Naher und Mittlerer Osten

Ende der religiösen Vielfalt

Radikalislamische Terrormilizen verfolgen Andersgläubige. In Ländern wie Syrien und Irak wird die religiöse Vielfalt bald Vergangenheit sein. Minderheiten und ihr kulturelles Erbe sind bedroht.

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Eine radikalere Verfolgung Andersgläubiger hat es im Nahen Osten schon lange nicht mehr gegeben. Die Kämpfer der fundamentalistischen Organisation »Islamischer Staat von Irak und Syrien« (ISIS), oder kurz »Islamischer Staat« (IS) genannt, haben die grausamste Form der Unterdrückung gewählt: Wer sich nicht ihrer Interpretation des sunnitischen Islam unterwirft, wird vernichtet.

Das Chaos hat längst genozidartige Ausmaße angenommen. Hunderttausende Menschen in Syrien und im Irak sind auf der Flucht. Ihr Hab und Gut bereits verloren, fürchten sie nun um Leib und Leben. Die im IS-kontrollierten Gebiet verbliebenen Minderheiten haben die Wahl, eine Schutzsteuer zu bezahlen, zum Islam überzutreten oder getötet zu werden. Wenn die IS-Milizen von einem islamischen Staat sprechen, dann meinen sie das im strengsten Sinne des Wortes. Die Frauen müssen sich mittlerweile verhüllen wie in Afghanistan, eine für Syrien eher untypische Sitte.

Dabei war der Nahe und Mittlere Osten niemals eine rein islamische Region. Es gab dort schon immer religiöse Minderheiten. Manche sind mittelalterlichen Ursprungs, doch viele haben eine Geschichte, die älter ist als der Islam.

Gerade die Region des Fruchtbaren Halbmondes, zu dem Palästina, der Libanon, Syrien, die Südosttürkei, der Irak und der Westen des Iran gehören, hat eine reiche kulturelle Geschichte, die über die Jahrtausende ein facettenreiches Kaleidoskop religiöser Traditionen hervorgebracht hat.

Wer um 1900 in den Vorderen Orient reiste, traf in der Levante nicht nur auf sunnitische Muslime. In den Hafen- und Handelsstädten, in den Bazaren und Souks, in den Wohnvierteln und Gassen tummelten sich Juden, orthodoxe Christen, Armenier, Maroniten, Drusen und Alewiten. Zog man weiter nach Osten traf man auf assyrische Christen und kurdische Jesiden. Noch weiter im Osten konnte man vereinzelt persischen Zororastriern begegnen, den Anhängern der uralten Lehren Zarathustras.

Die kulturelle und ethnische Vielfalt des Vorderen Orient konnte unter dem Schirm des Osmanischen Reiches gedeihen, denn dieses Reich war ein überregionaler und überkonfessioneller Vielvölkerstaat. Das endete mit dem Ersten Weltkrieg und der Aufteilung des Vorderen Orient durch die Briten und Franzosen. Von nun an waren künstlich  konstruierte Nationalstaaten wie der Libanon, Syrien und der Irak mit der Frage konfrontiert, wie viel Einfluss und Mitspracherecht den einzelnen Mehr- und Minderheiten eingeräumt wird.

Syrien – ein Land versinkt im Chaos

Baschar al-Assad ist ein grausamer Diktator, der hart gegen Oppositionelle vorgeht. Doch was anfangs als Revolution im Sinne des arabischen Frühlings startete, wucherte zum Bürgerkrieg aus. Al-Qaida hat das Machtvakuum ausgenutzt. Radikale Glaubenskämpfer aus aller Welt haben ihr neues Refugium gefunden. Wie in Afghanistan und im Irak, ist für die fundamentalistischen Kämpfer in Syrien ihr Dschihad, ihr heiliger Krieg, zur »Raison d’être« geworden. Für ihren Glauben sind sie bereit, den Sprengstoffgürtel anzulegen.

Melkitische Christen, griechisch-orthodoxe Christen, Chaldäer, Maroniten, Jesiden, Drusen, Schiiten, Ismaeliten und Alewiten haben nun ein Problem. Wenn die radikalsunnitischen Glaubenstruppen des »Islamischen Staates« vorrücken, bleibt ihnen die Wahl zwischen Flucht, Kampf oder Unterwerfung. Deshalb scharen sich die Minderheiten hinter Baschar al-Assad. Der Präsident ist Alewit. Er weiß, was es heißt, einer Minderheit anzugehören.

Wenn nun allerdings die USA mit großen Geldmengen verschiedene syrische Rebellentruppen unterstützen, wie Barack Obama es angekündigt hat, dann leisten sie somit indirekt der Verfolgung religiöser Minderheiten Vorschub. Denn selbst die gemäßigten  Rebellengruppen wie die Syrische Nationale Koalition oder die Freie Syrische Armee schaffen mit ihrem Kampf gegen das Assad-Regime Freiräume für Al-Qaida-Terroristen und IS-Kampfverbände. Syrien steckt in einem Dilemma: Diktatur oder radikaler Religionsterror?

