Syrien und Irak

Nahost: Geschichte wiederholt sich

Und täglich grüßt der Terrorist: Die chaotischen Entwicklungen im Nahen und Mittleren Osten sind Ergebnis einer verhängnisvollen Taktik, die der Westen dort seit mehr als hundert Jahren verfolgt.

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Immer neue militante Gruppen schießen aus dem Boden. Mal sind sie Freiheitskämpfer, die vom Westen unterstützt werden, mal sind sie gemäßigte Rebellen, die vom Westen toleriert werden, mal sind sie Terroristen, die bekämpft werden.

Die historisch gewachsene Komplexität der Volksgruppen und Religionszugehörigkeiten im Nahen und Mittleren Osten, die im Osmanischen Reich und seinen islamischen Nachbarreichen lange Zeit verhältnismäßig ungestört blieb, wird der Region zunehmend zum Verhängnis.

Der Grund hierfür ist klar. Alle Volksgruppen, Stämme, Religionen und Konfessionen lassen sich gegeneinander ausspielen. Das haben andere Mächte immer wieder aufs Neue ausgenutzt. Im Irak wurden wiederholt die Kurden gegen Saddam Hussein aufgewiegelt. In Afghanistan haben die USA die Mujaheddin gegen die Besatzungstruppen der Sowjetunion unterstützt. Im Jugoslawienkrieg setzte der Westen auf muslimische Dschihadisten aus Bosnien, um gegen die Serben vorzugehen.

Das Ergebnis ist stets katastrophal. Bevölkerungen werden entzweit. Gesellschaften werden langfristig destabilisiert. Nach dem Motto »Der Zweck heiligt die Mittel« werden die Menschen zu taktischen Figuren, um größere strategische Ziele zu verfolgen. Syrien und der Irak sind keine Einzelfälle.

Terrorbekämpfung als Vorwand, um Länder zu besetzen

Situationsbeschreibung: Ein religiöser Fanatiker führt eine radikal-fundamentalistische Terrorbewegung mit schwarzer Flagge an. Er beruft sich auf seine Interpretation des Glaubens, die er für die einzig wahre Interpretation hält, und stellt sich in die Nachfolge des Propheten Mohammed. Seine schwarz eingehüllten Gotteskrieger eroberten weite Gebiete, Städte und Oasen, massakrieren die Bevölkerung und schneiden Widersachern die Köpfe ab, die sie als Trophäen aufspießen.

Die Welt ist entsetzt. Die umliegenden islamischen Staaten fühlen sich bedroht. Der Westen sieht seine geopolitischen Interessen gefährdet. Weil die Regierungen der betroffenen islamischen Länder mit den Terrormilizen nicht fertig werden, greift der Westen mit einer modernen Armee ein.

Déjà-vu? So geschehen von 1881 bis 1899 im Sudan. Der religiöse Fanatiker war Mohammed Ahmed, der sich selbst zum Mahdi, also zum Endzeitnachfolger des Propheten ernannt hatte. Mit diesem Anspruch begründete er das Kalifat von Omdurman, südwestlich von Khartum. Die bedrohten islamischen Staaten waren Ägypten und das Osmanische Reich. Die intervenierende westliche Großmacht war das Britische Empire.

Bereits zuvor hatten die Briten den ägyptischen Urabi-Aufstand von 1882 niedergeschlagen. Beide Aufstände haben letztlich dazu geführt, dass Großbritannien sich als Schutzmacht in Ägypten und im Sudan installiert hat.

Die britische Lehre aus dem Geschehen: Wenn man einem Land bei der Niederschlagung einer Rebellion behilflich ist, kann man auch gleich die Kontrolle über dieses Land übernehmen.

Terrorbekämpfung als Vorwand, um Regierungen zu stürzen

»Wer sich nicht an die Vergangenheit erinnern kann, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen.« Dieses Statement von George Santayana wird allzu oft von der Realität eingeholt. Die Geschichte des Nahen und Mittleren Ostens ist ein Paradebeispiel für sich wiederholende Geschichtsmuster.

Ein zweites Beispiel gefällig? Ein nahöstlich-islamischer Staat soll geschwächt werden. Denn seine Regierung steht den geopolitischen Interessen gewisser westlicher Großmächte im Wege. Dazu werden ethnische Minderheiten und Bevölkerungsgruppen am Rande der Wüste mobilisiert.

