Am Kern der Kita-Debatte

Der Kern ist der Blick auf den neu geborenen Menschen: Wie betrachte ich ihn? Da gibt es zwei Möglichkeiten: 1. Ich sehe ich ihn als zukünftiges Rädchen im gesellschaftlichen Getriebe, als angehenden Funktionär. Oder 2. Ich sehe ihn als zukünftiges selbstbestimmtes Individuum.

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Zu 1.: Die Ingenieure der Getriebe messen dem noch nicht in sein Werk gefügten Rädchen insofern einen Wert zu, als es später möglicherweise nützlich werden könnte. Bildungsökonomen rechnen die zukünftige Nützlichkeit aus. Das Rädchen darf aber vor seinem Einsatz, beim Aufwachsen, keine allzu individuelle Form annehmen, sonst ließe es sich nicht mehr reibungslos verwenden. Daher die zwanghaften Bestrebungen nach früher und nachhaltiger Beeinflussung möglichst aller kleinen Kinder in Tagesstätten, den vorläufigen Minigetrieben. Das schön-malerische Fachwort für diesen Prozess lautet "frühkindliche Bildung". Hier gibt der Wille des Sozialingenieurs den Ausschlag. Die Lenkung einer Menschenmenge zum Zwecke ihrer Nützlichkeit für die Ziele einer herrschenden Klasse. Irgendwie erinnert diese Konstellation auch an das Franchising. Da sind die Franchise-Geber mit ihrer Überzeugung, die Zusammenhänge besser geistig zu durchdringen und wirtschaftlich lenken zu können. Am anderen Ende der Befehlskette steht der Franchise-Nehmer. Er wähnt sich als Unternehmer, doch wurden ihm alle einem echten Unternehmer zustehenden Entscheidungen schon lange vorher abgenommen. Sucht er nach Spielraum, weil er andere Einsichten, Erkenntnisse hat oder sein Gewissen einen Einwand anmeldet, so wird er auf enge und bis uns kleinste Detail vorgegebene Handlungsmuster verwiesen werden. Der Versuch der Bildungssoziologin Jutta Allmendinger, die Hausaufgaben zu verbieten, stellt einen solchen Vorstoß dar. Diese Anmaßung lässt sich nur aus ihrer Identifikation mit der Rolle des Franchise-Gebers erklären. Aber wie ist es um die Identifikation des Franchise-Nehmers bestellt? Auch sie stellt den Kern der Kita-Debatte dar.

Zu 2.: Die, die die einzelnen Gottesgeschöpfe sehen, freuen sich auf das Wunder der Entfaltung eines neuen und einmaligen Menschen. Intuitiv werden solche Erwachsene - übrigens nicht nur Eltern - dafür sorgen, dass diese Entfaltung unter individuellen Bedingungen und frei vom allzu großen Einfluss gesellschaftlich Begieriger verlaufen kann. Dabei vertrauen die in diesem Sinne verantwortlichen Erwachsenen nebenbei auch noch darauf, dass der Heranwachsende sich mit zunehmender Reife ganz selbstverständlich und entsprechend seiner Talente in der zukünftigen Gesellschaft nützlich machen wollen wird. Der Unterschied: Hier wird der persönliche Wille des dann erwachsenen und verantwortlich handelnden Individuums den Ausschlag geben.

Die Folge dieser so unterschiedlichen Sichtweisen sind zwei Gesellschaftsgruppen, die sich gegenseitig nicht so leicht verstehen können. Sie werden es aber müssen, wollen sie nicht zu einem Heer von hörigen und abhängigen Franchise-Nehmern mutieren. Aber vielleicht will die Mehrheit der Menschen in Deutschland das ja? Vielleicht sind diese zentralen Nutzbar-Macher von Potenzialen der Kinder anderer Leute und Herrscher über fremde Lebensschicksale ja schon längst die unsichtbaren Familienvorstände!? Bei dieser Frage wäre es vonnöten, herauszufinden, ob die veröffentlichte Meinung zugunsten einer möglichst verbindlichen und von oben straff durchorganisierten Kita-Kultur auch dem mehrheitlichen Wunsch entspricht. Vermutlich gibt es da eine gewisse Kluft. Es bedarf schon Courage gegen die "möchte-gerne" Franchise-Geber aufzubegehren, politisch unkorrekt zu reden und zu schreiben. Das nicht oder selten Gesagte wird quantitativ leicht unterschätzt. So lange jedenfalls, bis das Volk auf die Straße geht. Und dazu sind zumindest die Ostdeutschen sehr gut in der Lage, wie die Geschichte lehrt.

Zuvor gilt es aber noch, einen zusätzlichen Schritt zu tun. Die Menschen, die zur 2. Gruppe gehören, müssen lernen, sich gegenseitig zu erkennen. Nein, sie sind eben nicht alle im bürgerlichen Leben der praktizierenden Familien zu finden! Es gibt sie auch da, wo man sie gar nicht vermutet. Insbesondere findet man sie überall dort, wo Menschen das Beste für das einzelne Kind wollen. Ja, auch in den Kitas. Es gibt auch solche Kindergärtnerinnen, die sich gerne dem Primat der Familie unterordnen und sich sehr engagiert in den Dienst der Bindung zwischen Eltern und Kindern stellen. In meinem Buchmanuskript "Willst Du mich morgen haben? Dasein für Kinder" beschreibe ich diese Arbeitshaltung.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Andreas

Welche Kategorie von Menschen in unserer Gesellschaft von Seite der Bundesregierung und von großen Arbeitgebern gewünscht und gefördert wird, erkennt man wenn man sich mit den Erwartungen von Arbeitsplatzvergebern an Bewerbern beschäftigt !
Ich meine damit nicht nur das rein Fachliche.
Es gibt da ja eine ganze Menge Ratgeber für Bewerbungen.
In denen kann man nachlesen, was die Personaler da so für Fragen stellen und was die für Antworten hören wollen.

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