Stefan Fuchs Institut für Demographie, Allgemeinwohl und Familie

Interview mit Stefan Fuchs

Stefan Fuchs ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Demographie, Allgemeinwohl und Familie (I-DAF). Auf der Tagung des Familiennetzwerkes am 9. Mai wird er zum Thema „Elternhaus oder Staat“ referieren. FreieWelt.net sprach mit Stefan Fuchs über Familienpolitik in Deutschland.

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FreieWelt.net: Herr Fuchs, das Thema Ihres Vortrages am Samstag lautet „Elternhaus oder Staat“. Sehen Sie hier einen Konflikt?

Stefan Fuchs: Ich habe den Titel so gewählt, weil es der neuen – von der Bundesregierung „nachhaltig“ genannten – Familienpolitik tatsächlich nicht nur um graduelle Veränderungen des Verhältnisses von privater und öffentlicher Erziehung geht, sondern um einen grundlegenden Paradigmenwechsel. Das Ziel dieses Paradigmenwechsels ist eine wesentlich stärkere „öffentliche Verantwortung“ für das Aufwachsen von Kindern und ganz allgemein eine weitreichende „De-Familialisierung“ in Deutschland.

FreieWelt.net: Was bedeutet De-Familialisierung in diesem Zusammenhang?

Stefan Fuchs: Defamilialisierung bedeutet – so die prägnante Definition der Göttinger Soziologin Ilona Ostner – „die Befreiung der Familie von ihren Betreuungspflichten und die Individualisierung von Kindheit und Alter“. Es geht also darum Mütter von den Aufgaben der Fürsorge für Kinder und ältere Menschen freizustellen, indem deren Betreuung aus der Zuständigkeit der Familie in die öffentlicher Institutionen verlagert wird. Ziel ist es, die unbehinderte Verfügbarkeit von Frauen auf dem Arbeitsmarkt zu gewährleisten. Es geht nicht darum, dass Mütter überhaupt erwerbstätig sein sollen – das sind sie mehrheitlich schon heute. Sie sollen vielmehr möglichst ganztägig – also nicht mehr wie bisher überwiegend in Teilzeit – sondern in Vollzeit als Arbeitskräfte verfügbar sein. Hier treffen sich die Interessen von Wirtschafts- und Arbeitgeberverbänden mit denen von Politikern und Staatsbeamten und denen von Feministinnen und bilden eine breite advocacy coalition zur Durchsetzung der De-Familialisierung. Es geht darum, das Verhalten der Menschen in Richtung hoher Erwerbsquoten und entsprechend höherer Einnahmen aus Steuern und Abgaben zu lenken, um das durch die Alterung der Gesellschaft massiv gefährdete System der Renten- und Sozialversicherung, das Gesundheitssystem usw. zu erhalten.

FreieWelt.net: Welche Erfolge konnten die Befürworter einer De-Familialisierung in der Familienpolitik der letzten Jahre verbuchen?

Stefan Fuchs:
Der Paradigmenwechsel hin zur „Defamilialisierung“ begann in der Amtszeit von Renate Schmidt (SPD) und wurde von Ursula von der Leyen (CDU) konsequent fortgesetzt. Das Leitbild dieser „nachhaltigen“ Familienpolitik ist die „kontinuierliche“ Erwerbstätigkeit beider Elternteile. Diese soll ermöglicht werden durch den Ausbau einer umfassenden Ganztagsbetreuung von Kindern spätestens ab dem zweiten Lebensjahr. Parallel zum Ausbau der institutionellen Kinderbetreuung wird der Druck auf Eltern beiderseitig erwerbstätig zu sein verschärft. Ein Beispiel hierfür ist die Elterngeldreform mit der die vergütete Erziehungszeit für geringverdienende Eltern gekürzt wird, um eine möglichst frühzeitige Rückkehr von Müttern kleiner Kinder ins Erwerbsleben zu erzwingen. Dem Ziel den Erwerbsdruck auf Mütter zu verschärfen dient auch das neue Unterhaltsrecht, das die „nacheheliche Eigenverantwortung“ geschiedener Mütter einfordert. Auch auf Mütter in intakten Ehen soll künftig, z. B. durch „Reformen“ des Ehegattensplittings, mehr Erwerbsdruck ausgeübt werden.

