Es ist soweit: Griechenland wird ausscheiden

Erfreulich ist, dass die empirische währungssystemische Evidenz  den Abschied von politischen Illusionen, von interessegeleitetem Austritts-Alarmismus und überdrehter Verschleierungsrhetorik in Sachen Griechenland überdeutlich erzwingt:

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Der IWF will sich an weiteren Zahlungen an Griechenland nicht mehr beteiligen, der deutsche Wirtschaftsminister sieht einen Euro-Austritt Griechenlands mittlerweile „ohne Schrecken“, und selbst die Kanzlerin will nicht noch einmal vor dem Bundestag um weitere Zahlungen an Griechenland bitten. Nüchternheit und Realitätssinn derjenigen Ökonomen, die interessenungebunden und mit ziemlich treffsicherer Analytik den kostenexplosiven Irrweg der Euro-Retter seit langem warnend vorausgezeichnet haben, scheinen zunehmend auch auf die nationalen Inhaber euro(pa)-politischer Macht überzuspringen: Griechenland muss ausscheiden, es wird ausscheiden, es gilt nun, die Modalitäten zu regeln.

 

Da die Euro-Zone, anders als die EU, keine eigenständige Organisation ist und alle EU-Mitglieder der Währungszone angehören, wobei einige in Bezug auf die gemeinsame Geldpolitik eine Ausnahmegenehmigung haben (z. B. Dänemark, Großbritannien, Schweden); bedeutet ein „Austritt“ aus der Euro-Zone, der bisher rechtlich nicht geregelt ist, eigentlich nichts anderes als die Übertragung dieser Ausnahmegenehmigung auf das „austretende“ Land. Damit erhält es die Souveränität über die eigene Geldpolitik und den eigenen Wechselkurs zurück.

Natürlich hat jedes Ausscheiden eines Landes aus einem währungspolitischen Arrangement seine Kosten und Nutzen. In der gegenwärtigen Diskussion, die die Tabuisierung des Ausscheidens Griechenlands (und anderer Krisenländer) aus der Euro-Zone mit den gegenüber dem Verbleiben im Währungsclub viel zu hohen Kosten begründet, wird der Nutzen des Ausscheidens entweder negiert oder völlig in den Hintergrund gedrängt. Worin liegt der Nutzen des Ausscheidens?

Zuvorderst sei hier auf die Wiedergewinnung der nationalen Wechselkurssouveränität Griechenlands verwiesen. Griechenland muss zurzeit einen Euro ertragen, der für das Land stark überbewertet ist, wahrscheinlich in der Größenordnung 35-50 %. Eine derartig hohe Überbewertung des „Griechenland-Euro“ hat für das Land erdrückende Konsequenzen: Sie wirkt wie eine implizite Besteuerung aller Exporte und eine implizite Subventionierung aller Importe mit der Folge, dass das Land viel zu wenig exportiert und viel zu viel importiert, also einen hohen Importüberschuss aufweist. Das bedeutet zudem, dass die Produktionsstruktur des Landes völlig verzerrt ist: Der Export- und Importsubstitutions-Sektor sind unterentwickelt, der Importsektor ist überdimensioniert.

Die griechische Wirtschaft, die ohnehin traditionell einen binnenwirtschaftlichen Bias mit überdimensioniertem Staatssektor hat, ist mithin Euro-wechselkursbedingt zunehmend fehlstrukturiert worden. Die Folge dieser Fehlallokation: Verstärkung der – schon beim Eintritt in die Euro-Zone – fehlenden internationalen Wettbewerbsfähigkeit aufgrund mangelnder Orientierung an den Mustern komparativer Vorteile in der internationalen Arbeitsteilung.

