Stasi entdämonisiert

Das neue Buch von Ilko- Sascha Kowalczuk „Stasi konkret- Überwachung und Repression in der DDR“ sorgte schon vor Erscheinen in den Kreisen derjenigen, die sich mit Aufklärung des SED-Unrechts befassen, für Unruhe.

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Ausgelöst wurde diese Unruhe durch Vorab- Veröffentlichungen in Super- Illu und Spiegel, die sich hauptsächlich mit einem Aspekt befassen: der Anzahl von der Stasi geführten Inoffiziellen Mitarbeiter (IM).

Im Jahr 1989 war Stasichef Mielke noch eine interne Statistik vorgelegt worden, die von knapp über 102 000 IM ausgeht. In den Jahren danach ist diese Zahl von der BStU immer wieder nach oben korrigiert worden und betrug zum Schluss 189 000 IM. Das ließ die Stasi im nachhinein monströser erscheinen,als sie es war.

Was Kowalczuk geltend macht, dass IM nicht gleich IM war, dass eine erhebliche Anzahl Angeworbener gar nicht, oder kaum, über Mitmenschen berichtet und nur allgemeine Stimmungseinschätzungen abgegeben hat, weiß jeder, der eine umfängliche Stasiakte eingesehen hat. Die Bandbreite reicht von eifrigsten Zuträgern, die sichtlich gern und gründlich berichtet haben, bis zu, um ein Beispiel aus meiner Akte anzuführen, 16-jährigen Waisen, die nicht gewagt haben, sich der Stasi-Werbung zu widersetzen, aber dann so dämliche Berichte schrieben, dass die Stasi bald auf ihre Mitarbeit verzichtete.

Ich hätte mir gewünscht, dass Kowalczuk gründlicher herausgearbeitet hätte, wie es zu dieser Fokussierung auf die Inoffiziellen Mitarbeiter in der öffentlichen Diskussion kam.

Einen Hinweis gab Wolfgang Berghofer, dem ehemaligen OB von Dresden, der von einem Krisentreffen Anfang Dezember 1989 berichtete, das mit Modrow, Wolf , Gysi und ihm stattgefunden hat, in dem beschlossen wurde, den Volkszorn, den damals die SED zu spüren bekam, auf die Staatsicherheit zu lenken. 
Vor der Öffnung der Stasiakten wiederum gelang es, durch Veröffentlichung spektakulärer Fälle, die Aufmerksamkeit der Medien auf die IM zu richten. 
Die Weltöffentlichkeit war erschüttert über Enthüllungen, dass Ehemänner ihre Frauen, Brüder ihre Brüder, Eltern ihre Kinder oder umgekehrt, beste Freunde ihre besten Freunde bespitzelt haben. Dabei gerieten die gleichzeitig offengelegten Maßnahme-, und Zersetzungspläne der Stasioffiziere, die das Zerstören von Berufskarrieren, von Ehen und Familien, des Rufes von Menschen, von Freundschaften und manchmal von Leben minutiös planten, aus dem Blickfeld. 
Kowalczuk weist richtig darauf hin, dass die Stasi viel weniger effektiv gearbeitet hat, als die Öffentlichkeit heute annimmt. Der geplante Mordversuch am Schriftsteller Jürgen Fuchs, der ausgeführt wurde, als der bereits in Westberlin war, scheiterte zum Glück.Mordplanungen, die Rainer Eppelmann und Ralf Hirsch in Ihren Stasiakten fanden, blieben auf dem Papier.

In meinem Buch „Virus der Heuchler“ habe ich im Zusammenhang mit meinem Berufsverbot darauf hingewiesen, dass es einen Maßnahmeplan der Stasi gab, auch gegen andere Mitglieder des Pankower Friedenskreises Maßnahmen zur Behinderung oder Beendung ihrer beruflichen Karriere zu ergreifen, die aber, so resümierte unser Bearbeiter, Oberleutnant Kappis „aufgrund unterschiedlicher Probleme (Krankheit, urlaub, mehrfach nicht angetroffen, Arbeitsbereich gewechselt)“ nicht ausgeführt wurden.