FreieWelt.net: Wo genau sehen Sie das Problematische an dieser Entwicklung?

Stefan Fuchs:
Das Problematische ist die Fixierung auf das Ökonomische, das in Geldwerten messbare. Man muss sehen, dass die monetäre Bilanz eines Lebens nicht identisch ist mit Lebensqualität. Aus einer lebensweltlichen Perspektive der Familien steht Lebensglück, Häuslichkeit, auch gemeinsame Zeit und die Qualität der Beziehungen im Vordergrund. Niemand bekommt seine Kinder, um durch sie den „Wirtschaftsstandort“ oder das Rentensystem zu retten. Viel eher geht es um Liebe und Lebenssinn. Die Perspektive des Staates und der Wirtschaft ist eine andere: Hier will man Cash sehen.

FreieWelt.net: Wie müsste demgegenüber eine gerechtere Familienpolitik Ihrer Meinung nach aussehen?

Stefan Fuchs:
Ich nenne Ihnen zwei Stichworte: Wahlfreiheit und Lastenausgleich. Man kann auch sagen, dass der Interessenkonflikt zwischen Eltern und Staat eine institutionelle und eine materielle Seite hat. Zunächst die institutionelle Seite: Der Staat favorisiert eine „one size fits all“-Politik, dafür stehen der flächendeckende Ausbau der Kita-Plätze und der Ganztagsschulen. Damit werden die Möglichkeiten von Eltern beschnitten eigene, auf die individuellen Bedürfnisse ihrer Kinder abgestimmte, Betreuungsarrangements zu finden. Viele Eltern ziehen es etwa vor, verschiedene Betreuungsmöglichkeiten zu kombinieren, die Oma, die Nachbarn, der Verein, die Freunde – und auch die Schule und der Kindergarten, aber eben nur als ein Teil. Den voranschreitenden Ganztagszwang empfinden viele Eltern, besonders in der bürgerlichen Mittelschicht in den alten Bundesländern, als enorme Beschränkung ihrer Wahlfreiheit.

FreieWelt.net:
Und die materielle Seite?

Stefan Fuchs: Die Wahlfreiheit hat auch eine materielle Seite. Es müssen nämlich auch die materiellen Voraussetzungen für Wahlfreiheit gegeben sein. Bevölkerungsumfragen, wie die „Population Policy Acceptance Study“ haben deutlich gezeigt, dass Eltern, insbesondere Eltern mit zwei und mehr Kindern, ihre Prioritäten eher bei den finanziellen Maßnahmen für Familien wie Kindergeld, Kinderfreibeträgen usw. setzen. Die Politik will nun aber, statt die finanzielle Unterstützung von Familien auszubauen, lieber Ressourcen in Betreuungsinfrastruktur umlenken. Dahinter steht auch der offene Anspruch, die Kinder in den öffentlichen Einrichtungen besser auszubilden und damit letztlich bessere Steuer- und Beitragszahler aus ihnen zu machen, als es die Eltern könnten. Ob diese Rechnung aufgeht – daran wird man wohl noch Zweifel anmelden dürfen.

FreieWelt.net: Wie könnte gerechte Familienpolitik konkret aussehen?

Stefan Fuchs:
Es kommen ja immer wieder gute Vorschläge, jüngst ausgerechnet von der FDP-Fraktion, die einen Freibetrag von 8000 € pro Kind und 200 € Kindergeld gefordert hat. Es gibt einige familienpolitisch sehr vernünftig denkende Leute in der FDP, ich nenne nur die Namen Solms, Niebel und Thiele. Vernünftige Familienpolitik muss sich an den ordnungspolitischen Zielen der Wahlfreiheit und des Lastenausgleichs orientieren. Lastenausgleich zwischen Eltern und Kinderlosen heißt, dass zumindest das Existenzminimum von Kindern steuerfrei bleiben sollte bzw. bei Mittel- und Geringverdienern ein Zuschuß zu den Kinderkosten gegeben wird. Darüberhinaus sollte man auch über einen Leistungsausgleich für Familien reden, der ihren Beitrag zum Generationenvertrag und damit für die Zukunft des Gemeinwesens angemessen honoriert.

 

Das Interview führte Christoph Kramer

Internetseite des Instituts für Demographie, Allgemeinwohl und Familie (I-DAF)

Foto: Stefan Fuchs

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