103-mal Nein!

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Es ist vor sieben am Morgen. Knurrend liegt er im Bett. Die Brüder laden ihn zum Spiel ein: „Nein, lasst mich!“ Er müsse jetzt aufstehen, Frühstück. „Nein!“ Nach dem Frühstück beginnt das Lernen. „Nein!“ In der Mathematik gilt es das Prinzip der Gleichung zu verinnerlichen. „Nein!“ Klavier üben? „Nein!“ Nimm dir eine neue Zeile im Musikstück vor. „Nein!“ Es ist Zeit für Pause. „Nein!“ Heute kannst du noch ein paar Zeilen weiter häkeln. „Nein!“ Bitte decke den Tisch. „Nein!“

Solche Stunden gehen Eltern an die Substanz. Vorerst habe ich mich auf die Strategie "ruhig Blut weitermachen" festgelegt. Ich bin übermüdet, keine Nerven wie Drahtseile. So gebe ich die nächste Anweisung mit etwas gehobener Stimme. Mit der Zeit setze ich ein zorniges Gesicht auf, ertappe mich bei einer abschätzigen Bemerkung. Vor der ersten Explosion ziehe ich mich in ein ruhiges Zimmer zurück. Was tun? Jetzt fällt es mir ein: Ich beginne zu zählen. Ich zähle die „Nein!“ Nach einer Weile präsentiere ich dem Nachwuchs das Resultat. Er blickt mich an und lächelt. „Wirklich?“

Jetzt gilt es nachzuhaken: Warum „nein“? Ich erinnere mich daran, dass es nicht gut ist, wenn Eltern immer alles auf die eigene Kappe nehmen. Diese Reaktion hat auch etwas mit mir zu tun, aber nicht nur. Ich erinnere meinen Sohn daran, in welchen Situationen es sich gelohnt hatte, aus dem „Nein“ ein „Ja“ zu machen. Ich erzähle von den Situationen, in denen wir Eltern hartnäckig dran geblieben und mit ihm durch das „Tal des Neins“ hindurch gegangen sind. Ein Charakterkopf? Aber bestimmt! In bestimmten Situationen kann auch hilfreich sein, „nein“ zu sagen. Aber bestimmt nicht als Grundhaltung.

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