Homeschooling - der Litmus-Test für Demokratie

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Der Fall der Familie Wunderlich (siehe die Meldungen im Spiegel mit über 300 Kommentaren, in der FAZ und in der Welt) hat mich als Schweizer und Heimschulvater in den vergangenen Tagen beschäftigt. Auch Die Freie Welt, idea, katholisches und jesus.de haben berichtet.

Der Anwalt der Familie teilte den lokalen Medien mit:

"Wir haben bereits seit Herbst 2012 mehrfach darum gebeten, dass sich das Jugendamt mit uns zusammensetzt, bekamen aber keine Antwort“, sagte der Anwalt der Familie W. aus Ober-Ramstadt am Freitag dem ECHO. Der Wille zur Kooperation seitens der Familie habe zweifelsfrei bestanden. Außerdem habe die Familie, nachdem sie im Dezember 2011 aus dem Ausland zurück nach Deutschland gezogen sei, von sich aus den Kontakt zu Schul- und Jugendamt gesucht, berichtete der Anwalt weiter. Das Schulamt habe sich damals aber einem Gespräch verweigert. Des weiteren hätten die Eltern während eines Verfahrens vor dem Oberlandesgericht beantragt, dass ein Gutachten über den Leistungsstand der vier Kinder eingeholt werde. Auch dies sei abgelehnt worden.

Im Fall des Fürsorgeentzugs und der Trennung von vier Kindern einer deutschen Familie argumentiere ich wie folgt (ich beziehe mich dabei auf den Menschenrechtsanwalt John W. Montgomery. The Justification of Homeschooling Vis-A-Vis the European Human Rights System, in: ebd. Homeschooling in America an in Europe: A Litmus Test of Democracy. VWK: Bonn 2012).

     

  1. Deutschland hat die Menschenrechtskonvention von 1948 unterzeichnet, die in Art. 26 3 den Eltern das prioritäre Recht zugesteht, die Ausbildung ihrer Kinder zu wählen. Die Deklaration gegen Diskriminierung der Ausbildung von 1960, Art. 5(b) gewährt den Eltern die Freiheit, andere Formen der Ausbildung als die staatliche zu wählen.
  2. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte spricht in einer unveröffentlichten Meinung (2006) davon, dass das deutsche Verfassungsgericht das generelle Interesse, das Entstehen von Parallelgesellschaften zu vermeiden und Minderheiten in die Gesellschaft zu integrieren, über die Sicherstellung, die Lernziele zu erreichen, stelle.
  3. Es gilt der Grundsatz: Das Recht geht der Limitierung voraus. Das heisst: Das Recht, die Kinder selber zu unterrichten, geht den Einschränkungen des Staates voraus. Welcher Art dürfen die Einschränkungen sein? Es darf nur um die Sicherstellung von Lernzielen gehen. Der Staat kann nicht die Methoden dafür festschreiben. Das wäre etwa der Situation zu vergleichen, wenn der Staat auf einer Strasse nicht nur eine Geschwindigkeitsbegrenzung aufstellt (Sicherheit), sondern auch gleich die Fahrzeugtypen festschreibt.
  4. Wenn der Staat versucht, ein pluralistisches Wertesystem (im Sinne von 2.) seinen Bürgern aufzuzwingen, stellt das eine Form der staatlichen Indoktrination dar. Gegen dieses Menschenrecht haben die Eltern das Recht auf zivilen Ungehorsam. Dieses ist ihnen in einer Demokratie zu gewähren.
  5. Dass dieses Recht mit Hinweis auf die Unterordnung unter die Obrigkeit in Abrede gestellt wird, beunruhigt mich (gelinde gesagt). Hier wird ein grundsätzliches Recht der Eltern verweigert. JEDE Form der Bildung ist von einer Philosophie getrieben und getragen. Dass hier der Staat so stark interveniert, darf nicht einfach hingenommen werden.
  6.  

Hier noch einige überstaatliche Grundlagen im Wortlaut:

Universal Declaration of Human Rights (Art. 26 3): "Parents have a prior right to choose the kind of education that shall be  given to their children."

ICCPR, Art. 18 (4): "The States Parties to the present Covenant undertake to  have respect for the liberty of parents and, when applicable, legal guardians to  ensure the religious and moral education of their children in conformity with  their own convictions."

European Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms, Protokoll 1, Art. 2: "No person shall be denied the right to education. In the exercise of any functions which it assumes in relation to education and teaching, the state shall respect the rights of parents to ensure such education and teaching in conformity with their own religious and philosophical convictions."

International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, Art. 13 (3): "The States Parties to the present Covenant undertake to have respect for the liberty of parents and, when applicable, legal guardians to choose for their children schools, other than those established by the public authorities, which conform to such minimum educational standards as may be laid down or approved by the State and to ensure the religious and moral education of their children in conformity with their own convictions."

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Stefan S.

Demokratie und freie Bildung sind unvereinbar.

Der Demokrat heischt nach Kontrolle gemäß seiner Willkür. Möglichst allgemein.