Horror im Irak: Verfolgung nichtmuslimischer Religionsgruppen und Kampf gegen die Kurden

Im Norden des Irak wehren sich die Kurden gegen die islamischen Terrormilizen. Zwar sind die Kurden mehrheitlich ebenfalls sunnitische Muslime, doch sind sie keine Araber und haben eine eigene Sprache und Kultur. Truppen der kurdischen Peschmerga haben bereits eine Gegenoffensive gestartet. Beteiligt sind auch Kurden aus Syrien, der Türkei und dem Iran.

Der Terror der IS-Milizen trifft zurzeit die Jesiden besonders hart. Die Jesiden sind eine nicht-muslimische, kurdische Minderheit, die zum Opfer der fanatischen Glaubenskrieger geworden ist. Mehr als hunderttausend sind bereits auf der Flucht, viele finden Unterschlupf in Flüchtlingscamps.

Die Jesiden sind Anhänger einer monotheistischen Religion. Ihre religiösen Vorstellungen sind zwar vom Islam, Christentum und iranischen Religionen wie dem Manichäismus und Mithrasglauben beeinflusst, jedoch eigenständig. Sie glauben an einen allmächtigen Gott. Moralischer Kompass ihres Lebens ist die Selbstverantwortung des Menschen, sich stets für das Gute entscheiden zu müssen. Sie wurden im Verlauf ihrer Geschichte immer wieder als Außenseiter angesehen und von den Muslimen als »Teufelsanbeter« verunglimpft. In Deutschland wurden sie erstmals durch den Roman »Durchs wilde Kurdistan« von Karl May einem größeren Publikum vorgestellt.

Eine andere von den IS-Milizen verfolgte Gruppe im Irak sind die Assyrer. Diese christliche Minderheit versteht sich als ethnische Nachfahren des gleichnamigen Volkes aus dem Altertum. Allein aus Mossul mussten Zehntausende assyrische Christen vor den IS-Milizen fliehen. Doch die Assyrer wollen nicht wehrlose Opfer sein. Sie haben sich bewaffnet und zur »Brigade Babylon« zusammengeschlossen. Gemeinsam mit den Kurden und Regierungstruppen stellen sie sich dem Vorrückten der Terrormilizen entgegen.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Patriot

Nun haben alle möglichen Welterklärer, Islamversteher, Migrationsindustrielle, Betroffene, besoffene Betroffene, Empörte, Erschütterte, Entsetzte , Gauckler, Conchita Wurst, Pipi Langstrumpf und Toleranzjunkies im verzweifelten Bemühen, überschüssige Luft aus den Hohlkörpern zwischen den Ohren abzulassen und so erzeugte Sprechblasen mit Sinnhaltigkeit zu füllen, lediglich Geräusche produziert.
(Anm. d. Red.: gekürzt)

Gravatar: Klartexter

Religiöse Vielfalt, gibt es das? In Syrien und dem Irak als Beispiele gab es unter den undemokratischen Verhältnissen, eine von gegenseitigem Respekt der Religionen und dem Respekt vor der Staatsmacht, die verordnete Vielfalt. Fakt ist, religiöse Vielfalt oder Duldung funktioniert zwischen dem Islam und allen anderen Religionen nur durch staatliche Kontrolle und Unduldsamkeit von Ausschreitungen. Die politischen und gesellschaftlichen Tagträumer in Europa, werden zur Gewährleistung der Ruhe zwischen den Religionen die Freiheiten einschränken müssen und die Überwachung ausweiten. Die religiöse Vielfalt im Sinne der Zuwanderungsromantiker, wird also den nichtmuslimischen Bürgerinnen und Bürgern noch viel Nerven und Geld kosten. Vor den Nazis warnt man immer mit dem Satz, "Wehret den Anfängen!". Und wie sieht es mit dem radikalen Islam aus? Da ist doch der Anfang schon lange gemacht und die gewarnt haben sind die Islamophopen, Ausländerfeinde, Volksverhetzer etc.. Am besten bei der Beschimpfungskanonade kommen immer noch die echten Nazis weg, wenn sie als Nazis bezeichnet werden. Alle anderen werden diffamiert. Die Kriege in der muslimischen Welt werdenn auf unbestimmte Zeit weiter geführt werden, was sich auf europäische Staaten in Form von ethnischen Auseinandersetzungen auswirken wird. Die ersten Konflikte gibt es bereits. Aber es ist gut, wenn es ricchtig zur Sache geht, dann wird die deutsche Zipfelmützengesellschaft vieleicht munter. Auf die Politiker kann niemand einen Pfifferlich verwetten, denn die haben die Hose bereits voll.

