Dr. Wahied Wahdat-Hagh European Foundation for Democracy (EFD)

Wahlsystem in Iran eine Fiktion - Interview mit Dr. Wahdat-Hagh

Dr. Wahied Wahdat-Hagh ist Diplomsoziologe und Diplompolitologe und promovierte in der Politikwissenschaft. Er ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter der European Foundation for Democracy (EFD). FreieWelt.Net sprach mit ihm über die Situation und das politische System des Iran, sowie die Frage nach der Behandlung von Minderheiten.

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FreieWelt.Net: In deutschen Debatten über die gegenwärtige Situation im Iran wird vielfach die Behauptung wiederholt, die Verfassungsordnung des Iran zeichne sich - verglichen mit anderen Staaten der Region - durch eine gewisse Pluralität aus: Es fänden Wahlen statt, in denen über alternative Programme abgestimmt werden könne, und nicht-muslimische Minderheiten genössen in der "Islamischen Republik" Religionsfreiheit. Wie gestalten sich "Pluralität" und "Religionsfreiheit" im Iran aus der Sicht der Betroffenen?

Wahied Wahdat-Hagh: Wenn Sie Anhänger des früheren Schahregimes oder liberale Bürgerliche oder säkulare Konstitutionalisten fragen, werden sie Ihnen sagen, dass die Diktatur schon vor 30 Jahren begonnen hat. Eine ähnliche Antwort werden Sie auch von den meisten Linken erfahren.
Wenn Sie manche Mitglieder der Tudehpartei und ihre Jugendorganisationen fragen, werden viele von ihnen sagen, dass die Diktatur spätestens ab 1982 begonnen hat, ähnlich werden auch die Mojahedin und Banissadr, der erste Präsident unter Khomeini, antworten.
Für viele Nationalreligiöse begann die Diktatur in den 90er Jahren, und für viele Linksislamisten und Reformislamisten beginnt die Diktatur jetzt mit der zweiten Amtszeit von Ahmadinejad.
Ansonsten ist das Wahlsystem im Iran eine Fiktion, da ein totalitäres Organ wie der Wächterrat im Vorfeld entscheidet, wer gewählt werden darf, d.h. die Wähler wählen im Iran nicht ihre Kandidaten, sondern die Kandidaten der Diktatur.

FreieWelt.Net: Wie stellt sich die Situation religiöser (nicht-schiitischer) Minderheiten in der "Islamischen Republik" dar?

Wahied Wahdat-Hagh:
Um diese Frage sind viele Mythen in den letzten 30 Jahren verbreitet worden. Lange herrschte der Mythos, oder besser: die politische Lüge, die religiösen Minderheiten im Iran seien frei, da die offiziell anerkannten religiösen Minderheiten sogar Mitglieder im sogenannten Parlament, das den Namen allerdings nicht verdient hat, haben.
Langsam dringt ins Bewusstsein, dass Konvertiten, Muslime, die Christen werden wollen, hingerichtet werden können, falls sie erwischt werden.
Inzwischen wird hier und dort über die massive Verfolgung der Anhänger der jungen Bahai-Religion berichtet, ein dunkles und kaum bekanntes Thema, das ein trauriges Drama darstellt.

FreieWelt.Net: Die UN-Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes qualifiziert bestimmte Handlungen, die "in der Absicht begangen" werden, "eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören", als Völkermord. Kann die Verfolgung der Bahai im gegenwärtigen Iran als Genozid betrachtet - und entsprechend geahndet - werden?

Wahied Wahdat-Hagh:
Völkerrechtler wie Prof. Payam Akhavan oder Prof. Irwin Cotler bejahen diese Frage. Seit 30 Jahren versuchen die Regierungen der „Islamischen Republik Iran“, die iranische Bahai-Gemeinde zu zerstören. Schutzwürdig sind nur die anerkannten Religionen im Iran. Ausdrücklich werden die Bahai von Staats wegen nicht als schutzwürdig bezeichnet. Ayatollah Golpayegani forderte 1991, dass die „kulturellen Wurzeln“ der Bahai Gemeinde „ausgelöscht“ werden sollten. Und niemand denkt an die Verhütung eines schleichenden Völkermords. Bahai dürfen nicht studieren, Kinder werden vor der Schulklasse erniedrigt. Gräber werden verwüstet. Die Institutionen sind ohnehin vernichtet. Ich wage zu sagen, dass die Bahai als aktive gesellschaftliche Subjekte, die offen und frei ihren Glauben leben können, seit dreißig Jahren atomisiert worden sind. Für die physische Vernichtung setzt die Regierung auf Zeit.
Aber es gibt auch weitere massive Menschenrechtsverletzungen im Iran. Bei den letzten Unruhen soll es etwa 700 Tote gegeben haben. Tausende sollen verhaftet worden sein. Zynischerweise entlässt die Regierung nun etwa 150 Gefangene, als ob die staatlichen Verbrechen mit politischen Lügen aufhören würden. Auch die geschlechtsspezifische Unterdrückung der Frauen, die Zwangsverschleierung sind Probleme.
Iran ist nicht Saudi-Arabien, Irak oder Afghanistan, vergessen Sie dies nicht. Iran ist weder nur Krone noch nur Turban. Iran ist mehr. Die europäische Regierungspolitik orientierte sich bisher nur nach eigenen Wirtschaftsinteressen. Diese Politik ist in eine Sackgasse gelangt. Nicht nur wegen des Atomprogramms und wegen den Mittelstreckenraketen, die Europa erreichen könnten, sondern in den Mittelpunkt gelangen sollten auch die massiven Menschenrechtsverletzungen im Iran.

