Informationsfreiheit

Diebe und Räuber kommen IMMER nachts

In einer Nacht-und-Nebel-Aktion wurde mit den Stimmen aller im Bundestag vertretenden Parteien eines der wichtigsten Informationsgesetze ausgehebelt. Die Abstimmung dauerte noch nicht einmal eine Minute. Wird damit auch eine ganze Behörde überflüssig?

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Die Szene könnte aus einem Hollywood-Streifen mit verschwörungstheoretischem Hintergrund stammen: Kurz nach Mitternacht brennt noch Licht im Plenarsaal. Ein halbes Dutzend Volksvertreter aller regierenden Parteien haben sich schweigend zusammengefunden, denn man ahnt Böses auf sich zukommen – und da ist man sich über alle politischen Barrieren hinweg sehr einig: es besteht Handlungsbedarf. Sogar dringender Handlungsbedarf. Auch ist man sich darüber einig, dass es schnell gehen muss und vor allem unauffällig! Damit dass alles klappt, trifft man sich nachts – und die notwenige Gesetzesänderung wird konspirativ verschleiert.

Anders kann man es nicht nennen, wenn das sogenannte „Omnibus-Prinzip“ angewendet wird: Zur Vorlage als Gesetzesänderung wird ein eher unspektakulärer Passus eines weniger bedeutenden Gesetzes offizielle zum Beschluss vorgelegt – und die unbequeme, die möglichst ohne Aufsehen durch zu winkende Änderung wird „dran gehängt“ – oder dieser Passus ist zugestiegen, eben wie in einen Omnibus. Beides wird auf diese Weise problemlos beschlossen und erhält damit Gesetzeskraft. Die Politiker sind glücklich, der Bürger hat nichts mitbekommen. Nur ein Film? So etwas gibt es in Deutschland nicht?

Die „80 Mio.- Euro - Frage“

Das dachten die Journalisten-Kollegen vom „Stern“ auch, als Sie im vergangenen Jahr beim Bundesrechnungshof (BRH) die „80 Millionen-Euro-Frage“ stellten: so viel bekommen die Fraktionen der im Bundestag vertretenen Parteien zusammen jährlich an Zuschüssen aus dem Staatshaushalt. Sie finanzieren damit wissenschaftliche Mitarbeiter und Reisen für die Abgeordneten, aber auch aufwendige Werbekampagnen und bis heute nicht weiter spezifizierte „Sonderausgaben“ für Abgeordnete. Wie bei Mitteln aus dem Bundeshaushalt üblich, überprüft der Bundesrechnungshof, ob die Gelder ordentlich und rechtlich korrekt ausgegeben werden.

Auffällig ist allerdings, dass der Bundesrechnungshof in den Jahren seit 1989 nie irgendwelche Beanstandungen an der Haushaltsführung der Fraktionen veröffentlicht hat – obwohl ihn das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil im Jahr 1989 ausdrücklich dazu aufforderte. Der Rechnungshof bestätigte auf Anfrage sogar, dass es wiederholt „Beanstandungen“ der Fraktionsfinanzen gegeben habe, die man aber nicht publik gemacht habe. Das liege im eigenen „Ermessen“, argumentierte die Prüfbehörde.

Bereits im Frühjahr letzten Jahres hatten die Journalisten des „Stern“ beim Rechnungshof auf Basis des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) Einsicht in Prüfunterlagen und Untersuchungsberichte zu den Fraktionen beantragt. Ein nicht ganz chancenloses Unterfangen, hatte das Bundesverwaltungsgericht doch ausdrücklich bekräftigt, dass das IFG auch für den Rechnungshof gilt. Trotzdem ließ der Rechnungshof elf Monate lang auf eine Antwort warten – und lehnte diesen schließlich Anfang 2014 ab. Erst durch diesen Negativbescheid wurde klar, was geschehen war: der Bundestag hatte in der Zwischenzeit die Gesetze einfach so geändert, dass ein Zugang zu internen BRH-Unterlagen nicht mehr möglich war.

Die Chronik

- März 2013: Presseanfrage an den Bundesrechnungshof bezüglich der 80 Mio. Euro Zuschüsse

- April 2013: Anfrage des Bundesrechnungshofes an CDU/CSU, FDP, Grüne, Linke und SPD mit der Bitte um eine Stellungnahme zu diesem Antrag.

- Mai 2013 leitet der Bundesrat dem Bundestag den Entwurf eines „Ersten Gesetzes zur Änderung des Finanzausgleichgesetzes“ zu. Es handelte sich dabei um die Regelung von Zuschüssen für Hartz-IV-Empfänger in den ostdeutschen Bundesländern.