Gravatar: Andreas Schneider

All dies ist nach meinem Dafürhalten eine Frage der Weltanschauung und der modernen Medienwelt.

Religiös motivierte Gewalt ist nun wahrlich keine Erfindung unserer Zeit, ebenso wenig die Unterdrückung und Verfolgung von Minderheiten. Dass unsere Vorväter sich um solche Exzesse in fernen Ländern dereinst einen feuchten Kehrricht scherten, war allein darauf zurück zu führen, dass sie mangels heutiger Nachrichtentechnik erst gar nicht oder kaum davon erfuhren - "was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß". Und ebenso haben besagte Exzesse in unserem Lande die Bürger im Rest der Welt auch nicht interessiert bzw. interessieren können.

Die Geschichte zeigt nun, dass die introvertierten Weltreligionen (Hinduismus und Buddhismus) zu keiner Zeit ernsthafte Probleme schafften und dies auch heute nicht tun. Die extrovertierten Religionen hingegen haben sich bemüßigt gefühlt (oder tun dies z. T. heute noch), ihre Sache auch mit Gewalt durchzusetzen oder zu verteidigen (wie immer man den Begriff "Verteidigung" nun auszulegen bereit sein mag).

Und an dieser Stelle ist eine klare Trennung zu ziehen zwischen dem christlichen / jüdischen Glauben und dem Islam. Während Christen- und Judentum im Zuge von Aufklärung und später damit einher gehender Säkularisation im Grunde einem permanenten Anpassungsprozess an die moderne Welt mit all ihren Ausprägungen unterlegen haben, befindet sich der Islam in seiner Entwicklung etwa dort, wo dereinst das Christentum Kreuzzüge und Hexenverbrennungen organisierte. Und spätestens ein 30jähriger Krieg mit all seinem Elend hat für uns selbst letztendlich eine blutige Grundlage für die Gesellschaftsform und Lebenswelt geschaffen, wie wir sie kennen. Hat irgendjemand aus Syrien, aus dem Irak oder meinetwegen Afghanistan sich zu dieser Zeit bemüßigt gefühlt, aus "humanitären" Erwägungen oder zum Schutz etwaiger "Minderheiten" zu intervenieren? Wenn um alles in der Welt konnte dies tatsächlich berühren, wenn nicht die Betroffenen? Und wer, wenn nicht die Betroffenen, war es einzig und allein, der (oder die) eine dauerhafte Lösung aus eigenem Antrieb heraus haben initiieren können?

Aus unserer heutigen Sicht fühlen wir uns von dem radikalen Vorgehen eines IS-Miliz, von der Gewalt in den betroffenen Regionen, abgestoßen. Aber bitte: was ganz konkret sollen und können eine externe Intervention, externe Einflussnahme, am Ende noch militärischer Natur, mit einigem Anspruch auf Nachhaltigkeit tatsächlich bewirken? Zeigen nicht die fortwährenden Bauchlandungen der ehemaligen Kolonialmächte wie auch das letztlich erfolglose Wirken der USA in Fremdregionen außerhalb des westlich orientierten Kulturkreises seit Ende des 2. Weltkriegs, dass unsere westlich geprägten Vorstellungen nicht mit der Lebenswelt und den uns fremd anmutenden Gesellschaftsformen der heute vom pervertierten Islam geprägten Regionen dieser Welt kompatibel sind?

Noch vor 200 Jahren hätte aus der gleiche Horror nicht den Dreck unter unseren Fingernägeln interessiert. Wir hätten es einfach nicht gewusst oder es wäre als das gewertet worden, was es nun einmal ist - ein Problem Anderer, ab nicht eins der Unseren.

Diese Einstellung mag mit der Vorstellung einer "zusammen gewachsenen" Welt nicht zur Deckung zu bringen sein. Aber dennoch: auch unsere Geschichte zeigt, dass der Versuch, die Wiederholung eines Unheils durch Einflussnahme von außen zu verhindern, letztendlich zu viel größeren Katastrophen führten. Und wenn es unserer Vorstellung von Humanität u. dgl. m. noch so sehr widerspricht: lasst die Länder dieser Welt ihre Konflikte allein lösen. Geschichte spielt sich nicht in Legislaturperioden ab. Diese Schnelllebigkeit im Dasein, gefördert durch die modernen Medien, ist auf das übergesprungen, was einmal "Politik" war.

Es wäre an der Zeit, die Probleme Fremder eben deren Probleme sein zu lassen und sich stattdessen denen im eigenen Hause zuzuwenden.

Gravatar: keinUntertan

Totalitarismus ist immer schlecht, egal ob religiös oder ideologisch begründet. Es lebe der Pluralismus! Es lebe die Religionsfreiheit und Meinungsfreiheit!

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