Konzernmacht und private Schiedsgerichte

Wenn Konzerne Staaten verklagen

Die Demokratie wird ausgehöhlt, wenn die Balance zwischen Konzerninteressen und Gemeinwohl kippt. Daher ist ein öffentlicher Investitionsgerichtshof besser als die geheimen Schiedsgerichte.

Foto: fdecomite / flickr.com / CC BY 2.0 (Ausschnitt)
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Die Gunst internationaler Investoren ist begehrt. Sie kann über das Wohl oder Weh von Volkswirtschaften entscheiden. Umfangreiche Investitionsprogramme seitens der Industriekonzerne und Finanzinstitutionen lassen oftmals auch den Fiskus auf wachsende Steuereinnahmen hoffen. Da kommt man den Investoren schon mal gern entgegen.

Doch nicht immer bleiben Wirtschaft und Politik auf einem eingeschlagenen Kurs. Wenn Konzerne und Investoren ihre Gewinnerwartungen in einem Land  durch neue Gesetze oder politische Initiativen geschmälert sehen, gegen sie oftmals vor Gericht. Dann stehen sich Staat und Konzern in einem Rechtsstreit gegenüber.

Bei den aktuellen Verhandlungen zu den internationalen Investitionsschutzabkommen wie TTIP, TPP und CETA bevorzugen Vertreter der Wirtschaft vornehmlich die Umsetzung des umstrittenen Schiedsgerichtsgerichtsverfahrens in Form des ISDS (Investor-state dispute settlement). Dabei werden keine ordentliche Gerichte, sondern geheime Schiedsstellen mit privaten Anwälten angerufen, die die Funktion eines Schiedsrichters übernehmen. Bereits heute sehen die NAFTA und viele bilaterale Investitionsschutzabkommen ein solches ISDS vor.

Aus der Politik gibt es dagegen auch andere Vorschläge, wie zum Beispiel die Idee, die geheimen Schiedsstellen durch einen öffentlichen Investitionsgerichtshof zu ersetzen. Dies brächte mehr Transparenz für die Öffentlichkeit und mehr Einfluss seitens der demokratisch legitimierten staatlichen Institutionen. So würden die Interessen der Zivilgesellschaft und der mittelständischen Unternehmen besser vertreten werden. Denn das ISDS kann wegen der hohen Kosten zumeist nur von großen Konzernen angerufen werden.

Ungünstiges Machtverhältnis zwischen Staaten und Konzernen

Wir leben in einer Zeit, in der multinationale Konzerne Umsätze einfahren wie anderswo das Steueraufkommen ganzer Staaten. Dementsprechend gestaltet sich auch das Machtverhältnis, wenn Konzern und Staat aufeinandertreffen.

Inwieweit in zahlreichen Branchen noch das Prinzip der freien Marktwirtschaft gilt oder schon der Monopolismus um sich greift, hängt von der Größe und Robustheit des jeweiligen Staates ab. In den USA greifen zur Not die Kartellbehörden ein. Hier konkurrieren ausreichend Global Player und mächtige Konzerne, so dass der Staat mit seiner Legislative und Judikative noch die Funktion des Züngleins an der Waage erfüllen kann. Was der Staat nicht regulieren kann, übernehmen teure Anwaltskanzleien.

In den Schwellenländern, in den Staaten der Dritten Welt oder in Kleinstaaten sieht das Verhältnis anders aus. Wenn hier die Interessen der Öffentlichkeit gegen die Interessen eines multinationalen Großkonzerns oder eines einflussreichen Investorenkonsortiums verteidigt werden sollen, gleicht es einem Kampf Davids gegen Goliath.

Beispiel Tabakindustrie: Wenn in den USA strenge Auflagen und Gesetze zur Eindämmung des Tabakkonsums umgesetzt werden, gerät die Tabakindustrie mächtig unter Druck. Nicht nur, weil die Öffentlichkeit und der Staat diesen Druck ausüben, sondern auch weil andere Industrien – wie beispielsweise das privatisierte Gesundheitswesen und die Anwaltskanzleien, die die Nikotinopfer vertreten – diesen Druck ausüben. Hier stehen sich gleichmächtige Gegner gegenüber. Es ist ein permanentes Ringen um Interessen.

