Interview mit Rahim Taghizadegan

»Menschenwürde ist mehr als vor dem TV stillzuhalten«

Über den Zusammenhang von Märkten, Unternehmertum und die Entmachtung des Konsumenten sprach FreieWelt.net mit dem Gründer des Wiener Instituts für Wertewirtschaft Rahim Taghizadegan.

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FreieWelt.net: In der Ankündigung Ihrer nächsten Tagung über Probleme und Perspektiven des Unternehmertums heißt es, dass Unternehmern das Leben immer schwerer gemacht werde. Der Grund: »Die Märkte sind zunehmend verzerrt.« Was meinen Sie damit?

Rahim Taghizadegan: Ein Markt ist umso verzerrter, je weniger es die Cents der Kunden sind, die darüber entscheiden, was, wie viel und auf welche Weise produziert wird, sondern die Euros von Funktionären. Dadurch gerät die Marktwirtschaft zunehmend in Misskredit, denn aufgrund der Verzerrungen wird auf den Märkten an den wirklichen Bedürfnissen der Menschen vorbei produziert.

FreieWelt.net: Könnten Sie ein oder zwei Beispiele geben, das das Problem anschaulicher machen?

Rahim Taghizadegan: Ein aktuelles Beispiel für typische Schieflagen: Ein durch politisch niedrig gehaltene Zinsen schnell aufgeblähtes, schuldenfinanziertes Versandunternehmen, dessen Geschäftsmodell auf der politischen Verbilligung des Massentransports und dem politisch angefachten Konsumwahn beruht, erhält noch einen Zuschuss von 22,4 Millionen Euro Steuergeld. Natürlich bietet dieses Unternehmen auch eine von den Kunden geschätzte Leistung an, stiftet somit einen Wert und drängt durch Wettbewerb zu Innovation. Doch es ist eben ein verzerrter Wettbewerb, sodass immer mehr Menschen das vermeintliche »Marktergebnis« nicht behagt, weil sie spüren, dass keine Kostenwahrheit herrscht. Leidtragende sind kleine und mittelständische Unternehmen und Familienunternehmen mit weniger direktem Zugang zu Politik und Banken, die bei konfiskatorischen Steuersätzen die Hauptlast dieser Schieflage zu tragen haben.

FreieWelt.net: Werden Märkte nur durch den Staat verzerrt oder gibt es auch nicht-staatliche Akteure, deren Handeln sich in dieser Weise auswirkt?

Rahim Taghizadegan: Der Gegensatz Markt und Staat ist irreführend. Ein großer Teil des heutigen »Marktes« ist Nutznießer der politischen Verzerrungen. Die meisten – und offenbar auch Sie – verstehen unter »Staat« eine Rechtsordnung. Damit hat diese »Politik« wenig zu tun, es handelt sich nach dem Vokabular der alten Griechen um Stasis: Die Durchsetzung von Interessengruppen auf Kosten anderer. Eine Marktverzerrung würde ich als versteckte Schieflage zugunsten von Einzelinteressen definieren.

FreieWelt.net: Kritik lässt sich leicht formulieren. Aber wie sieht ein nicht verzerrter Markt aus? Ich habe den Verdacht, dass wir dann zivilisatorisch auf einer viel niedrigeren Stufe stehen würden als heute. Es würde das Recht des Stärkeren gelten …

Rahim Taghizadegan: Das ist ein Missverständnis. Mit Verzerrungen meine ich natürlich nicht Regeln des Rechts, die Konflikte ausräumen und Schwache schützen. Märkte gibt es überall, sogar im real existierenden Sozialismus gab es sie – selbst in der UdSSR erfolgte circa 40 Prozent der Versorgung über Märkte. Ein nicht verzerrter Markt bedeutet: Die Angebote von Unternehmern können stets abgelehnt werden, alle Kosten, auch Folgekosten, werden streng den Urhebern zugerechnet, das Geld ist wertstabil, und letztlich bestimmen die Konsumenten über die Produktionsstruktur.

