Nahostkonflikt

Pipelines und Fanatismus: Syriens multipler Proxy-Krieg

In Syrien wird ein mehrfacher Stellvertreterkrieg gefochten. Hier treffen die geopolitischen, wirtschaftlichen und ideologischen Interessen mehrerer Staaten und Großmächte aufeinander.

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Syrien und Teile des Irak versinken im Chaos. Was als Revolution begann, ist zu einem grausamen Krieg pervertiert. Ethnische, gesellschaftliche und religiöse Minderheiten werden verfolgt und massakriert.

Warum ist dieser Konflikt so außer Kontrolle geraten?

Der Bürgerkrieg war von Anfang an ein vielfach überlagerter Stellvertreterkrieg (Proxy War) mehrerer Ideologien, Interessensgruppen, Staaten und Großmächte. Die Menschen in Syrien hatten nie die Chance, ihre Sache allein auszufechten. Zuviel steht auf dem Spiel.

Obwohl Syrien kein bedeutendes Erdölförderland ist, stoßen hier die Interessen zahlreicher Staaten aufeinander. Das betrifft insbesondere die USA, Russland, China, Türkei, Iran, Irak, Israel, Libanon, Ägypten und die reichen Golfstaaten wie Katar und Saudi-Arabien.

Geostrategischer Proxy-Krieg: USA gegen Russland, China und Iran

Der Herrscher-Clan der Assad-Familie ist seit langem ein verbündeter Russlands, Chinas und Irans. Wie sehr Russland und China Baschar al-Assad unterstützen, hat man anhand ihrer Vetos im UN-Weltsicherheitsrat erkennen können.

Russland und China bevorzugen säkulare Staaten im Nahen Osten, denn beide Staaten befürchten radikal-islamische Bewegungen in ihren eigenen Territorien – so in Tschetschenien und in der chinesischen Provinz Xinjiang. Syrien gilt ihnen als verlässlicher Verbündeter und sichert somit ihren Einfluss im Nahen und Mittleren Osten.

Die Bindungen zu Russland reichen bis in Sowjetzeiten zurück. Während des Kalten Krieges orientierten sich mehre arabische Staaten am sozialistischen Modell. Die UdSSR hatte am syrischen Hafen von Tartus einen Marinestützpunkt errichtet. Heute ist dies der einzige Militärstützpunkt der Russischen Föderation am Mittelmeer.

Für die USA ist es von geostrategischem Interesse, den russischen und chinesischen Einfluss im Nahen Osten zurückzudrängen. Das war im Kalten Krieg so und hat sich bis heute nicht geändert. Syrien hat sich den amerikanischen Interessen niemals untergeordnet, sei es während der Golfkriege oder im Konflikt mit Israel. Außerdem kooperiert Syrien mit dem Iran und unterstützt die schiitischen Hisbollah-Milizen im Libanon, die auch die Sicherheit Israels bedrohen.

Für den Iran ist das Bündnis mit Assad aus drei Gründen von Bedeutung. Zum einen soll die Sicherheit der Schiiten und Alawiten in Syrien gewährleistet werden, zum anderen dient Syrien als Brückenkopf, um die schiitische Hisbollah-Bewegung im Libanon zu unterstützen, und schließlich eint Syrien und Iran der gemeinsame Propagandagegner Israel.

Wirtschaftlicher Proxy-Krieg: Erdgas, Erdöl und Pipelines

Fossile Kohlenwasserstoffe in Form von Erdöl und Erdgas sind die Schmiermittel der Weltwirtschaft. Für die Amerikaner ist die Kontrolle des nahöstlichen Erdöls essentiell zur Stabilisierung ihres wichtigsten Wirtschaftsgutes, dem US-Petrodollar.

Syrien und der Libanon sind Transitländer für Ölpipelines vom Persischen Golf und Nordirak zum Mittelmeer. So führt eine Pipeline vom nordirakischen und derzeit kurdisch kontrollierten Kirkuk durch Syrien bis zum Mittelmeerhafen von Baniyas. Wegen des Krieges in Syrien sind die im Nordostirak tätigen Ölkonzerne auf eine alternative Pipeline ausgewichen, die von Kirkuk durch die Türkei zum Mittelmeerhafen von Ceyhan führt.