Das macht die Stasi nicht weniger schlimm, nur wird sie ihrer angeblichen Unfehlbarkeit, Perfektion und Allwissenheit entkleidet. Das ist auch dringend nötig, denn eine Dämonisierung Stasi verstellt den Blick auf die wirklichen Abläufe und die Verantwortlichen hinter der Geheimpolizei. So konnte es passieren, dass die umbenannte SED schon bald in den Medien reüssieren konnte. Sie wurde, obwohl Befehlsgeberin der Staatsicherheit, kaum noch mit ihr in Verbindung gebracht.

Kowalczuk hat recht, wenn er darauf verweist, dass es jede Menge Denunziationen gegeben hat, die nichts mit der Stasi zu tun hatten, weil sie der Partei aus eigenem Antrieb vorgetragen wurden. Um eine Diktatur richtig zu verstehen, muss man aber fragen, was die Auslöser dafür waren, das System freiwillig zu unterstützen.

Nach über zwanzig Jahren recht einseitiger, stasifixierter Aufarbeitung der Diktaturgeschichte der DDR plädiert Kowalczuk für ein notwendiges Umdenken und ein Korrektur der bisherigen Herangehensweise, besonders auch seiner Behörde. Dass er damit ein Buch gegen bestimmte Forscherkollegen geschrieben hat, wie Stefan Berg im Spiegel behauptet, kann ich dennoch nicht erkennen. Kowalczuk bezieht sich ausdrücklich mit ein, wenn er die gemachten Fehler analysiert. Zu hoffen ist, dass sein Anstoß groß genug war, um das nötige Umdenken zu bewirken.

Manchmal geht Kowalczuk aber zu weit, etwa, wenn er die Polizistenmorde von Erich Mielke relativiert, mit dem Hinweis, damals hätten kurz zuvor „Polizisten wieder mal einen Arbeiter erschossen“. Eine solche Übernahme kommunistischer Sicht auf die Weimarer Republik sollte einem Historiker nicht passieren. Kowalczuk hätte beim Zeitzeugen Erwin Jörris nachlesen können, dass der Kommunistische Jugendverband von der Parteiführung zur Gewalt angestachelt wurde. „Immer wenn die Parteispitze einen Märtyrer brauchte, hieß es : Jugend voran“, resümiert Jörris, der bei einer von den Kommunisten angezettelten Schießerei mit Polizisten seinen besten Freund verlor.

Verzichtbar wäre auch die ausführliche Darstellung der Affäre Kniffel. Man wird nicht ganz schlau daraus, was der Autor damit sagen wollte. Das Leben der Privilegierten in der DDR hatte auch seine Tücken?

Sehr interessant dagegen sind die letzten Kapitel, in denen ziemlich gut herausgearbeitet wurde, wie sehr die Bürgerrechtler sich von den ausgebufften SED-, und Stasimännern über den Runden Tisch ziehen ließen. „Sicherheitspartnerschaften“ mit dem MfS, obwohl es keinerlei Anzeichen für Gewalttätigkeiten der friedlichen Revolutionäre gab und die vor allem die Aktenvernichtung sicherten. Die Erlaubnis des zentralen Runden Tisches, dass die HVA ihre Akten kontrolliert vernichten durfte. Bärbel Bohley ließ sich von Gregor Gysi am 4.12.1989 einreden, die Stasiaktenvernichtung sei gestoppt und verbreitete diese Nachricht nach Leipzig, wo die nächste Montagsdemonstration stattfand.

In kommenden Auflagen sollten kleine , aber ärgerliche Fehler ausgemerzt werden, etwa der, dass Wolfgang Templin 1988 nicht ausgebürgert wurde, sondern mit DDR- Paß in den Westen ging.

Kowaczuk hat ein Buch vorgelegt, dass überfällig war. Bleibt nur zu wünschen, dass es breit zur Kenntnis genommen wird.

 

Beitrag zuerst erschienen auf achgut.com.

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