Vermutung: Gehirne der Studienautoren unterversorgt

WHO will weniger Zucker – halluziniert man schon?

Angeblich sollte man weniger als sechs Teelöffel Zucker am Tag zu sich nehmen, besagt eine neue Studie der Weltgesundheitsorganisation. Doch die Empfehlung ist Quatsch, meint Ernährungsexperte Pollmer.

Foto: Paul Scott / flickr.com / CC BY-SA 2.0
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Die »globalen Gesundheitshüter« der WHO haben mal wieder einen PR-Coup der besonderen Sorte gelandet: Ihre Forderung, den Zuckerkonsum auf fünf Prozent zu reduzieren, um die »Übergewichtsepidemie zu stoppen«, verbreitete sich wie ein mediales Lauffeuer. Spiegel.de brachte es auf den Punkt: »WHO empfiehlt nicht mehr als sechs Teelöffel pro Tag«. Doch bei dieser Forderung handelt es sich offenbar um eine verkappte Marketingaktion für künstliche Süßstoffe, erklärt Udo Pollmer, wissenschaftlicher Leiter des Europäischen Instituts für Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften (EU.L.E. e.V.). »Es gibt nicht einen einzigen soliden Beleg, dass Zucker dick oder krank macht.«

Selbst bei Karies haben ihm inzwischen die Säuren – egal ob in Gummibärchen oder Obst - den Rang abgelaufen: Sie greifen den Zahnschmelz an – und zwar sofort beim Konsum. Auch als Ursache für Diabetes taugt der Zucker nicht, obwohl jahrzehntelang vergeblich versucht wurde, einen Zusammenhang zwischen beidem zu konstruieren. Pollmer: »Die Idee, die Zuckerkrankheit aus der Zahl der Würfelzucker abzuleiten, ist so intelligent, wie den Wasserkopf auf eine Überdosis Mineralwasser zurückzuführen oder vor Pilgerreisen zu warnen, weil sonst eine Wanderniere drohe.«

Inzwischen sollte es Allgemeinwissen sein: Es sind vor allem die schlanken Kinder, die hinter Süßem her sind, weil sie aufgrund ihres Körperbaus schnell Körperwärme, also Energie verlieren. Korpulente Kinder sind durch ihre Fettschicht gut isoliert – und deshalb machen sie sich aus Süßkram meist weniger als die Spargeltarzans. Letztere brauchen leichtverdauliche Energielieferanten.

Würde man die 6-Teelöffelchen-Zucker-pro-Tag-Empfehlung der WHO ernst nehmen, dann dürften Naschkatzen gerade mal eine Portion Vanillepudding am Tag verzehren oder ein ordentliches Honigbrötchen, ihr Kontingent voll auszuschöpfen. Wobei es natürlich deutliche Schwankungen nach unten oder oben gibt, je nachdem wie groß »Löffelchen«, »Portion« und »Zuckerzugabe« ausfallen. Pollmers Kollege, der Ernährungswissenschaftler Uwe Knop, urteilt deshalb: »Dieser Ernährungsempfehlung fehlt nicht nur die fachliche Grundlage, sie ist komplett alltagsfern und dient bestenfalls dazu, den Familienfrieden zu stören.«

Gravierender als der Streit um die Interpretation epidemiologischer Daten ist die Definition von »Freiem Zucker«, denn Zucker ist ein natürlicher Bestandteil vieler Nahrungsmittel wie Früchte oder Leber (Glycogen): »Freie Zucker beinhalten«, so die WHO, »Monosaccharide und Disaccharide, die Lebensmitteln von Herstellern, Köchen oder Verbrauchern zugesetzt werden, sowie Zucker, die natürlicherweise in Honig, Sirupen, Fruchtsäften und Fruchtsaftkonzentraten enthalten sind.«

Wer demnach Tafeltrauben mit über 15 Prozent gelöstem Zucker verzehrt, der hat keinen Zucker verspeist. Wer hingegen eine Apfelsaftschorle aus Apfelsaftkonzentrat trinkt, konsumiert zwar zwei Drittel weniger Zucker – der dafür aber gemäß WHO als vermeintlicher Dickmacher zählt. Gleiches gilt für denjenigen, der sich seinen Tee mit Honig süßt. Es bleibt vollkommen rätselhaft, warum Zucker in Obst »harmlos« und in Obstsäften »riskant« sein soll. Der Hinweis, bei Obst habe man keine Schäden zu erwarten oder zu befürchten, ist eine faule Ausrede. Denn Kernobst verursacht aufgrund seines Fructoseüberschusses bei empfindlichen Personen Verdauungsprobleme.

