Ahnungsvoller Niedergang

Es sollte eine Erfolgsstory werden. Das „gemeinsame Haus“ der Linksparteien in Frankreich sollte – wie vor 12 Jahren die „vielfältige Linke“ – alle Parteien und Bewegungen links von der Mitte zusammenführen und zu einer Opposition gegen die Bürgerlichen, vor allem gegen Präsident Sarkozy, schmieden.

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Ziel waren die Regionalwahlen im nächsten Frühjahr und dann die Präsidentschaftswahlen 2012. Aber das gemeinsame Haus steht leer. Der Führung der Sozialistischen Partei gelingt es nicht einmal, auch nur lose Bündnisse zu schließen. Weder die Grünen noch die neue Linkspartei noch die Kommunisten oder auch Trotzkisten wollen in die ausgestreckte Hand der Generalsekretärin der PS, Martine Aubry, einschlagen. Martine ist allein zu haus.

 

Das hat nicht nur mit Martine Aubry zu tun oder mit den anhaltenden Häuptlingskämpfen unter den Linken. Es ist auch eine Frage der politischen Kultur. Die Linke in Frankreich hat sich überlebt. Ihre Ideenwelt stammt aus dem 19. Jahrhundert. Selbst die Finanzkrise bringt ihr keine Wähler, wie man bei der Europawahl sah. Statt sich in die Mitte zu orientieren driftet sie weiter nach links ohne von Fall zu Fall in der einen oder anderen Stadt nicht doch mit der Mitte-Partei MoDem eine Koalition einzugehen. Ihr fehlt die innere Dynamik einer Vision und einer Person, so wie sie Mitterrand Anfang der siebziger Jahre verkörperte, um den sich damals die Linksparteien scharten, was schließlich 1981 zum Wahlsieg gegen Giscard d’Estaing führte. Die alte Dame PS lebt von den Ideologien der Vergangenheit, aber sie schöpft daraus nur noch Illusionen für die Zukunft.

 

Das ist nicht ohne Belang für das politische Gefüge in Frankreich. Sarkozy gelingt es immer wieder, die Illusionen wie Seifenblasen zerplatzen zu lassen, indem er führende Gestalten in seine Regierung holt, die dort dann pragmatische Politik unter seiner Ägide machen. Die fehlende Opposition aber verleitet die Regierung zu einem oberflächlichen Pragmatismus, zum Management der Krise. Vergessen sind die Pläne für strukturelle Reformen, mit denen Sarkozy angetreten war und die Frankreich so dringend braucht wie Deutschland und überhaupt Europa. Das sind vor allem Reformen der Sozial-, Bildungs- und Finanzsysteme, um der demographischen Herausforderung standhalten zu können. Und es fehlen auch die Reformen der geistigen Verfassung, die den Menschen in den Mittelpunkt der Politik stellen. Sowohl in Frankreich als auch in Deutschland lebt die Politik noch von den Ideologien von gestern und vorgestern. Das sind, grosso modo, der Kollektivismus und der Individualismus im Gewand des Sozialismus oder des Neoliberalismus. Allen fehlt ein kohärentes Menschenbild. Insofern ist der Niedergang der sozialistischen Partei in Frankreich nur ein Menetekel an der Wand des Ancien Regime. Es strahlt über die politische Landschaft Frankreichs auch zu uns herüber.

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