Tabakkonzern gegen Ecuador

Anders ist es einem Land wie Ecuador. Das Land ist klein. Es hat nur 15 Millionen Einwohner. Das Bruttoinlandsprodukt liegt bei 66 Milliarden Dollar. Die Einnahmen des Staatshaushaltes lagen 2010 bei etwa 21 Milliarden Dollar.

Dieses Land wurde von einem multinationalen Konzern verklagt. Und zwar von Philipp Morris. Dessen Jahresumsatz lag 2010 bei rund 27 Milliarden Dollar.

Streitpunkt: Gesetze zum Schutz der Volksgesundheit. Zigarettenwerbung ist verboten worden. In Restaurants und in öffentlichen Gebäuden ist das Rauchen verboten. Auf Zigarettenschachteln sollen große Warnhinweise angebracht werden. Das kennen wir alles in ähnlicher Weise aus dem aktuellen Deutschland und aus den USA.

Ecuador wurde schließlich von Philipp Morris auf zwei Milliarden Dollar Schadensersatz verklagt. Für ein kleines Entwicklungsland ist das eine große Summe. In der „Zeit“ wurde letztes Jahr eine treffende Artikelüberschrift gewählt: „Wie Konzerne Staaten vor sich hertreiben“.  Tatsächlich können Konzerne Staaten und somit auch die Zivilgesellschaft unter Druck setzen. Wenn demokratische, legislative oder behördliche Entscheidungen die Gewinnmargen einschränken, wird Druck ausgeübt.

Was haben Kartelle mit freier Marktwirtschaft zu tun?

Private Monopole sind genauso bedenklich wie staatliche Monopole – zumindest wenn der Staat nicht im Sinne der Allgemeinheit, sondern im Sinne von Partikularinteressen agiert. Deshalb gibt es in allen marktwirtschaftlichen Gesellschaften Institutionen, welche die Bildung von Monopolen zu verhindern suchen.

Die USA sind, bei aller berechtigten Kritik, ein Beispiel für ein Land, in dem Monopole zumeist – nicht immer – verhindert werden konnten. Dies liegt allerdings daran, dass es genügend US-Konzerne gibt, die miteinander konkurrieren und sich über teure Anwaltskanzleien Auseinandersetzungen leisten können. Außerdem sind die USA ein Land mit einem breit gefächerten Wirtschaftsspektrum. Unterschiedliche Branchen vertreten unterschiedliche Interessen. Hier ist die Gefahr geringer, dass ein Konzern die öffentlichen Interessen einseitig beeinflusst, als in Staaten, in denen nur wenige Konzerne das Wirtschaftsleben bestimmen. Doch auch in den USA gibt es Giganten, deren Einfluss herausragt.

Konzerne werden immer größer und einflussreicher

Die Bedeutung von großen Konzernen und ihr Einfluss auf die politischen Entscheidungen nehmen durch ihre quasi monopolähnlichen Stellungen zu. Ein Paradebeispiel ist der US-amerikanische Handelskonzern Walmart. Der Konzern ist mit aktuell mehr als 470 Milliarden US-Dollar das umsatzstärkste Wirtschaftsunternehmen der Welt. Im US-Einzelhandel nimmt der Konzern eine herausragende Position ein, dominiert den kompletten US-Markt. Walmart kann die Marktpreise bestimmen wie kaum ein anderer Einzelhandelskonzern in Nordamerika. Walmart beeinflusst direkt die US-amerikanische Außenhandelsbilanz. Viele Produkte werden aus Asien importiert.

Die anderen umsatzstärksten Konzerne der Welt sind Energieunternehmen wie Shell, Exxon Mobil, BP (British Petroleum), Sinopec und CNPC (China National Petroleum Corporation). Ihr Einfluss auf die Industrie und internationale Politik ist bekannt. Energiegewinnung und  -Versorgung genießen in der Politik höchste Priorität.