Wenn Griechenland die Euro-Zone verlässt, kann und wird es durch eine kräftige Abwertung der (neuen) Drachme die Fehlallokation in seiner Produktionsstruktur beseitigen: nicht schlagartig, aber doch sukzessive im zeitlichen Anpassungsprozess. Damit öffnet sich das Land und orientiert sich zunehmend entlang den Mustern der internationalen Wettbewerbsvorteile. Diese realistische Analyse, die in der allgemeinen Theorie und Politik des Wechselkurses eigentlich common sense ist, widerspricht vehement den gegen den Euro-Austritt Griechenlands argumentierenden politischen Euro-Rettern, eine Abwertung werde dem Land nicht helfen sondern eher schaden, weil seine schmale Exportbasis (im wesentlichen: Touristik, Schiffe & Reederei, Agrar) keinen für das Land merklichen positiven Effekt, aber zugleich einen negativen importpreisbedingten Kaufkrafteffekt bringen würde.

Dass aber die Abwertung die Exportbasis um neue, aufgrund des überbewerteten Euro in Griechenland bisher nicht produzierte Güter erweitern, das Exportportfolio sich also – auch über ausländische Investitionen – verbreitern wird, weil die implizite Exportbesteuerung wegfällt, wird als allokativ-dynamischer Effekt nicht erkannt. Ebenso vernachlässigt wird der Effekt, dass über die Abwertung die heimische Kaufkraft stärker von den Importen auf  heimische Importsubstitute gelenkt wird. Auch hier gilt dann, dass das Portfolio der Güter, die bisher importiert, nun aber wegen des Wegfalls der impliziten Importsubventionierung im Inland produziert werden, die griechische Importsubstitutionsindustrie also in den Aufschwung versetzt wird. Ebenfalls ein dynamischer Restrukturierungseffekt. Das Fazit: Der Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone wird über die nötige und dann mögliche Abwertung der Drachme die gesamte heimische Produktionsstruktur allokativ verbessern und verbreitern und damit die mangelhafte internationale Wettbewerbsfähigkeit des Landes verbessern.

Das kann keine Rettungsschirmphilosophie zustande bringen, wie sie derzeit in immer neuen und kostenexplosiven Varianten von den Euro-Rettern propagiert und politisch installiert wird. „Zeit kaufen“ heißt die bedingungslose Devise, aber Rettungsschirme geben in der gekauften Zeit falsche Signale, weil ihre Anreize so sind, dass sie bestehende allokative Strukturen eher (statisch) konservieren als (dynamisch) verändern: Der Reformdruck schwindet, weil die „Budgetbeschränkung“ des Landes immer weiter in die Zukunft verschoben wird. Griechenland ist das Paradebeispiel dafür, dass das Land zur breiten und tiefen Restrukturierung von Wirtschaft und Gesellschaft, die noch von starken osmanisch-türkisch gefärbten Elementen anti- und nebenstaatlicher Netzwerke und Privilegien durchzogen ist, allenfalls zögerlich bereit ist trotz vielfältiger Auflagen und angedrohter, allerdings unglaubwürdiger Sanktionen bei Nichterfüllung.

Und da unter den Rettungsschirmen die Überbewertung des „Griechen-Euros“ konserviert und das Land somit weiterhin von den internationalen Preisrelationen abgeschottet wird, wird es auch keinen internen Anpassungsprozess – über sinkende Löhne, Einkommen usw. – geben, der sich genügend hart an diesen Preisrelationen orientiert. Dies hat die Vergangenheit der letzten zwei bis vier Jahre eindrucksvoll gezeigt.

Es gilt zudem zu erkennen, dass bei Abwertung der Drachme die Last der griechischen Anpassung sich teilt: zwischen Lohn- und Einkommensreduktion einerseits und Abwertung der Drachme andererseits, also zwischen interner Restriktion von Löhnen und Einkommen und externer Reallokation von Exporten, Importen und Importsubstituten. Ein solcher Lastenmix der Anpassung, der den Wechselkurs in seinen Anpassungswirkungen nicht tabuisiert, ist, wie die Erfahrung mit alternativen Währungsarrangements zeigt, für die Bürger leichter akzeptierbar als die schwere Anpassungslast allein über sinkende Löhne, Einkommen und Beschäftigung bei fixiertem Wechselkurs, die sich, wie wir sehen können, in Streiks, bürgerkriegsähnlichen Straßenkrawallen und Hasstiraden gegenüber den Gläubigerländern Bahn bricht.

