NATO-Ostpolitik

Gorbatschow vom Westen enttäuscht

Dem letzten sowjetischen Staatschef Michail Gorbatschow hat Deutschland viel zu verdanken. Ohne ihn hätte es die Wiedervereinigung nicht gegeben. Doch er selbst ist vom Westen enttäuscht.

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Die deutsche Wiedervereinigung verdanken wir weder der damaligen FDJ-Anhängerin Angela Merkel, noch dem damals als Pastor tätigen Joachim Gauck. Auch den westdeutschen Politikern der Bonner Republik ist das historische Ereignis mehr oder weniger in den Schoß gefallen. Sicherlich: Sie hatten diplomatisch die Gunst der Stunde geschickt genutzt und den Weg zur Wiedervereinigung mit Nachdruck vorangetrieben.

Die Wiedervereinigung war kein Geschenk der USA oder der westlichen Verbündeten gewesen. Frankreichs damaliger Präsident Mitterand und Britanniens Premierministerin Thatcher standen der möglichen Wiedervereinigung sogar sehr skeptisch gegenüber.

Dass die Montagsdemonstrationen in der DDR 1989 nicht unterdrückt wurden wie einst der Volksaufstand 1953, war den Entwicklungen in Moskau zu verdanken. Glasnost und Perestroika hatten einen inneren Wandlungsprozess in der Führung der KPdSU herbeigeführt. Ein Motor dieser Reformen war Michail Gorbatschow.

Gorbatschow: Gute deutsch-russische Beziehungen wichtig für den Frieden in Europa

Gorbatschow freut sich zusammen mit den Deutschen über die Wiedervereinigung. Er ist stolz darauf, seinen Teil zum Wandel der Welt beigetragen zu haben. Deshalb ist er gerne nach Berlin gereist. Und auch deshalb wurde er von seinen deutschen Gastgebern herzlich empfangen. Ohne Gorbatschow wäre der eiserne Vorhang nicht gelüftet worden. Ohne ihn wäre Merkel wohl Physikerin geblieben und Gauck hätte weiter als Pastor von der Kanzel gepredigt.

In seinen Reden in Berlin schilderte Gorbatschow nochmals seine Sicht auf die damaligen Geschehnisse, hielt sich aber auch zu aktuellen politischen Fragen nicht zurück. Er betonte, wie wichtig gute deutsch-russische Beziehungen für den Frieden in Europa seien.

Gorbatschow äußerte auch sein Missfallen gegenüber der NATO-Ostpolitik. Insbesondere die Rolle der NATO im Jugoslawienkrieg und vielen anderen außenpolitischen Krisen, in denen die Haltung Russlands marginalisiert wurde, die NATO-Osterweiterung, die Pläne zu einem Raketenabwehrschild und das Verhalten der USA und EU während der Ukrainekrise sieht er kritisch.

Vor allem aber sieht er in der Entwicklung nach dem Mauerfall einen Vertrauensbruch. Der Westen habe die Schwäche Russlands ausgenutzt und Versprechungen nicht eingehalten. Die USA hätten sich wie eine Siegermacht verhalten. Mittlerweile befürchtet Michail Gorbatschow sogar einen neuen kalten Krieg. Obwohl er die Politik des jetzigen Amtsinhabers Wladimir Putin oftmals kritisiert hatte, verteidigt er nun diesen und bittet um Verständnis für Russlands Situation.

Missverständnisse um angebliches Versprechen, die NATO nicht nach Osten auszudehnen?

Es gibt die Geschichtsvorstellung, dass Gorbatschow während der Verhandlungen zur deutschen Wiedervereinigung das Versprechen gegeben worden sei, die NATO nicht nach Osten auszudehnen. Seither war insbesondere in den russischen Medien immer wieder der Vorwurf laut geworden, Gorbatschow habe sich über den Tisch ziehen lassen.

In einem aktuellen Interview mit dem ZDF-Heute-Journal rückte Gorbatschow diese Vorstellung zurecht. Damals, während der Zwei-plus-Vier-Verhandlungen, gab es ja noch den Warschauer Pakt. Daher stellte sich zu der Zeit die Frage nicht und war auch nicht schriftlich zu fixieren. Insofern sei es ein Mythos der Presse, dass Gorbatschow während der Verhandlungen zur Wiedervereinigung vom Westen hinters Licht geführt worden sei.