FreieWelt.Net: Anders als die Bahai gelten Zoroastrier, Juden und Christen als geduldete Religionen - deren Angehörige freilich infolge der khomeinistischen Revolution auf den Status von Bürgern zweiter Klasse herabgedrückt wurden. Wie wirken sich die Normen des "islamischen Rechtes" des Iran auf das Leben der christlichen Gemeinschaften des Landes aus?

Wahied Wahdat-Hagh:
Die Zoroastrier leben in ihren Enklaven. Von den über 120.000 Juden, die noch vor 30 Jahren in Iran lebten, leben nur noch rund 30.000 Juden im Iran. Wenn sie sich öffentlich mit Israel, der jüdischen Heimatstätte, identifizieren, müssen sie mit der Todesstrafe rechnen.
Die Angehörigen der christlichen ethnischen Minderheiten, der armenischen und assyrischen Kirchen, dürfen noch nicht einmal auf Persisch in ihren eigenen Kirchen predigen. Die Regierung fürchtet, dass immer mehr Muslime konvertieren könnten. Für Apostasie gibt es im Iran die Todesstrafe. Das ist ein islamisches Gesetz, das immer angewandt werden kann. Nun soll auch dieses Scharia-Gesetz in der Strafgesetzgebung festgeschrieben werden. Der Gesetzesentwurf war in einer ersten Lesung vom iranischen Pseudo-Parlament (Majless) in Teheran im September 2008 verabschiedet worden. Damals stimmten 196 Majlessmitglieder mit Ja, nur sieben mit Nein, zwei enthielten sich der Stimme. Es gibt nun das Gerücht, dass dieses Gesetz nicht endgültig verabschiedet wird. Wie auch immer, das islamische Schariagesetz gilt ohnehin, und so müssen die konvertierten Christen schon heute mit der Todesstrafe rechnen und können nur im Untergrund ihren Glauben ausüben.

FreieWelt.Net: Inwieweit unterscheiden sich Reformislamisten wie Moussavi oder Präsident Ahmadinejads Amtsvorgänger Khatami, welche in Deutschland - und anderen EU-Mitgliedstaaten - vielfach als demokratische Hoffnungsträger gepriesen werden, programmatisch von den "Ultras" um den amtierenden Präsidenten? Besteht die Hoffnung, daß im Zuge einer Zurückdrängung des Einflusses der Anhänger Ahmadinejads innerhalb der politischen Klasse des Iran die "republikanischen" Institutionen ansatzweise säkularisiert werden und etwa der Verfolgung der Bahai oder der zum Christentum konvertierten Ex-Muslime ein Ende gesetzt wird?

