Der Reformstau ist das Problem

Das Ergebnis der letzten Wahl in Frankreich ist nur auf den ersten Blick eine Niederlage für den Front National. Er kann weiter Opposition spielen und Emotionen schüren. So lange sich in Frankreich nichts ändert, wird er weiterhin Erfolg mit dieser Strategie haben.

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Das war eine Wahl nach dem Herzen der Franzosen: Erst richtig auf die Pauke hauen und dann auf die Programme schauen, das heißt Vernunft walten lassen. Frankreich braucht diese zwei Wahlgänge, um das latent vorherrschende revolutionäre Element zu kanalisieren. Der Dichter Lamartine brachte es auf diese Formel als er einmal über die Franzosen schrieb: Dieses „Volk ist ein Element“ – nur schwer kontrollierbar, eben wie Feuer, Wasser, Luft und Erde.

Das Ergebnis ist aber nur auf den ersten Blick eine Niederlage für den Front National. Wer genau hinschaute, konnte bei der Vorsitzenden Marine Le Pen bei aller Enttäuschung auch so etwas wie ein leichtes Aufatmen erkennen. Sie kann jetzt bis zu den Präsidentschaftswahlen im April 2017 ihre Strategie des „weißen Jedi-Ritters“ gegen das dunkle Imperium, die politische Klasse, das System, fortsetzen ohne sich und ihr Programm einem Realitätstest unterziehen zu müssen. Denn Regierungsverantwortung auf regionaler Ebene hätte dem Front National in 16 Monaten schon die Frage eingebracht, was sie denn anders und besser gemacht hätten. So kann sie ungehindert weiter Opposition spielen und Emotionen schüren.

Für das politische System in Frankreich stellen sich deshalb Zukunftsfragen. Man kann auf Dauer nicht die 6,6 Millionen Wähler des FN ächten und diskreditieren, so wie die Linke das tut, die selbst nur noch eine Million mehr auf die Waagschale bringt, und das auch nur zusammen mit Grünen und Linksextremen. Die Ausgrenzung eines Drittels der Wählerschaft (bei gleichbleibender Wahlbeteiligung) kann nur funktionieren, wenn die anderen zwei Drittel de facto immer da zusammenspielen, wo der FN die relative Mehrheit erlangen kann, wie eben in den beiden Regionen, in denen er deutlich mehr als 40 Prozent der Stimmen auf sich vereinte. Das aber verstärkt den Eindruck, „die da oben“ halten zusammen gegen „uns da unten“ und teilten sich halt die Macht, mal für die einen, mal für die anderen. Solange sich im Alltag nichts ändert, macht man die FN, die seit Jahren auf dieser Welle reitet, nur größer.

Die wirklichen Dämme gegen das Element eines frustrierten Volkes sind mehr Arbeitsplätze, mehr Kaufkraft, mehr Sicherheit, mehr Identitätsbewußtsein. Die Linke ist in all diesen Punkten gescheitert und außerdem uneins, sie hat die Funktion des Deichgrafen den Bürgerlichen überlassen. Diese müssen aber erst noch zeigen, daß ihr Alternativ-Programm wasserdicht ist. Nach den Regionalwahlen steht Frankreich jetzt vor einer programmatischen Reform-Debatte – endlich kann man sagen, denn es ist der Reformstau, der so massiv auf die Dämme des Systems drückt.

Und eine programmatische Lehre darf man schon ziehen: Mit Wirtschaftsfragen allein werden die enttäuschten bürgerlichen Wähler nicht zu mobilisieren sein. Auch unter ihnen herrscht Unsicherheit angesichts der terroristischen Gefahren und des Vordringens islamischer Gebräuche im Alltagsleben. Die Republikaner werden sich diesen Themen demnächst stärker widmen, so wie die regierenden Sozialisten das schon tun. Denn die allgemeinen Zukunftsfragen zu Europa, Sicherheit und Islam sind ernst zu nehmen. Ihnen werden sich fast alle Parteien stärker widmen. Frankreich rückt insgesamt mehr nach rechts, hin zu law and order. Für das heutige Berlin ist das eine Herausforderung, egal wie die Kreuzworträtsel der CDU ausgehen.

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