Nun wird bisher, wenn Griechenland austritt und abwertet, von Austrittsgegnern argumentiert, dass die damit verbundenen Folgewirkungen auf die mit Griechenland verbundenen Gläubiger- und Schuldnerbeziehungen so schwer zu organisieren seien, dass man diesen Schritt verhindern müsse. Die Schwierigkeiten sind in der Tat nicht klein, aber einige Grundüberlegungen können helfen, sie zu bewältigen.

Eine Abwertung der Drachme würde zunächst bedeuten, dass alle bisher in Euro denominierten Bestandsgrößen (Forderungen und Verbindlichkeiten) sowie Stromgrößen (Löhne und Gehälter) innerhalb Griechenlands mit der Abwertungsrate entwertet werden. Ein entscheidendes Problem tritt auf, wenn zum Beispiel griechische Banken auf der Aktivseite ihrer Bilanz die Forderungen um die Abwertungsrate verkürzen, dies jedoch auf der Passivseite mit ihren Verbindlichkeiten nicht gleichermaßen durchführen können, weil es dann zu ökonomisch negativen Massenwirkungen kommen würde: Im Vorfeld der Abwertung könnte es zu einem bankrun kommen, in dem Inhaber von Sicht- und anderen Bankguthaben ihre Konten gegen Euro-Bargeld auflösen oder an Banken außerhalb des Landes transferieren. Das geschieht im Übrigen ja jetzt schon in signifikantem Ausmaß.

Um dem akuten Problem des bankrun entgegenzutreten, müssten die Banken Garantien geben, dass für jeden privaten Bankkunden zunächst einmal seine Sichtguthaben so gut wie Euro-Bargeld sind, es also keine Notwendigkeit zum panikartigen bankrun-Bargeldumtausch gibt. Euro-Bargeld und Euro-Sichtguthaben würden dann zunächst – oder auch für längere Zeit – die Funktion einer Parallelwährung zur Drachme einnehmen.

Die mit dieser Garantie in den Bankbilanzen verursachten Wertdisparitäten zwischen abgewerteten Forderungen und nicht abgewerteten Verbindlichkeiten müssten, um damit verbundene Verluste der Banken zu verhindern, ausgeglichen werden: Hier könnten und sollten die bisher über die alternativen Rettungsschirmmechanismen „zur Rettung Griechenlands und des Euro“ geplanten Gelder – nunmehr treffsicher umgelenkt – eingesetzt werden. Dabei gäbe es die Chance, Banken zu identifizieren, die aus strukturellen Gründen insolvent und deshalb einem Insolvenzverfahren zuzuführen, die also gegebenenfalls abzuwickeln und nicht mehr über allgemeine Rettungsschirmgelder zu erhalten sind.

Mit den über die privaten Sichtguthaben hinausgehenden Verbindlichkeiten der Banken müsste in Bezug auf deren Wertgarantie bzw. Abwertungsrate spezifiziert nach Art der Einlagen sowie kundenspezifisch (Banken oder Nichtbanken im In- oder Ausland) vorgegangen werden. Dies ist das Feld mannigfaltiger Insolvenzverfahren und differenzierter Gläubigerverzichte (haircuts) die unumgänglich sind, weil sie strukturbereinigend wirken. Aber auch hier werden differenzierte Ausgleichszahlungen an Banken nötig sein.