- Juni 2013: In erstaunlicher, weil trauter Eintracht fügen CDU/CSU, SPD, FDP und die Grünen einen Änderungsantrag in diesen Gesetzesentwurf ein, der eine völlig sachfremde Änderung der Bundeshaushaltsordnung vorsieht. Hiernach wird nun der Zugang zu internen Unterlagen des BRH nicht mehr möglich sein. Die Fraktion der Linken enthielt sich im Haushaltsausschuss bei der Abstimmung über den Änderungsantrag, trug das geänderte Gesetz als Ganzes aber hinterher mit.

Einer kommt immer, der alles kaputt macht

Neben der beinahe generalstabsmäßig geplanten und bewegten Methodik: „Wie ändere ich ein Gesetz, ohne das es jemand bemerkt“, spielt noch ein weiterer Aspekt parlamentarischer Alltäglichkeiten eine Rolle. Wie aus dem Sitzungsprotokoll ersichtlich wird, gab es durchaus Diskussionsbeiträge der einzelnen Parteien. Na dann, so sollte man denken, ist doch unserer demokratischen Gesetzesfindung in ausreichender Form genüge getan?

Ein ausgesprochen naiver Gedankengang! Frei nach dem Motto: „Einer kommt immer, der alles kaputt macht“, ist hier etwas gründlich schief gelaufen. Die Abgeordneten waren sich ihrer Sache so sicher, dass sie anfingen zu schlampen: Die Diskussionsbeiträge wurde nämlich einfach nur als Reden verfasst und zu Protokoll gegeben. Sie wurden nie gehalten! Und das vor laufender Kamera – im Parlamentsfernsehen! Das gibt es nämlich, für alle frei zugänglich hier.

Zu diesem Zeitpunkt fühlte man sich im Plenarsaal aber noch absolut auf der Gewinnerstraße. Das IFG war ausgehebelt und alle lästigen Fragen vom Tisch. Ein Schelm, der Böses dabei denkt – die „80-Mio.-Frage“ musste nicht mehr beantwortet werden. Dabei ist der Verdacht, dass diese Gesetzesänderung eine Antwort auf den Presse- Antrag war, wohl nicht ganz fernliegend.

„Klammheimlich“ sei diese Änderung geschehen, betont der Rechtsanwalt und IFG-Experte Christoph Partsch. Der Vize-Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Informationsfreiheit hat selbst als Anwalt in den vergangenen Jahren mehr als ein Dutzend Klagen gegen Behörden geführt. „Die wehren sich und verzögern mit allen Mitteln und auf Kosten des Steuerzahlers, selbst wenn sie wissen, dass sie schließlich doch sie herausgeben müssen“. Die eigentliche Motivation der Beamtenschaft gegen eine transparente Informationspolitik sieht der Berliner Rechtsanwalt allerdings ganz woanders: „Unser Steuerrecht stammt aus den 1920er Jahren, ist komplett zweckfrei und wurde in der Nazizeit noch einmal verschärft. Die Selbsteinschätzung der deutschen Beamtenschaft stammt noch aus dieser Zeit und hält weiter an. Niemand aus der Beamtenschaft sieht sich veranlasst, sich zu verantworten“.

Die Geschäftsgeheimnisse der Volksparteien

Und so fand man auch für den Bundesrechnungshof eine ganz einfache Lösung: Man änderte einfach die Gesetze. Schließlich gab es schon einmal eine Panne: Im November 2012 hatte das Bundesverwaltungsgericht dem freien Wirtschaftsjournalisten Stefan Loipfinger aus Rosenheim Recht gegeben. Für Recherchen zu Ausgaben des Entwicklungshilfeministeriums hatte er unter Verweis aufs IFG vom Rechnungshof Einsicht in Prüfberichte verlangt. Die Behörde weigerte sich. Der Journalist klagte und gewann! Das sollte sich nicht wiederholen.

Nun ermöglicht die Änderung des IFG in genau solchen Fällen, Einsichtsanträge abzulehnen. Warum? Die alte Rechtslage „bot uns nicht genügend Rechtssicherheit“, bekannte Rechnungshofpräsident Dieter Engels zum Drängen seiner Behörde. Es habe die „konkrete Gefahr“ eines „Ausforschens“ bestanden. Detailliert wurde einer der höchsten Repräsentanten des deutschen Beamtentums nicht. Muss Herr Engels ja nun auch nicht mehr. Da wundert es allerdings, dass die jüngst neu berufene Bundesbeauftragte Andrea Voßhoff zwar recht diplomatisch, aber doch einigermaßen konkret wurde: Die Änderung sei „nicht zufriedenstellend“, „misslich“ und „widerspricht dem Grundgedanken des IFG“.

