Funkenschläge auf dem Pulverfass

Bagdad werden die sunnitischen Gotteskrieger der ISIS nicht einnehmen.

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Bagdad ist mehrheitlich schiitisch, dort werden sie auf erbitterten Widerstand stoßen, wenn sie überhaupt so weit kommen. Denn südlich von Bagdad liegen die größten heiligen Stätten der Schiiten, Kerbala und Nadschaf, und für sie zu sterben ist Schiitenpflicht. Auch Kirkuk im Nordosten des Irak werden die ISIS-Kommandos nicht erobern. Die Ölmetropole ist für die Kurden wichtig und ihre gut ausgerüstete und motivierte Armee (rund 300.000 Mann) dürfte keine Schwierigkeiten haben, die fanatischen Gotteskrieger abzuwehren oder, wenn sie wollten, gar aus Mossul zu vertreiben.

Der Blitzkrieg der ISIS hat aber gezeigt, was dem Irak bevorsteht: Die Teilung des Landes in ein schiitisches Siedlungsgebiet im Süden, in ein sunnitisches in der Mitte und ein kurdisches im Nordosten. Die Amerikaner hatten dem irakischen Premier Maliki vor zehn Jahren eine Föderation vorgeschlagen, aber der Schiit lehnte ab. Jetzt muß er froh sein, wenn dank der Iraner und Amerikaner der schiitische Teil weitgehend erhalten bleibt.

Für die Kurden ist diese Situation eine Chance, immerhin leben in Syrien etwa zwei Millionen Kurden. Zusammen mit den Kurden im Irak, in der Türkei und im Iran sind sie 30 Millionen, das viertgrößte Volk im Mittleren Orient. Manche unter den älteren Kurden erinnern sich noch an die kurze Zeitspanne, da ein kurdischer Staat Wirklichkeit war. Mitte 1946 konnte die Republik von Mahabad den Traum kurdischer Selbstbestimmung verwirklichen bis in den ersten Apriltagen des Jahres 1947 persische Truppen der Freiheit in Mahabad und der Regierung des aufgeklärten islamischen Geistlichen Ghasi Mohammad ein Ende bereiteten. Perser damals, Iraker gestern, Türken heute. Dieses Volk wird von je her verfolgt. Dabei hat es alles, was eine Nation ausmachen könnte, es fehlt „nur“ die Selbstbestimmung in den Siedlungsgebieten. Jetzt könnten die Kurden den Traum im Irak und in Syrien wieder aufleben lassen.

Im Westen dürfte die Versuchung groß sein, diesen noch virtuellen Kurdenstaat anzuerkennen. Er würde helfen, die Terroristen der ISIS einzudämmen. Über die Landbrücke dieses neuen Kalifats können kampferprobte Terroristen von den Schlachtfeldern in Syrien und Irak nach Europa einsickern, versehen mit ausreichend Mitteln für den Dschihad in Frankreich, Deutschland, Großbritannien, erste Ziele auf der Liste der Gotteskrieger.

Aber in den Kanzleien des Westens zögert und zaudert man noch. Man will die Türken, Erzfeinde der Kurden, nicht verstimmen und schon gar nicht zu einem Einmarsch in den Irak oder Syrien provozieren. Das könnte zu einem Flächenbrand in der Region führen. Nur: Die Akteure auf dem Schlachtfeld werden nicht warten, bis die Krisenstäbe mit ihren Kartenfähnchen und Überlegungen zu einem Ergebnis kommen. Die Fläche schwelt und Allahs Kriegern kocht das Blut im Kopf. ISIS hat die offene Feldschlacht zwischen Schiiten und Sunniten auf dem regionalen Pulverfass eröffnet und niemand weiß, wohin der Funke noch sprüht.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Lars

Es wäre wünschenswert wenn die Kurden im Irak ihre Unabhängigkeit erlangen würden. Zusammen mit der kurdischen Freiheitsbewegung in Syrien bekämpfen die Peshmerga die islamistischen Terroristen. Die syrischen Kurden müssen sich seit längerem gegen die Islamisten zur Wehr setzen. Glücklicherweise konnten sie ihre Selbstverwaltung gegen die Angreifer verteidigen. Die internationale Gemeinschaft sollte die Unterstützung der Terroristen durch die Türkei und die Golfstaaten schärfer verurteilen und die Kurden unterstützen. Ich bin sicher das die Kurden zu einem Friedlicheren mittleren Osten beitragen könnten.

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