Die Golfstaaten nutzen die Transarabische Pipeline durch Saudi-Arabien und Jordanien zum Hafen von Sidon im Libanon. Dass Syrien und die schiitische Hisbollah-Bewegung großen Einfluss auf die politischen Verhältnisse im Libanon haben, gefällt den Golfstaaten ganz und gar nicht.

Doch noch mehr sind sie wegen der Gaspipelines besorgt. Denn Russlands Einfluss in Syrien steht dem Ausbau der Gaspipelines vom Golf ans Mittelmeer entgegen, insbesondere der geplanten „Qatar-Turkey Pipeline“, die von Katar durch Saudi-Arabien, Jordanien und Syrien in die Türkei und von dort via anderer Pipelines nach Europa führen soll.

Katar, das eines der größten Gasfelder ausbeutet, könnten mit diesem Gas auf dem europäischen Markt den russischen Gaskonzernen Konkurrenz machen. Bisher hatte Baschar al-Assad sich dem Anliegen Russlands gebeugt und solche Gaspipelines durch Syrien verhindert. Sowohl den Golfstaaten als auch den USA ist Assad deshalb schon lange ein Dorn im Auge.

Ein hochexplosives Thema für alle Anrainerstaaten des östlichen Mittelraumes sind zudem die dort neu entdeckten Erdgasfelder unter dem Meeresgrund. Als potentielle Ausbeuter dieser ostmediterranen Erdgasfelder kommen in Frage: Zypern, Syrien, Libanon und Israel (eigentlich auch Gaza) – und vor allem US-amerikanische Konzerne. Wer von diesen Feldern nicht begeistert ist: Russland.

Religiöser Proxy-Krieg: Sunniten gegen Schiiten

Für viele Muslime in aller Welt ist der Krieg in Syrien und im Nordirak ein Kampf zwischen Sunniten und Schiiten. Die radikal-sunnitischen Milizen des „Islamischen Staates“ (IS) und der Al-Nusra-Front verstehen sich als Vorkämpfer des reinen sunnitischen Islam. Sie werden von Sunniten aus verschiedenen islamischen Staaten unterstützt. Es werden bedeutende illegale Geldquellen in den Golfstaaten vermutet.

Auf der Seite der Schiiten stehen in Syrien der schiitisch-alawitische Präsident Baschar al-Assad und im Irak der schiitische Ministerpräsident Haider al-Abadi, Nachfolger des ebenfalls schiitischen Nuri al-Maliki.

In Syrien vertritt Assad eine religiöse Minderheit, die jedoch vom schiitischen Iran und von den schiitischen Hisbollah-Milizen aus dem Libanon unterstützt wird. Die nicht-sunnitischen Muslime in Syrien (Alawiten, Schiiten, Drusen) stellen lediglich einen Bevölkerungsanteil von 15 Prozent.

Im Irak vertritt die Regierung eine religiöse Mehrheit. Mindestens 60 Prozent der Iraker sind Schiiten. Die meisten Schiiten leben im Zentrum und im Süden des Irak, insbesondere in den Metropolen Bagdad und Basra. Die irakischen Städte Nadschaf und Kerbela sind heilige Orte des schiitischen Islam. Als wichtigster Unterstützer der irakischen Schiiten gilt der Iran.

Konflikte zwischen beiden islamischen Ausrichtungen gibt es nicht nur in Syrien und im Irak. Im Libanon gibt es ebenso viele Schiiten wie Sunniten, jeweils 27 Prozent der Bevölkerung. In Saudi-Arabien ist die Mehrheit der Bevölkerung sunnitisch und wahabitisch. Doch in den erdölreichen Ostprovinzen Saudi-Arabiens gibt es einen großen schiitischen Bevölkerungsanteil, der sich religiös vom Iran angezogen fühlt. Deshalb befürchten die saudische Regierung und die USA einen Aufruhr in dieser Region.