Heute beginnt das kundenfreie Unternehmen zu überwiegen: Nicht reale Wertschöpfung, sondern Zugang zu Krediten und durch Inflationierung aufgeblasenem »Venture Capital«, Fördertöpfen, Gesetzgebern und Behörden bestimmen über Gedeih und Verderb von Unternehmen. Das bedeutet eine massive Entmachtung des Konsumenten zugunsten von Bankiers, Politikern und Großkonzernen. Der Konsument wird immer mehr als dauerberieselter Systemtrottel gemolken, der Dienst am Kunden und damit die Orientierung am Mitmenschen, die echter Marktwirtschaft eigen ist, tritt in den Hintergrund.

FreieWelt.net: Ein Problem entwickelter Industriegesellschaften ist der Sozialstaat, der massiv marktverzerrend wirkt. Doch seine Existenz ist die logische Folge der Einsicht, dass jeder Mensch das Recht auf ein menschenwürdiges Leben hat. Marktverzerrungen durch Sozialleistungen sind also unerlässlich. Kann man die Klage über Marktverzerrungen durch den Staat also nur aufrechterhalten, wenn man das Konzept der Menschenwürde über Bord wirft?

Rahim Taghizadegan: Das ist ein Mythos, und ich bin erstaunt, ihn auf einer der Freiheit gewidmeten Seite anzutreffen. Armut wurde nachhaltig noch nie durch Transfers abgebaut, immer nur durch das Schaffen von Wohlstand. Allerdings ist es auch nicht die Armenunterstützung, die heutige Märkte hemmt. Die soziale Unterstützung der Ärmsten fällt bei den heutigen Geldströmen überhaupt nicht ins Gewicht. Die Umverteilung zu den Armen ist heute nur noch Vorwand und Fassade für eine viel größere Umverteilung zu immer reicher werdenden Systemgünstlingen. Wenn die »Menschenwürde« darin besteht, gemaßregelter, überwachter Zuteilungsempfänger zu sein, der eine Prämie dafür kassiert, vor dem Fernseher stillzuhalten und weiterhin brav seine Stimme »abzugeben«, dann werfe ich sie gerne über Bord.

FreieWelt.net: Dasselbe gilt meines Erachtens auch für die Demokratie: Durch sie werden Märkte verzerrt, doch das muss in Kauf genommen werden, wenn man die Demokratie erhalten will. Befinden wir uns hier nicht in einem oder mehreren Dilemmata – und gibt es Auswege daraus?

Rahim Taghizadegan: Ganz im Gegenteil: Das traditionelle Verständnis von Demokratie besteht gerade in der Abwesenheit von Verzerrungen und Privilegien.

FreieWelt.net: Nehmen wir einmal an, es gäbe reine Märkte. Es müsste dann doch wohl Märkte geben, die weniger rein, also verzerrt sind, und zwar in unterschiedlichen Abstufungen. Was stünde am anderen Ende dieses Kontinuums und wo ist der Punkt, den man anstreben sollte?

Rahim Taghizadegan: Märkte sind nur ein kleiner Ausschnitt menschlichen Lebens. Gerade die Verzerrungen unserer Zeit führen dazu, dass Geld und Märkte ständig unser Denken bestimmen. Wir laufen in Hamsterrädern und glauben, das wäre der »Wettbewerb«. Menschliche Gesellschaften werden immer Mängel, Irrtümer, Gewalt und Ungerechtigkeiten aufweisen. Am schlimmsten aber ist die Illusion unserer Tage, im Westen mit »Marktwirtschaft« und »Demokratie« das Ende und den Höhepunkt der Geschichte erreicht zu haben. Das Erwachen aus dieser Illusion wird bitter sein.