Der Freilerner sucht sich zu bilden und realisiert dies.
Notfalls gegen alle Widerstände.
In Freiheit soweit er kann.
Und das kann ganz schön viel sein.
Viel mehr als staatliche Bildungsplanwirtschaft überhaupt nur denken kann.-

Gravatar: Charakterbilder

Der Staat hat die AUFSICHTSPFLICHT zu erfüllen!
Aus mehreren Berichten war deutlich genug zu lesen, dass der derzeitige Bildungsstand der Kinder der Eltern von P. und D. Wunderlich nicht geprüft werden konnte.
Mit Verlaub Herr H. Strebel weise ich persönlich daraufhin, dass es eine solche Situation nicht in der Schweiz gibt. Jeder Schulinspektor in der Schweiz würde einer solchen Familie, wie wir es im Falle von P. und D. Wunderlich zu tun haben, das RECHT AUF PRIVATUNTERRICHT entziehen! Nachweislich findet in dieser Familie kein GEREGELTER UNTERRICHT statt, wie es Herr Wunderlich selbst bezeugt und behauptet, dass IHRE BILDUNGSGESPRÄCHE MEHR BRÄCHTEN ALS 10000 Stunden Unterricht in der öffentlichen, staatlichen Schule. Welch eine Anmassung ! Welch eine stolze Einbildung!
Wenn dem so wäre, hätte der gute Hauslehrer die Prüfung des Bildungsstandes der eigenen Kinder nicht abzulehnen brauchen. Damit hat er sich selbst und der Heimschulbewegung geschadet und VIELLEICHT zu Recht musste hier der Jugendamtsleiter eingreifen. Nun Herr Strebel soweit meine Ausführungen und die persönlichen Fragen an SIE: Wie gut kennen Sie denn das Leben der Familie Wunderlich? Haben Sie sich die Zeit genommen und diese Familie vorher besucht, um zu sehen, ob und ihn welcher Weise der Hausunterricht TATSÄCHLICH tatgefunden hat?Haben Sie sich mal bei Herr Wunderlich erkundigt, WIE und WANN und mit Welchem Unterrichtsprogramm, er und seine Frau den Hausunterricht gestalten?
DER STAAT HAT KEIN RECHT DIE KINDER WEG ZUNEHMEN!
Nun komt die andere Seite der Geschichte: Das WIE und DIE ART UND WEISE der "inobhutnahme " der vier Kinder hatte keine Berechtigung. 20 Mann und Frau "stürmen " das Haus einer Familie wie wenn es sich um Terroristen handelt! Dies alles erinnert an die Vorgehensweise der Stasi und der SS! Mit einer ehemals von den Nazis gegründeten Organisation wie das Jugendamt, haben wir es mit einem alten Zopf zu tun und mit dem ist nicht zu spassen, wenn es um die Erfüllung der Schulpflicht geht. Alles was Herr Wunderlich in seinem Bericht über diesen Überfall berichtet, zeigt das UNRECHT welches das Jugendamt dieser Familie zugefügt hat. Den Kindern wurde GROSSER SCHADEN zugefügt durch diese Art und Weise der "InobHUTnahme"! Welch ein Widerspruch an sich, wenn man die Aktion und das Wort vergleicht.
Kinder und Mütter sollten NIE getrennt werden. Warum ist es nicht möglich, dass die Mutter zusammen mit ihren Kindern bleibt und die vier Kinder gemeinsam mit der Mutter in eine Pflegefamilie kommen, bis das Familiengericht entschieden hat - dies wäre ein wahre InobHUTnahme. Der Umsatnd, dass dies nicht geschehen ist, ist darauf zurück zu führen, dass die Jugenämter es schon IMMER so gemacht haben - auch in der Nazizeit! Die Kinder wurden WEGGENOMMEN von den Eltern! Aber dies war und ist - heute wie damals KEINE InobHUTnahme! Es ist ein grausames UNRECHT - Also dies ist auch klar Herr Strebel - die KINDER MÜSSEN ZURÜCK DÜRFEN ZU DEN ELTERN!

Gravatar: Thomas Rießler

Die Sache mit den Menschenrechten ist nicht so einfach. Elterliches Erziehungsrecht und Recht zur Wahl der Bildungsart, Bildungsrecht der Kinder und staatliche Interessen können im Widerspruch zueinander stehen und die Frage, welchem Recht nun wann der Vorrang einzuräumen ist, bleibt den Gerichten überlassen. Wie heißt es doch so treffend: Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand.
Man könnte die Sache allerdings auch unabhängig von menschlich konstruierten Menschenrechten in die eigene Hand nehmen und sich eine staatliche Einmischung in die Kindererziehung mittels konstruierter Kinderrechte generell verbitten. In Deutschland wurde die Erfahrung der Nazidiktatur und der SED-Diktatur gemacht und jetzt sind schon wieder solche Bilder zu sehen, in denen nichtangepasste Eltern wie Terroristen behandelt werden. Als Konsequenz daraus könnte man ja auch, da staatliche Institutionen beliebte Angriffspunkte für ideologisch verblendete Revoluzzer sind, dem Staat generell die Fähigkeit und das Recht absprechen, in der Kindererziehung und Bildung Vorschriften zu machen. Da können die Eltern viele Böcke schießen, bis sie mit ihren Verfehlungen an das Maß des deutschen Staates heranreichen.

Gravatar: klaro

Es ist ermutigend, dass Homeschooling mittlerweile solche Beachtung und Befürwortung findet. Dies zeigt, dass immer mehr Menschen zweierlei erkennen.
1) Die schleichende Entrechtung der Eltern in Sachen Bildung und Erziehung ihrer Kinder
2) Die rasante Talfahrt der Schulbildung in Deutschland durch Ideologie statt Realismus.

Gravatar: Elmar Oberdörffer

Wenn das so ist, dann müßte doch eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Aussicht auf Erfolg haben.

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