Dieses nüchterne Konzept der Organisation eines Griechenlandaustritts aus der Euro-Zone könnte – bei aller Differenziertheit im Einzelfall – prinzipiell auf alle Euro-(Krisen-)Länder übertragen werden, die Griechenland zu folgen ökonomisch gezwungen werden. Es ist das Gegenteil von der überhöhten politischen Pathetik einer „Schicksalsgemeinschaft“, deren Verlassen zu unkontrollierbaren „Ansteckungsgefahren“ der Zerstörung des europäischen Einigungswerks führen würde. Solche Austrittsszenarien zeigen vielmehr, wie es ohne politischen Alarmismus zu einer Befreiung von einer für das Austrittsland erdrückenden Überbewertung des Euro gehen kann. Wenn aus diesen Gründen weitere Euro-Mitglieder ausscheiden, so stärkt dieser „Ansteckungseffekt“ nicht nur diese Länder selbst, sondern auch die verbleibende kleinere Euro-Zone. Es gibt im Übrigen viele historische Vorbilder für den gelungenen Austritt (und möglichen Wiedereintritt) von Ländern aus unterschiedlichen Währungsarrangements, nicht zuletzt auch die mit der Währungsumstellung verbundene deutsche Wiedervereinigung, aus deren positiven Erfahrungen hinsichtlich unterschiedlicher Kurse der Umrechnung von Bestands- und Stromgrößen man lernen kann, allerdings auch aus deren konzeptionellen Fehlern.

Wir dürfen zudem folgendem Szenario gedanklich nicht ausweichen: Dem Austritt Griechenlands wird die harte Austrittsnotwendigkeit für Spanien folgen, wenn das Land sich unter den ESM begibt und dieser nicht ausreicht, um die Verschuldungskrise nicht nur der spanischen Banken, sondern auch der 17 Regionen aufzufangen. Alles andere als unwahrscheinlich ist zudem, dass Italien der nächste ESM-Kandidat sein wird. Dann werden sämtliche politischen Phantasien über die realistischen Möglichkeiten der Aufstockung der ESM-Kapazitäten obsolet. Und wenn man auch Frankreich auf seinem neu intensivierten Weg in den Sozialismus nicht aus dem Dunstkreis der potentiellen ESM-Bewerber ausschließen kann, dann sind ESM und Euro am Ende.

Beitrag erschien zuerst auf WirtschaftlicheFreiheit.de

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Freigeist

Guter Artikel. So sehen es Viele. Nur, man traut sich nicht. Man hat Angst vor den neurotischen Finanzmärkten. Die EZB sollte man zum Austritt Griechenlands zu Hilfe nehmen, denn die hat die "dicke Berta" zur Verfügung. Danach wieder solides Wachstum anstreben. Banken das Spielzeug der "Globalisierten-Finanzmräkte" wegnehmen. Hat nachweislich nicht funktioniert.

Gravatar: FDominicus

Klar abwerten was auch sonst. Warum sollte man auch ehrliches Geld einführen. Offenbar undenkbar für VWLer. Armselig.

Gravatar: hans von Atzigen

Andreas Gosch 26.07 2012.Ja ja die liebe Maggie Thaetscher.Deren Oekonomieverstaendnis ist bedauerlicherweise im Kramladen ihres Vaters steckengeblieben.Da wollen ganz viele ihr Geld zurueck.Der scheinbar kleine aber entscheidende Haken.Die Glaeubiger koennen mangels durch Realleistung Erwirtschaftetes Geld gar nicht mehr.Zur zeit laeuft der zum scheitern verurteilte Versuch dieses zurueckzuholen,dis durch Zusatzgeldschoepfung via Kreditten.Diese Geldschoepfung ist nur noch schlicht und ergreifend Falschgeld = ganz profan Bluetenproduktion.Ja ja die Maggie Thatscher hat etwas verpasst.Das aufmerksame Lesen Ihres grossen Landsmannes Adem Smith.DER WOHLSTAND DER NATIONEN.

Gravatar: Alexander Petzgo

Ich hab die ersten zwei satze gelesen und hab sofort abgebrochen, das der IWF sich nicht weiter betetigen will ist eine fehlmeldung, hatt der IWF selbst dementiert und wer nicht merkt das Roslers worte fur stimmenfang und schon mal zur fohrbereitung auf die wahlen 2013 sind naja den kann ich auch nicht weiter helfen

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