis einmal gesagt: Solche Menschen sind nicht therapierbar. Und doch gibt es immer wieder sogenannte „Experten“, auf Grund derer „Beurteilungen“ pädophile Täter oft schon nach geringer Haftverbüßung freikommen, teilweise sogar vorzeitigen „Freigang“ erhalten. Wie oft mußten das dann wieder unschuldige Kinder nach qualvoller Pein mit ihrem Leben bezahlen.
Wenn man in dieser Republik den Eindruck gewinnt, nicht Opferschutz hat Vorrang, sondern Täterschutz, dann ist das nicht ganz unbegründet.
Die Partei der Grünen z. B. kennt sich auf diesem Gebiet ja gut aus.
Wann kommt der Tag, an dem solche „Experten“ für ihre Beurteilungen bzw. daraus resultierende Straftaten in Mitverantwortung gezogen werden – wann?!
Jedes Kind, das Opfer solcher Pädophilen wird, ist eines zuviel!

Gravatar: Expertin

Liebe Frau Meves,
selbstverständlich ist das in Ihrem Beitrag geschilderte Verhalten der Mitarbeiter im Jugendamt - sofern diese Begebenheit denn tatsächlich so statt gefunden hat - nicht fachlich angemessen. Sie ist allerdings auch nicht gesetzeskonform. Wenn Sie sich einmal die Mühe machten, die seit Anfang 2012 in Kraft getretenen gesetzlichen Änderungen (i.W. des SGB VIII) - gemeinhin unter der Bezeichnung "Bundeskinderschutzgesetz" bekannt - zur Kenntnis zu nehmen, würden Sie feststellen, dass die gesetzlichen Bestimmungen durchaus geeignet sind, bei gewichtigen Anhaltspunkten auf eine Gefährdung des Kindeswohls schützend einzugreifen. Ihr Beitrag scheint leider von solcherlei Sachkenntnis ungetrübt und bedient statt dessen wieder einmal sexualfeinliche Ressentiments Ihrer Leserschaft. Das finde ich nicht nur schade, sondern auch ärgerlich, vor allem aufgrund Ihrer opferfeindlichen Aussagen. Ein Schlag ins Gesicht für Betroffene!

Gravatar: Karl Brenner

Was Frau Mewes sagt, kann ich nachvollziehen.
Was derzeit in den Schulen zum Teil gelehrt wird, grenzt deutlich an Misshandlung von Schutzbefohlenden im Auftrag der Schwarz-Rot-Grünen Politiker.

Gravatar: Baglafecht

Liebe Frau Meves,
als Sie Ihr Buch "Geheimnis Gehirn" veröffentlichten, habe ich es sofort gekauft und erheblichen Erkenntnisgewinn daraus gezogen. Das ist schon eine Weile her, umso weniger begreife ich, wie Ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse, die sich mit denen aus der englischen Fachliteratur decken, komplett ignoriert wurden. Wie kann es in unserer aufgeklärten Zeit solche ideologischen Scheuklappen geben? Wie kann man so mitleidlos die Kleinsten und Schutzbedürftigsten unter uns nicht nur "miß-" sondern auch "ver-"brauchen, denn sexuelle Perversion funktioniert nach dem Vampir-Prinzip, braucht immer neue Opfer die dann selbst zu Tätern werden. Die Gesellschaft hat in den letzten 20-30 Jahren schwere Schuld auf sich geladen, und alle Schuld rächt sich auf Erden.

Gravatar: Jana

Ist unser Gesetz nicht mehr in der Lage, "die Kinder und ihre Familien vor schweren lebenslänglichen Beeinträchtigungen zu schützen" oder hapert es an der Auslegung der Gesetze durch die justiziellen Staatsdiener?

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