Wahied Wahdat-Hagh:
Selbstverständlich gibt es Differenzen innerhalb des islamistischen Spektrums und große Machtkämpfe. Am letzten Samstag stand sogar der ehemalige Vizepräsident Khatamis vor dem Gericht. Wahrscheinlich mit dem Tode bedroht, im Gefängnis, hat er den Ex-Präsidenten Khatami, den Ex-Präsidenten Rafsanjani und den Ex-Ministerpräsidenten Moussavi bezichtigt, sich gegen den Revolutionsführer Khamenei vereint zu haben, um ihn zu stürzen.
Alle drei: Moussavi, Rafsanjani und Khatami, hätten sich zusammengetan. Sie hätten eine geheime Sitzung gehabt und geschworen, dass sie sich gegenseitig nicht alleine lassen würden, weil sie alle gegen die Wahl von Ahmadinejad seien. Abtahi sagte, Khatami habe alles gewusst, die Macht der Führung gekannt, und dennoch habe er mit Moussavi gemeinsame Sache gemacht; sein Handeln habe einen verräterischen Charakter gehabt. Zwar habe jeder der Verschwörer eine andere Absicht gehabt, alle jedoch hätten mit der Anstiftung zu den Demonstrationen die Sicherheit des Iran gefährdet. Rafsanjani habe sich an Khamenei rächen wollen.
Jetzt fordern andere hierzulande weniger bekannte Kleriker die Verhaftung auch Moussavis und die Verurteilung aller Verantwortlichen für die Aufstände. Vielleicht schaffen sie es ja, die stalinistischen Schauprozesse in den Schatten zu stellen.
Säkularisierung innerhalb des Systems? Nein, manche sprechen davon, dass die Pasdaran die Macht übernehmen könnten. Es ist erstaunlich, wie wenig bekannt die iranische Geschichte ist, denn der Revolutionsführer Khamenei, den man auch gerne Geistlichen Führer nennt, der er mitnichten ist, war ein Pasdar, ein Revolutionsgardist der ersten Stunde, und zwar als Front-Revolutionsgardist im Iran-Irak-Krieg.
Zudem steht der Revolutionsführer Khamenei voll hinter Präsident Ahmadinejad. Heute am Montag hat er den Präsidenten zum zweiten Mal offiziell in das Präsidentenamt gehoben.
Es stehen weitere Jahre der Holocaustleugnung, der Unterstützung des Terrorismus der Hisbollah, der Hamas und der Jihade Islami, des staatlich verordneten Antisemitismus und des Anti-Bahaismus und eine Zuspitzung der totalitären khomeinistischen Diktatur an.
Die Bahai haben keine Chance auf ein freies Leben in der Islamischen Republik Iran. Eine Verhinderung der Pogrome und eine Verhinderung eines Massenmordes gegen die Bahai sind das Gebot der Stunde.

FreieWelt.Net: Der Iran setzt nicht nur - wie von Ihnen beschrieben - Negativstandards in Sachen Nichtrespektierung von Menschenrechten religiöser und politischer Nonkonformisten, sondern negiert auch offen die Souveränitätsrechte anderer Staaten, wie sich an der iranischen Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Irak und des Libanon, dem erklärten Ziel einer Auslöschung der jüdischen Republik und dem - in diesem Jahr offiziell bekräftigten - Mordaufruf gegen Salman Rushdie zeigt. Reagiert der "Westen", der - insbesondere im Hinblick auf die Nachbarländer des Iran, nämlich den Irak und Afghanistan - den Anspruch einer gewissen Pazifizierung der Region erhebt, in angemessener Weise auf das aggressive Auftreten der Islamischen "Republik" in der internationalen Arena?

Wahied Wahdat-Hagh:
Der Westen ist gespalten. Der Iran weiß das und betreibt seit Beginn der 90er Jahre eine Spaltpilzaußenpolitik. Zunächst wollte man die Europäer von den US-Amerikanern spalten. Der Iran gab Europa wirtschaftliche Anreize einer Zusammenarbeit und forderte als Konsequenz eine unabhängige Politik von den USA. In islamistischer Perspektive sollte Europa eine antiamerikanische und antiisraelische Politik betreiben.
Gleichzeitig baute man mit einigen Staaten der Dritten Welt, wie mit Venezuela und Brasilien, aber auch mit Nordkorea, China und Russland Parallelschienen auf. Die Diktatur wollte sich langfristig auch von Europa verselbständigen, falls die Europäer sich nicht gänzlich von den USA ablösen würden.
Das wurde über eine lange Zeit hinweg nicht erkannt und nicht ernst genommen, bis die Sicherheitspolitik eine größere Rolle in Deutschland und Europa zu spielen begann.
Heute sind die Fortsetzung des iranischen Atomprogramms und die militärische Aufrüstung des Iran, insbesondere das Raketenprogramm plus einer potentiell möglichen khomeinistischen Atombombe oder besser Atombomben auch ein Unsicherheitsfaktor für Europa geworden. Die Frage ist, ob Europa es schafft, eine werteorientierte - gemeint sind demokratische und menschenrechtsorientierte Werte - Außenpolitik zu betreiben, und sich mehr transatlantisch mit den USA und mit Israel abstimmt, oder weiterhin faktisch den Islamismus und die islamistischen Bewegungen ständig entschuldigt und stärkt.

 

Zur Internetpräsenz von Dr. Wahied Wahdat-Hagh:

europeandemocracy.org

Foto: Wahdat-Hagh

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