Allerdings hatte, wie sich auch die FAZ erinnert, Gorbatschow 2009 in einem Bild-Interview selber zugegeben, dass es wohl zeitlich nach den Verhandlungen zur Wiedervereinigung ein solches Versprechen gegeben habe, nämlich dass die NATO sich nicht nach Osten ausdehnen würde.

Wörtlich hatte Gorbatschow damals der Bild-Zeitung gesagt: »Kohl, US-Außenminister James Baker und andere sicherten mir zu, dass die Nato sich keinen Zentimeter nach Osten bewegen würde. Daran haben sie die Amerikaner nicht gehalten, und den Deutschen war es gleichgültig. Vielleicht haben sie sich sogar die Hände gerieben, wie toll man die Russen über den Tisch gezogen hat. Was hat es gebracht? Nur, dass die Russen westlichen Versprechungen nun nicht mehr trauen.«

Inwiefern die vielen Worte, die die damaligen Politiker austauschten, sich angesichts der ereignisreichen Zeit zum Teil widersprechen, mögen die Historiker beurteilen. Aber es gibt einige Dokumente, die belegen, wie beispielsweise Hans-Dietrich Genscher bei seinem Besuch in Washington 1990 im Beisein des US-Außenminister James Baker betonte, dass es keine Absicht gäbe, die NATO nach Osten zu erweitern.

Seit der deutschen Wiedervereinigung hat die NATO 1999 die osteuropäische Staaten Polen, Tschechien, und Ungarn, im Jahre 2002 die Länder Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, Slowenien und die Slowakei sowie im Jahre 2009 Albanien und Kroatien aufgenommen. International umstritten ist die Frage, ob nun auch die Ukraine und Georgien in die NATO aufgenommen werden sollen.

»Als ob der Warschauer Pakt bis nach Mexiko und Kanada ausgeweitet würde«

Interessant ist die Frage, warum die NATO, die doch angeblich zum Schutz Europas vor dem Sowjetkommunismus gegründet wurde, nach dem Zusammenbruch der UdSSR fortgesetzt, ja sogar erweitert wurde.

In einem Interview mit der Russia-Today-Moderatorin Sophie Schewardnadse, der Enkelin des ehemaligen sowjetischen Außenministers Eduard Schewardnadse, hat es der Linguistikprofessor und Politikaktivist Noam Chomsky kürzlich auf den Punkt gebracht:

»Die natürliche Schlussfolgerung wäre gewesen, die NATO aufzulösen. Doch das Gegenteil geschah. Die NATO wurde erweitert. Ihre Mission änderte sich. Die offizielle Mission der NATO wurde es, das internationale, globale Energiesystem zu kontrollieren, die Schifffahrtsrouten und Pipelines. Das bedeutet, die Welt zu kontrollieren. Und selbstverständlich ist sie eine US-geführte Interventionsmacht.«

In Bezug auf die NATO-Ostweiterung ergänzte Chomsky ironisch: »Es ist, als ob der Warschauer Pakt bis nach Mexiko und Kanada ausgeweitet würde.«

Besorgniserregende politische Entwicklungen

Zu den Krisen der letzten Monate kommentierte Gorbatschow: »Die Ereignisse der vergangenen Monate sind die Konsequenzen einer kurzsichtigen Politik, aus dem Versuch, vollendete Tatsachen zu schaffen und die Interessen des Partners zu ignorieren«.

Und er ergänzte: »Lasst uns daran erinnern, dass es ohne deutsch-russische Partnerschaft keine Sicherheit in Europa geben kann.«

Bleibt zu hoffen, dass diese Worte von Michail Gorbatschow auch bei Angela Merkel, Joachim Gauck, Frank Walter-Steinmeier und Ursula von der Leyen Gehör finden.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Soso

Die Geschichte kennt viele Menschen, die an ihre Sache glaubten und bereit waren, mit ihrem Leben dafür einzustehen. Überleben tun die Kakerlaken.

Gravatar: Stephan Achner

Es gibt einen Auftritt des damaligen Bundesaußenministers Genscher aus 1990, der im Fernsehen übertragen wurde, wo er öffentlich erklärte, dass Gorbatschow zugesagt wurde, die Nato werde sich nicht nach Osten ausdehnen. Daran kann ich mich noch erinnern. Der genaue Tag und Fernsehsender (wahrscheinlich ARD oder ZDF) ist mir momentan leider nicht mehr bekannt.

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