Terrorismus

IS: Vorbild für andere Terrororganisationen?

In mehreren Ländern haben sich Terrormilizen dem Islamischen Staat (IS) angeschlossen oder sich solidarisch erklärt. Auch gegnerische Milizen fangen an, die Terrormethoden des IS zu kopieren.

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Die Organisation, die sich Islamischer Staat (IS, zuvor ISIS) nennt, hat weite Teile Syriens und den Nordwesten des Irak mit Terror überzogen. Die Bilder und Berichte der Gräueltaten sind um die Welt gegangen.

Wer glaubt, hier handele es sich um eine Ausuferung, die neu ist und bald verebben wird, irrt sich. Es gibt besorgniserregende Entwicklungen, die selbst bei nüchterner Betrachtung deutlich darauf hindeuten, dass wir mit einem Zuwachs an fundamentalistischem Terrorismus rechnen müssen.

Die Länder des Zweistromlandes und der Levante – der Irak, Syrien und der Libanon – werden mittelfristig nicht zur Ruhe kommen. Sie stehen im vielfachen Sog der sie umgebenen Mächte: Iran, Türkei und der reichen Golfstaaten sowie im geopolitischen Visier der USA und Russlands. All diese Staaten verfolgen ihre Ziele mittels Stellvertreterkonflikten in der Region.

Besonders die schiitisch-alawitische Achse vom Iran über den Südirak bis nach Syrien sowie die diese durchkreuzende sunnitische Achse vom reichen Saudi-Arabien bis zur Türkei – sie zerreißen die ohne zerrüttete und geschundene Region. Religiös-konfessionell-ideologische, aber auch knallharte wirtschaftliche Gründe – wie Pipelinestrecken und Ressourcenzugänge – werden kaum Raum für lokale und regionale Konfliktlösungen bieten.

Das Neue ist, wie der IS, an dem sowohl führende ehemalige Köpfe von al-Kaida als auch des alten Saddam-Regimes beteiligt sind, nicht nur die Region destabilisiert und Terror verbreitet, sondern im Gegenteil auch professionell arbeitet, um ein neues Staatswesen zu schaffen. Dies sorgt gleichermaßen für Furcht und Bewunderung in der islamischen Welt und wird für viele regionale Bewegungen Vorbildcharakter bekommen.

7 Gründe, warum der Terror zunehmen wird

Erstens: Muslimische junge Männer aus aller Welt werden angeworben, um sich der Bewegung des IS anzuschließen. Doch selbst jene, die nicht den Weg nach Syrien oder in den Irak schaffen, werden aktiv – auf andere Art und Weise. So wird damit gedroht, den Dschihad in alle Länder hinauszutragen, die sich der »Anti-Terror-Allianz« unter Führung der USA angeschlossen haben.

Zweitens: Islamistische Terrorbewegungen und Milizen in verschiedenen Ländern haben sich offiziell dem IS angeschlossen oder ihre Solidarität bekundet. Überall dort, wo ein Machtvakuum entstanden ist, können sie sich durch Terror und Kampf ein gefügiges Umfeld schaffen. Auch wenn sie praktisch wegen der geographischen Entfernung wenig mit den IS-Strukturen zusammenarbeiten können, so hat allein die Ausrufung der Verbindung einen propagandistisch-psychologischen Effekt, der die Bewegung zu einer pan-islamischen werden lässt. So geschieht es derzeit in einigen Regionen Libyens und auf der ägyptischen Halbinsel Sinai, wo seit Jahren Beduinen und Islamisten gegen die Regierung in Kairo aufbegehren.

Drittens: Je härter die Terroristen bekämpft werden, desto grausamer werden ihre Methoden. In ihrer Bereitschaft, Selbstmordattentäter und Kamikazekommandos auf den Feind zu lassen, wird jeder Konflikt mit ihnen zu einem unkalkulierbaren Risiko. Individuen oder ganze Bevölkerungsgruppen werden als Geiseln missbraucht.

Viertens: Terror evoziert Gegenterror. Auch die Gegner des IS passen sich dem Kampfmodus an und überschreiten die Grenzen zum Kriegsverbrechen. Jüngst äußerte sich die Regierung in Bagdad besorgt über die Racheakte der Schiiten-Milizen gegen die sunnitischen Kämpfer des IS. Weil die einen ihre Opfer enthaupten oder zerstückeln, meinen nun die anderen es ihnen gleichtun zu müssen – ganz im Sinne des Rachegedankens. In Syrien hat die Spirale aus Gewalt und Gegengewalt den Krieg auf eine grausige Ebene gehoben, die jeder Beschreibung spottet.