Auf eine erneute Anfrage durch „FreieWelt.net“ heißt es: „Die Zitate sind zutreffend und spiegeln die Auffassung der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit wider. Weitere öffentliche Äußerungen der Bundesbeauftragten gibt es zu diesem Thema bislang nicht“. Der antwortende Stellvertretende Pressesprecher, Sven Hermerschmidt, sieht sich allerdings noch einmal verpflichtet, den Sachverhalt klarzustellen: „Die Zitate beziehen sich auf eine Änderung der Bundeshaushaltsordnung und nicht des Informationsfreiheitsgesetzes“. Da scheint dann noch etwas nicht beim Bundesbeauftragten für die Informationsfreiheit angekommen zu sein – das IFG existiert de facto gar nicht mehr! Und damit wäre diese Behörde ebenfalls sinnfrei geworden. Adieu – Herr Hermerschmidt? Für welchen Job wird die Bundesbeauftragte für die nunmehr nicht mehr existierende Informationsfreiheit von den Steuerzahlern jetzt entlohnt?

Warum Zuschüsse an die Parteien geheim bleiben müssen

Als der Rechnungshof im Februar dieses Jahres seinen Ablehnungsbescheid schickte, übernahm er darin übrigens fast eins zu eins die Argumente der Fraktionen gegen die Offenlegung von Prüfberichten zu deren Finanzen. Diese hatten geltend gemacht, dass es ihnen um den „Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen“ gehe. Die Parlamentariergruppen sind also Unternehmen? Doch so absurd das auch klingen mochte, man übernahm diese Begründung. „Die in den Prüfungsfeststellungen enthaltenen Ausführungen zur Personalausstattung, zum Beschaffungswesen und zur Bewirtschaftung von Mitteln“ der Fraktionen, so der Hof, könnten „durchaus in ihrer Vertraulichkeit mit Unternehmensinterna vergleichbar sein“. Daher könnte sich die Wettbewerbssituation zwischen den Fraktionen „verzerren, wenn zum Beispiel Prüfberichte über die eine Fraktion bekannt würden, über die anderen aber nicht“.

Dass mit der gleichen Begründung ebenso verlangt werden könne, Strafurteile über einzelne Politiker geheim zu halten – oder Gerichtsentscheidungen gegen einzelne Unternehmen der Öffentlichkeit vorzuenthalten, entging dem Bundesrechnungshof. Ebenso wie der Gedankengang, dass Fehlverhalten, wie der nicht korrekte Umgang mit finanziellen Zuschüssen, durchaus öffentlich gemacht werden müssen. Das gehört schließlich zu einer offenen Gesellschaft dazu und so funktioniert Demokratie. Wirklich beunruhigend, dass ausgerechnet die Fraktionen im Bundestag mit diesem Gedanken so sehr fremdeln. Deshalb scheint zu zählen: Im Fall der Fälle - die Schotten dicht machen – das funktioniert dann, wenn sich im Bundestag alle einig sind, weil alle davon profitieren. Die Verlierer sind (immer) die Bürger.

Aber man kann ja mal nachfragen. Bei der Abstimmung waren persönlich zugegen:

Peter Willsch (CDU), wiedergewählt

Carsten Schneider (SPD), wiedergewählt

Otto Fricke (FDP), nicht wiedergewählt

Dr. Gesine Lötzsch (Linke), wiedergewählt, Vorsitzende des Haushaltsausschusses

Im Bundestag hat statt Gesine Lötzsch der Abgeordnete Roland Claus die Rede „gehalten“

Priska Hinz (Grüne), wiedergewählt aber zwischenzeitlich aus dem Bundestag ausgeschieden.

Sie erreichen die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit:

per telefon: +49 (0)228-997799-0, per Fax: +49 (0)228-997799-550, per E-Mail: poststelle@bfdi.bund.de

Presse - Telefon: +49 (0)228-997799-916, E-Mail: pressestelle@bfdi.bund.de

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Walter Keim

Dabei ist das IFG international gesehen schon Schlusslicht: Legt man internationale Normen maximaler Offenheit, rascher Antwort und geringer Kosten zugrunde haben 88 Staaten mit ca. 5,5 Milliarden, d. h. 78 % der Bürger auf der Welt haben ein besseres Informationsfreiheitsgesetz als deutsche Bürger im Bund (http://rti-rating.org/results.html).

Die der deutschen Parlamentarier sind also hier die grössten Versager in der ganzen Welt. Selbst die chinesische Komunistpartei er laubt mehr Offenheit. Dies wird ermöglicht durch eine Presse die grösstenteils schläft. Deshalb schätze ich, dass die freiewelt.net sich dieses versäumte n Themas annimmt.

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