Anna Politkowskaja: Die Ermittlungen müssen weitergehen

Ein Schwurgericht in Moskau hat am gestrigen Dienstag fünf Männer wegen des Mordes an der Journalistin Anna Politkowskaja schuldig gesprochen. Nahezu acht Jahre nach dem Attentat auf die Mitarbeiterin der russischen „Nowaja Gaseta“ soll am heutigen Mittwoch das Urteil verkündet werden, wie die britische BBC berichtete.

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Als schuldig werden demnach drei Brüder aus Tschetschenien, ihr Onkel und ein Moskauer Polizeioffizier erachtet. Rustam Machmudow soll als Todesschütze fungiert haben. Im Jahr 2009 waren die Brüder Machmudow und der Polizist Sergej Chadschikurbanow zunächst freigesprochen worden. 2010 ordnete der Oberste Gerichtshof jedoch einen neuen Prozess an. Im Jahr 2012 wurde zudem der frühere Polizist Dmitri Pawljutschenkow zu elf Jahren Straflager verurteilt, nachdem er gestanden hatte, die Mordwaffe, eine Makarow, Standardwaffe bei der Roten Armee, organisiert und dem Mörder übergeben zu haben. Trotz der Urteile herrscht weiterhin Ungewissheit über die Drahtzieher und Auftraggeber des Attentats.

Der verurteilte Rustam Machmudow versteckte sich bis zum Sommer 2008 in Europa. Russlands Sicherheitsbehörden sollen seinen genauen Aufenthaltsort jedoch gekannt haben, sagte Alexander Bastrikin, der Chefermittler im Fall Politkowskaja, am 1. Juli 2008. Russische Medienvertreter spekulieren, Machmudow habe sich lange Zeit in Belgien aufgehalten.

Vor ihrem Tod wurde bereits ein Attentatsversuch auf Anna Politkowskaja unternommen – im Zusammenhang mit dem Krieg in Tschetschenien, wie der russische Historiker Juri Georgijewitsch Felschtinski in seinem Buch „The Putin Corporation“ darlegt. So soll bereits im September 2004, Frau Politkowskaja recherchierte gerade zum Geiseldrama von Beslan, ein Giftanschlag verübt worden sein. Russische Sicherheitskräfte verhinderten damit ein Treffen der Journalistin mit dem Widerstandskämpfer Aslan Maschadow, so Felschtinski. Auf dem Weg zur Zusammenkunft in Beslan habe Politkowskaja im Flugzeug vergifteten Tee serviert bekommen. Sie sei danach ins Koma gefallen und erst wieder in einem Krankenhaus erwacht.

Am Tag des erfolgreichen Mordanschlags auf Politkowskaja, am 7. Oktober 2006, sprach Präsident Wladimir Putin noch: „Dieser Mord hat Russland mehr geschadet als Politkowskaja Artikel.“ Und sein damaliger Berater Igor Iwanowitsch Schuwalow, später Vize-Ministerpräsident und kommissarischer Finanzminister, sagte im Januar 2007 anlässlich eines Gesprächs mit Gerhard Schröder: „Wir sehen den Mord an Politkowskaja als Provokation. Der Präsident hat Anweisung gegeben, diese Tat aufzuklären. Doch es wäre dumm, sie in Verbindung mit der russischen Regierung zu setzen. Polonium, Litvinenko, Politkowskaja – all dies hängt miteinander zusammen. Es gibt mächtige Gruppen, die sich zusammenschlossen haben in der Absicht, das Programm des Präsidenten und diesen auch persönlich zu attackieren. Die Regierung jedoch gewinnt durch diese Morde nichts. Von der politischen Warte aus verursachen sie nur Schaden, und menschlich gesehen kann man den Opfern gegenüber nur Beileid empfinden.“

Am 28. August 2007 wurde unter anderem der FSB-Agent Pavel Riaguzow verhaftet. Ihm und einigen weiteren Verdächtigen wurde vorgeworfen, am Mord des russischen „Forbes“-Journalisten Paul Klebnikov im Juli 2004 beteiligt gewesen zu sein.

Juri Felschtinski berichtet in seinem Buch über ein Treffen mit Paul Klebnikov, während dem er ihm Auszüge aus einer polizeilichen Datenbank über die organisierte Kriminalität in Russland übergab.  Zwei Jahre später folgte Klebnikovs Buch „Conversation with a Barbarian“, in dem er den tschetschenischen Kriminellen Khozh-Ahmed Noukhajev porträtierte. Der im Jahr 1954 in Kirgisien geborene Noukhajev erhielt offensichtlich regelmäßig Rückendeckung durch den Justizapparat. Anklagen gegen ihn wurden stets vom Obersten Gerichtshof zurückgewiesen. Nach seinem Kriegseinsatz in Tschetschenien lebte er in schicken Hotels und gab Fernsehinterviews im russischen Staatsfernsehen. Obwohl er landesweit von den Polizeibehörden gesucht wurde, wagte es niemand, ihn den Sicherheitsbehörden zu übergeben. Juri Felschtinski schreibt, es gebe Indizien dafür, dass Noukhajev seine kriminellen Operationen von den russischen Geheimdienstlern Max Lazowski und Pjotr Suslow ausführen ließ. „Wer könnte dieser Mann also sein? Die Antwort ist offensichtlich. Noukhajev muss ein hochrangiger Mitarbeiter im FSB-Apparat gewesen sein. Das ist die einzige mögliche Begründung dafür, dass er nie gefasst wurde“, schreibt Felschtinski.

Er beschuldigt Noukhajev, den Mord an Paul Klebnikov in Auftrag gegeben zu haben, da dieser ihm nicht den gewünschten Anteil der Buchtantiemen gezahlt haben soll.

Und Felschtinski stimmt mit dem amtierenden russischen Generalstaatsanwalt Juri Chaika darin überein, dass auch der Mord an Anna Politkowskaja von tschetschenischen Kriminellen in Zusammenarbeit mit russischen FSB-Agenten verübt worden sei. Am 28. August 2007 verkündete Juri Chaika anlässlich eines Treffens mit Präsident Putin und dem damaligen FSB-Direktor Nikolai Patruschew zudem kryptisch: „Anna Politkowskaja kannte ihren Mörder. Sie hatte ihn zuvor mehr als einmal getroffen.“

Im April 2008 berichtete „Nowaja Gaseta“ über die mögliche Verwicklung von Khozh-Ahmed Noukhajev in den Mordfall. Nach Informationen des ehemaligen Brötchengebers Politkowskajas gebe es deutliche Spuren in Richtung Max Lazowski. Doch dessen Kollege im FSB Pavel Riaguzow konnte sich schon am 18. Juni 2008 über eine Reduzierung der Anklagepunkte erfreuen. Gegen ihn wurde seitdem lediglich wegen Amtsmissbrauch und Erpressung ermittelt.

In den Augen Sergey Sokolows, der als Journalist der „Nowaja Gaseta” Anna Politkowskaja sehr nahe stand, sind die Ermittlungen auch mit den Schuldsprüchen gegen die Brüder Machmudow bei weitem nicht abgeschlossen. Er sagt: „Der Drahtzieher hinter dem Ganzen ist immer noch nicht identifiziert. Die Ermittlungen müssen weitergehen.“

Beitrag erschien auch auf: ef-magazin.de

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