Man schickt Geheimagenten und Militärberater zu den Beduinen und Stammesoberhäuptern, verspricht finanzielle Hilfe und militärische Unterstützung. Die aufständischen arabischen Bevölkerungsgruppen organisieren unter fremder Militärberatung einen Heiligen Krieg, der die Form eines Guerillakrieges gegen die Regierung annimmt und sich durch terroristische Anschläge auszeichnet. Schließlich bricht das Staatswesen zusammen und die westliche Macht hat den erhofften »Regime-Change« herbeigeführt.

Déjà-vu? So geschehen während des Ersten Weltkrieges. Der Staat: das Osmanische Reich. Die Aufständischen: die Beduinenstämme Westarabiens und Syriens. Der Geheimagent und Militärberater: Thomas Edward Lawrence, auch Lawrence von Arabien genannt. Die westliche Großmächte: Großbritannien und Frankreich.

Die britische Lehre aus dem Geschehen: Man kann alle Staatsgebilde des Nahen und Mittleren Ostens aus den Angeln heben, indem man die Bevölkerungsgruppen und Religionen gegeneinander ausspielt und einen Befreiungskrieg inszeniert.

Syrien, Irak und Libyen wurden nach altem Muster destabilisiert

Muammar al-Gaddafi hatte einst seine Diktatur in Libyen damit begründet, auf diese Weise den Krieg der Stämme zu verhindern. Der Despot Saddam Hussein hatte im Irak die schiitischen Araber, die sunnitischen Araber und die Kurden zusammenzuhalten. Und der alte syrische Diktator Hafiz al-Assad hatte ein komplexes Gebilde aus Schiiten, Alawiten, Sunniten, Drusen und christlichen Minderheiten zu regieren gehabt.

Alle drei Staatsgebilde – Syrien, Libyen und Irak – waren von Anfang an für eine Demokratie westlichen Stils ungeeignet, zumindest solange die alten Stammes-, Volksgruppen- und Glaubensgegensätze nicht überwunden sind.

Hafiz al-Assad stand als Alawit einer Mehrheit von Sunniten gegenüber. Saddam Hussein sah sich als arabischer Sunnit einer Mehrheit aus arabischen Schiiten und einer großen Minderheit der Kurden gegenüber. Muammar al-Gaddafi war als Mitglied des kleinen arabisch-berberischen Stammes der Qadhadfa Teil einer Minderheit.

Alle drei Despoten wussten ihre Herrschaft nicht anders zu konsolidieren als durch Härte, Strenge, Gewalt und Grausamkeit sowie – nachdem Prinzip »teile und herrsche« – durch taktierendes Abwägen der unterschiedlichen Interessensgruppen innerhalb der heterogenen Bevölkerung. Außerdem waren sie von ausländischen Unterstützern abhängig. Im Kalten Krieg war dies die Sowjetunion.

Nach dem Ende des Kalten Krieges und dem Zusammenbruch der Sowjetunion waren die Tage dieser Staaten gezählt. Es war nur eine Frage der Zeit, bis eine Bevölkerungsgruppe gegen die andere aufgewiegelt würde, um das Regime zu destabilisieren und dann zu stürzen.

Warum dieses Spiel in naher Zukunft nicht aufhört

Die USA haben bereits angekündigt, moderate Rebellen im Kampf gegen Baschar al-Assad zu unterstützen. Saudi-Arabien hat sich widerwillig der westlichen Allianz gegen den Islamischen Staat (IS) angeschlossen, möchte sich jedoch lieber auf den Kampf gegen Assad konzentrieren und den syrischen Rebellen unter die Arme greifen. Die türkische AKP-Regierung lässt lieber auf kurdische Stellungen im eigenen Lande schießen als die Kurden in Kobane vor einem Massaker zu schützen. Und der Iran unterstützt weiterhin die Schiiten im Irak und die Assad-Regierung in Syrien. Das alles ist nur die Spitze des Eisberges.

Anstatt aus den humanitären Folgen bisheriger Stellvertreterkriege zu lernen, wird die Taktik des gegeneinander Ausspielens von Bevölkerungs- und Religionsgruppen vorangetrieben. Für Syrien und den Irak bedeutet dies bestenfalls den Zerfall des Gesamtstaates und die Bildung regionaler Regierungen, schlimmstenfalls jedoch die endlose Fortsetzung des Konfliktes.

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