Fünftens: Terrormilizen und militante Separatisten in aller Welt beobachten die Erfolge und Misserfolge des IS ganz genau. Sie werden dessen Methoden kopieren. Schon jetzt haben viele militante Bewegungen dem IS gegenüber ihre Bewunderung ausgedrückt, so etwa die Taliban in Afghanistan und verschiedene Milizen in Pakistan. Dabei wird nicht nur auf die Art und Weise des Kampfes geschaut, sondern auch auf die Organisation, Geld- und Waffenbeschaffung und Propagandaführung.

Sechstens: Staaten wie Marokko, Algerien, Tunesien, Ägypten, Irak, Iran, Jemen, Afghanistan und Pakistan setzen auf Härte im Umgang mit religiösen Eiferern und ethnischen Minderheiten. Doch diese Härte ist ein Teufelskreis, denn sie wird die Extremisten dazu bringen, effektivere Methoden anzuwenden, die zusätzlich eskalierend wirken.

Siebtens: Jeder Versuch, von außerhalb ein Regime im Nahen oder Mittleren Osten zu stürzen und durch ein anderes zu ersetzten, hat die Situation nicht verbessert, sondern verschlimmert. Weder im Irak oder Afghanistan noch in Libyen sind die Probleme durch westliche Militäreinsätze gelöst worden.

Gibt es eine Lösung für den Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten?

Ein Blick auf die Karte der Religionsgruppen und die Verteilung der Ölquellen lässt kaum Hoffnung auf Frieden aufkommen. Die meisten gossen Ölfelder des Mittleren Ostens liegen entweder auf schiitischem Gebiet oder in Regionen, in denen große schiitische Bevölkerungsgruppen auf Sunniten treffen. Auch Regionen von ethnischen Minderheiten, wie beispielsweise der Kurden, sind an Erdöl reich gesegnet.

Doch sobald eine Gruppe bevorzugt oder benachteiligt wird, ist Konflikt vorprogrammiert. Man erinnere sich an den schiitischen Volksaufstand in Bahrain, der von saudischen Truppen niedergeschlagen wurde.

In folgenden Ländern sind die Gegensätze zwischen den islamischen Konfessionen besonders herausfordernd: Libanon (Schiitische Hisbollah-Milizen), Syrien (Alawiten, Drusen usw. gegen sunnitische Fundamentalisten), Irak (offener Krieg zwischen Schiiten und Sunniten), Iran (Schiitische Mehrheit, aber militante sunnitische Minderheit an der Grenze zu Pakistan), Bahrain (schiitische Mehrheit wird von einer sunnitischen Minderheit regiert), Kuwait (schiitische und sunnitische Bevölkerungsanteile), Saudi-Arabien (mehrheitlich sunnitisch-wahabisch, aber im Osten, dort wo das Öl liegt, schiitische Minderheitsbewegungen). Selbst im mehrheitlich sunnitischen Jemen sorgen die vom Iran unterstützten schiitischen Huti-Rebellen für Destabilisierung.

Bei all dieser düsteren Perspektive darf man jedoch niemals vergessen, dass die Terrororganisationen stets Minderheiten sind und die meisten Menschen im Nahen und Mittleren Osten sich nach Frieden, Stabilität und Wohlstand und Sicherheit sehnen. Der wichtigste Punkt in einem Friedensprozess muss daher sein, die Situation der vielen Stellvertreterkonflikte zu lösen. Und dies geht an die Adresse der reichen Golfstaaten, der Türkei, des Iran, Russlands und der USA.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Alexander Scheiner, Israel

Der sogenannte IS wird mit modernsten Waffen und mit ausgeklügelter Logistik bekämpft. Aber nur gegen harte Ziele, also gegen Waffen und ausgebaute Stützpunkte.
Weiche Ziele, also die Terroristen, werden nach meiner Meinung, sehr zurückhaltend bekämpft. Im Gegensatz zum damaligen Krieg der USA gegen den Irak. Damals starben jeweils bei einem Angriff Tausende Soldaten.
Deshalb haben die IS-Terroristen kein besonders hohes persönliches Risiko. Dies, die sehr gute Bewaffnung und die sehr gute Entlohnung machen die IS attraktiv auch für andere und künftige Terrororganisationen. Ich rechne sogar damit, dass die angeblichen Religionsunterschiede zwischen Sunniten und Schiiten bald keine Rolle mehr spielen. Schliesslich sind sie alle der islamischen Ideologie zugehörig.

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