Da fragt man sich natürlich, warum der Milchzucker (ein Disaccharid) in der Aufzählung fehlt. Die WHO begründet diese Auslassung damit, dass der Milchzucker in der Milch (ein Getränk wie Säfte) natürlich und damit unbedenklich sei. Was würden die Experten wohl sagen, wenn sie wüssten, dass bei der Milchverarbeitung jährlich weltweit etwa eine Million Tonnen Lactose anfallen, die unserer Nahrung wieder zugesetzt werden. Quark hat deshalb heute einen deutlich höheren Lactosegehalt als früher, Backwaren werden damit angereichert, und durch enzymatische Hydrolyse lässt sich daraus ein probates Süßungsmittel herstellen.

Es bleibt unerfindlich, warum diese »versteckten« Zucker in der WHO-Guideline keine Erwähnung finden, obwohl doch gerade aufgrund der weltweit sehr verbreiteten Lactose-Malabsorption gesundheitliche Beschwerden damit verbunden sind. Bei Rohrzucker sind derartige Beschwerden unbekannt. Immerhin ist auch der Malzzucker im Bier nach dem Weltbild der WHO ebenfalls kein Zucker. Na, denn Prost!

Angesichts dieser eklatanten Mängel in der WHO-Studie resümiert Pollmer: »Ahnungslosigkeit in der Herstellung von Lebensmitteln, ihrer Zusammensetzung und Wirkung ist offenbar die beste Voraussetzung, um auf internationaler Ebene der Menschheit beim Essen Angst einzujagen.« Und an die Autoren gerichtet, kann man sagen: Wer weniger als sechs Teelöffel Zucker pro Tag empfiehlt, der sollte seine Blutzuckerspiegel untersuchen lassen – vielleicht ist das Oberstübchen mit diesem – seinem wichtigsten – Treibstoff bereits unterversorgt und sorgt für Halluzinationen.

Quelle: EU.L.E. e.V.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Bettina

Herr Datko, das Gehirn braucht Zucker, Punkt! Ich habe gelernt, dass das Gehirn nur davon lebt, also ist die obige Vermutung (und keine Diffamierung!) ziemlich schlüssig

Gravatar: Herz

Ich finde diesen Artikel sehr erschreckend wie selbstverständlich hier die Aufnahme von Zucker aus Früchten und künstlich hergestellten Cola, etc gleichgestellt wird.
Unmöglich! Ist das hier eine Lobby?

Der Körper braucht die Vitamine die in den Früchten enthalten sind, man nimmt also nicht nur den natürlichen Fruchtzucker zu sich. Honig hat u.a. auch eine heilende Wirkung was bei Cola oder Süßigkeiten wohl nicht der Fall ist. Zu dem ganzen wird hier im Artikel schon fast ermutigt weiterhin Süßigkeiten und Cola etc selbstverständlich zu konsumieren und nicht darauf zu achten diese in Maßen zu verzehren.

Gravatar: H.Roth

Noch gibt es keine Gesundheitspolizei. Welch ein Glück! Sonst würde kaum ein stressiger Arbeitstag vergehen, ohne Bußgelder! Oder Uni-Examen, die dem Gehirn Hochleistung abverlangen! Viele würden sich schon nach einer Latein-Klassenarbeit schuldig machen, ihre Gesundheit durch eine Überdosis Schokoriegel runieren zu wollen.
So, und jetzt erst mal einen Kaffee. Heute mal mit zwei TL Zucker!

Gravatar: Joachim Datko

Das ist mir aufgefallen:

Der Artikel beginnt mit einer Diffamierung und endet mit einer Diffamierung:

-- "Vermutung: Gehirne der Studienautoren unterversorgt"
-- "Und an die Autoren gerichtet, kann man sagen: [...] – vielleicht ist das Oberstübchen mit diesem – seinem wichtigsten – Treibstoff bereits unterversorgt und sorgt für Halluzinationen."