Auch im Jemen, in Katar und in Bahrain gibt es Konflikte zwischen Sunniten und Schiiten. In Bahrain wird eine schiitische Mehrheit von einer sunnitischen Elite unterdrückt. Als es in den vergangenen Jahren zu Aufständen kam, haben die Saudis militärisch zugunsten der Sunniten eingegriffen.

Regionaler Proxy-Krieg: Staaten bangen um Status Quo

Israel ist sehr besorgt um die Entwicklungen in Syrien. Einerseits ist man bestrebt, dass gegnerische Assad-Regime loszuwerden. Der alte Hafiz al-Assad galt in der arabischen Welt als Hardliner gegen Israel. Außerdem unterstützte das syrische Regime die bereits erwähnten Hisbollah-Milizen im Libanon. Andererseits möchte niemand in Israel einen radikal-islamischen Gottesstaat vor der Haustür, wie ihn der IS anstrebt. Auch ein ewiges Chaos, aus dem immer neue terroristische Gruppen hervorkommen, stellt langfristig ein Sicherheitsrisiko für Israel dar.

Israel wird im Syrienkrieg von allen Seiten zu Propagandazwecken missbraucht. So streut die Propagandamaschine von Baschar al-Assad Gerüchte, israelische Geheimoperationen seien Schuld an den Aufständen und dem Erstarken des „Islamischen Staates“ (IS). Auf der anderen Seite behaupten die IS-Milizen, dass hinter dem Assad-Regime eine zionistische Verschwörung stehe.

Der Irak befürchtet dagegen ein Auseinanderbrechen seines Staatsgebildes. Durch die von Syrien kommende überregionale Ausdehnung des IS wird das Land gespalten. Es droht eine Dreiteilung des Landes in einen sunnitisch-arabischen Nordwesten, einen kurdischen Nordosten und einen schiitisch-arabischen Süden.

In der Türkei strebt dagegen die AKP-Regierung unter Präsident Erdogan mehr Einfluss auf die sunnitischen Staaten in der Region an. Syrien ist seit Jahrzehnten der Hauptkonkurrent der Türkei, wenn es darum geht, Einfluss auf die Region auszuüben. Außerdem sorgt sich die Türkei um das Treiben der Kurden, die an ihren Grenzen leben. Je mehr Souveränität den syrischen und irakischen Kurden eingeräumt wird, desto mehr Möglichkeiten werden ihnen eröffnet, die in der Türkei verbotene kurdische PKK zu unterstützen. Deshalb strebt Ankara nach einer Pufferzone im Norden Syriens. So kann die Türkei die IS-Terroristen fernhalten und gleichzeitig die Kurden kontrollieren.

Dass die syrischen Kurden von dieser Politik nicht begeistert sind, kann man sich vorstellen. Sie gehören zu den vielen Opfern des Krieges.

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Der Artikel offenbart den offensichtlich aufgrund der Opferzahlen und unüberwindbaren Feindseligkeit zwischen den unterschiedlichen islamischen Strömungen und territorialen Begehrlichkeiten, dass es bereits ein ewiger Krieg werden wird. Die Lunte dazu wurde mit dem völkerrechtswidrigen Irakkrieg gegegen die Husseinregierung angezündet und weil man in den USA nichts hinzu lernt, mit der Unterstützung der Assadgegner fortgesetzt. Man hat einen für arabische Verhältnisse moderaten Diktator als Schreckensherrscher dargestellt und einen sekulären Staat zum Schlachthaus der unterschiedlichen islamischen Strömungen, insbesondere den radikal-islamischen und militanten Anhängern des Islam sowie zum Schlachthaus für die Christen und Juden gemacht. Das alles ist geschehen und geschiet aufgrund der strategischen Rohstoffinteressen der USA, aber auch Großbritaniens und Frankreichs. In Libyen kocht der Kessel ebenfalls und in Europa auch. Wenn man es betrachtet, wer dafür verantwortlich ist, dann hat das wirklich nichts mit dem Islam zu tun.

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