Menschliche Gesellschaften als planbare Konstrukte anzusehen, in denen man zentral irgendwelche Abstufungen durchsetzen und Dilemmata aufzulösen habe, ist Teil dieser Illusion. Im besten Sinne können Märkte Entdeckungsprozesse und Prozesse individuellen Abwägens sein, um unsere materiellen Bedürfnisse zu decken. Markt bezeichnet eine Form zwischenmenschlicher Koordination unter Fremden auf der Grundlage von Gegenseitigkeit und Freiwilligkeit. Märkte ersetzen weder Freundschaft noch Familie, doch stellen sie die wesentliche Alternative zu Konflikten zwischen Fremden dar. Wer nicht autark in kleinen Gruppen eng Vertrauter leben möchte – und auch das ist zulässig –, der ist auf Märkte angewiesen. Je weniger künstliche und verdeckte Schieflagen dabei bestehen, je weniger Lug und Trug, je mehr Kostenwahrheit und Vertrauen, desto besser. Mit einer zu konstruierenden Utopie am Ende eines Kontinuums – als einem ideologischen Extrem – hat das überhaupt nichts zu tun.

FreieWelt.net: Am Ende des Nachdenkens über Politik und Wirtschaft steht eigentlich unausweichlich die Frage nach dem Menschenbild, von dem aus man seine Überlegungen anstellt und Kritik formuliert. Wie ist das bei Ihnen: Von welchem Menschbild aus formulieren Sie Ihre Kritik?

Rahim Taghizadegan: Einem realistischen.

FreieWelt.net: Was wollen Sie mit dem Symposion am 17. Oktober 2014 bewirken?

Rahim Taghizadegan: Das Symposion »Unternehmer auf verzerrten Märkten« am Universitätscampus Krems (bei Wien) thematisiert die Problematik der Marktverzerrungen erstmals wissenschaftlich, soll einen praktischen Austausch der zahlreichen teilnehmenden Unternehmer ermöglichen und zugleich ein kräftiges, weithin sichtbares Lebenszeichen des bedrängten Unternehmertums – im wahren, werteorientierten Sinne – darstellen.

FreieWelt.net: Vielen Dank für das Gespräch.

Rahim Taghizadegan ist Wirtschaftsphilosoph und Gründer des Instituts für Wertewirtschaft in Wien, ein unabhängiges Zentrum freier Forschung und Lehre. Er unterrichtete unter anderem an der Universität Liechtenstein und der Wirtschaftsuniversität Wien und ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Internationalen Akademie für Philosophie. Er ist Bestseller-Autor und gefragter Vortragender im In- und Ausland. Zuletzt erschien von ihm im Finanzbuchverlag »Österreichische Schule für Anleger«.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Wahrlook

Nur mal so nebenbei, von welcher Menschenwürde wird hier gesprochen?
Der menschlichen, der geistigen oder der kapitalistischen?

Ich habe alle drei kennengelernt und keine ist mir geblieben.
Sogar in der Werbung bleibt keine "unangetastet"!
Eigentlich müßte man sagen:
Besonders in der Werbung bleibt keine "unangetastet"!

Gravatar: Automat

Wie war das noch vor vierzig Jahren? Genau, <a href="https://www.youtube.com/watch?v=H3AxGp5k-Qo" rel="nofollow">Kinderläden waren unheimlich dufte und Fernsehen galt als Instrument der Unterdrückung und Verblödung der Massen. </a>

<a href="https://app.box.com/s/8xg7f3fwn8d66brpoukm" rel="nofollow">Die Agenda der unheimlich duften Kinderläden</a> scheint in Deutschland <a href="https://app.box.com/shared/0mxs9jjzs2" rel="nofollow">heute von der Exekutive und ins kollektive Unbewusste übernommen</a> zu sein, während zur Finanzierung des Massenunterdrückungs - und Massenverblödungsinstruments Fernsehen durch eine Zwecksteuer inzwischen jede/r herangezogen wird, der der deutschen Meldepflicht folgend eine Meldeadresse hat. Über solche Mittel und Methoden, so genannten 'freiwilligen Zwang', haben <a>organisierte Volksaufklärung und Propaganda</a> noch nie zuvor verfügt in diesem Ihrem Lande, diesem Fummelstaat.

Der Tanz der Stadtindianer um den Totem ihres lichten Wahnsinns ist wohl schon lange übergegangen in einen kollektiven morbiden Irrsinn, der sich über alle deutschen politischen Ebenen erstreckt und die Institutionen der Eurokratie mit einschliesst.

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