Gravatar: Felix

Erfrischend deutlich wie immer, danke Herr Pollmer.

Gravatar: Karl Brenner

Reiner Zucker (Schokolade, Cola, etc) ist meiner Ansicht nach auch ungesund. Aber es kommt eben drauf an. Was man Arbeitet. Wenn man täglich große Mengen zu sic nimmt, kann das nichtb gesund sein. Aber manchmal ist es einfach ein schönes Erlebnis.

Gravatar: Lector

Herr Pollmer, das ist sein Alleinstellungsmerkmal, kennt sich in der Lebensmittelchemie sehr gut aus und kann sehr schön desillusionieren, indem er auf allen Kanälen die Empfehlungen der Ärzte auf die chemischen Formeln reduziert, die entstünden, wenn die medizinischen Forderungen 1 : 1 umgesetzt würden.

Könnte es nicht aber sein, Herr Pollmer, dass es eben doch einen Unterschied gibt zwischen der "reinen Chemie", wie sie den Erzeugnissen der Lebensmittelchemiker zugrunde liegt, und solchen unbehandelten Lebensmitteln, wie sie Menschen schon seit Urzeiten zu sich geführt haben? Lebensmittel wie Früchte, an die sich der menschliche Körper über viele Jahrtausende gewöhnen konnte und auf die unser Organismus, unser "inneres Chemielabor", wenn Sie wollen, eingestellt ist?

Dass Menschen z.B. auf Früchte "geeicht" sind und deren immanenten Zucker vertragen und vielleicht ein Zuviel leichter ausscheiden können, als dies bei einer Süßigkeit der Fall sein kann, die es erst seit ein bis zwei Generationen überhaupt gibt?

Vielleicht wird man eines Tages Zusammenhänge feststellen, die man sich heute noch nicht vorstellen kann?

Ein Chemiker kann aus seinem Berufsbild wahrscheinlich auch über Homöopathie nur lachen, weil die Stofflichkeit in chemisch kaum nachweisbaren Spuren versteckt ist. Dennoch scheint es Wirkungen zu geben (auch bei Säuglingen und Tieren), die über den Placebo-Effekt weit hinaus weisen.

Ist alles verspottenswert, was man naturwissenschaftlich (noch) nicht versteht?

Wer heilt, hat Recht!

Ich will nicht unterstellen, dass Sie ein Lobbyist der Lebensmittelchemie sind.
Ist es nicht aber auffällig, wie sehr die Verbreitung künstlich und industriell fabrizierten Essens mit der gleichzeitigen Verfettungs-"Epidemie" einher geht?

Gleichzeitigkeit ist kein Beweis der Kausalität, kann sie aber doch hypothetisch nahelegen und uns gewarnt sein lassen, bis zum "Beweis des Gegenteils"!

Nachdenklich sollten wir jedenfalls werden nach all den menschheitsgeschichtlich erst "kürzlich" aufgetretenen "Zivilisationskrankheiten" in ihrer weiten Verbreitung, von Allergie bis Zuckerkrankheit, auch wenn es manche Krankheit schon lange geben mag - in der heutigen Verbreitung doch wohl nicht.

Der Verzehr von mehreren Äpfeln erscheint mir doch weniger bedenklich als ein Glas süße Limonade, auch wenn Sie mir vorrechnen, dass die Äpfel mehr Zucker enthalten. Vielleicht machen die sonstigen Inhaltsstoffe den Unterschied, indem sie den überschüssigen Zucker verarbeiten helfen?

Über "negative Kalorien" und so etwas können Sie sich wahrscheinlich kaputt lachen. Ich will aber meinerseits nicht noch Jahrzehnte lang warten, bis sich die Gelehrten einig geworden sind, was warum schädlich oder nützlich ist, und behelfe mir intuitiv mit nach dem "common sense" vernünftig erscheinenden Mittellösungen ohne Fanatismus, aber mit einem gesunden Maß Skepsis gegenüber allen, die mir was Neues verkaufen wollen, und bleibe im Zweifelsfall beim Altbewährten:

Konservatismus auch bei der Ernährung.

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