Monopolisierung im Zeitalter der Digitalisierung

Noch deutlicher zeigt sich die Monopolbildung in der Software- und Internetbranche. Microsoft konnte zu einem der mächtigsten Softwarehersteller werden, in dem es eine Art Sonderstellung bei der Bereitstellung von Betriebssystemen erarbeiten konnte. Google hat ein Quasimonopol bei Suchmaschinen. Facebook kontrolliert die sozialen Netzwerke.

Der Erfolg eines Software- oder Internetunternehmens hängt nicht nur von der Qualität der Produkte ab, sondern auch davon, wie schnell eine Marktnische erkannt, ausgefüllt und dort ein Quasimonopol aufgebaut werden kann – auch wenn es nach außen nicht so aussehen soll.

Heutzutage ist die gesamte staatliche Verwaltung und Infrastruktur digitalisiert. Damit sind neue Abhängigkeiten entstanden. Nicht umsonst reisen Politiker aller Couleur ins Silicon Valley, um mit den Softwaregiganten neue Zukunftsstrategien zu entwerfen. Spitzenpolitiker wie US-Präsident Barack Obama suchen Jungunternehmer wie Mark Zuckerberg auf.

Schiedsgerichte und Einfluss der Konzerne auf die Legislative

Die schiere Größe und die Schlüsselfunktionen der wichtigen Wirtschaftsunternehmen machen es schwierig, die Balance zwischen Politik und Wirtschaft einzuhalten, zwischen Gemeinwohl und Partikularinteressen.

Mehr als 30.000 Lobbyisten in Brüssel sorgen dafür, dass alle Mitarbeiter und Parlamentarier der EU mit Fakten, Daten und Informationen aus allen Branchen der Wirtschaft versorgt werden. Ohne diese Informationen wären die meisten Beamten und Politiker aufgeschmissen, wenn es darum geht, neue Gesetze auf den Weg zu bringen. Hier ist der Einfluss des Lobbyismus enorm. Denn oftmals reicht die Zeit nicht, um das technische Knowhow für die Gesetzesregelungen etwa zur Energieversorgung oder Datenspeicherung anzueignen – geschweige zu überprüfen.

Wenn die Unternehmen über ihre Lobbyisten quasi vorgeschriebene Gesetzesentwürfe vorlegen, die die Politiker nur noch absegnen müssen, dann vereinfacht das die Prozesse enorm. Doch oftmals wissen die Politiker dann nicht mehr im Detail, worüber sie abstimmen sollen. Und der versteckten Einflussnahme sind Tor und Tür geöffnet.

Dies zeigt sich auch bei den aktuellen Verhandlungen zum transatlantischen Investorenschutzabkommen TTIP. Die Unterlagen sind umfangreich, sie wurden größtenteils geheim angefertigt – und sie können von den Politikern nur bedingt erfasst werden.

Das birgt automatisch die Gefahr, dass es nach der Ratifizierung von TTIP zu Streitigkeiten zwischen Konzernen und Vertretern öffentlicher Interessen kommen wird. Noch problematischer ist, dass durch eine zunehmende juristische Festlegung in Form eines völkerrechtlichen Vertrages die Legislativen der einzelnen Länder weniger Möglichkeiten haben, zukünftige Gesetze entsprechend der sich verändernden Interessen ihrer Bevölkerung zu beschließen, weil alles mit TTIP abgestimmt werden muss, um Verfahren vor den Schiedsstellen und hohe Strafzahlungen zu vermeiden. Wenn dann noch die Streitigkeiten in geheimen privaten Schiedsstellen gelöst werden sollen, ist das Prinzip der Demokratie völlig ausgehöhlt.

Schlussfolgerung: Staaten dürfen nicht zu viel von ihrer legislativen Souveränität abgeben, weil sie sonst gegenüber den multinationalen Konzernen an Einfluss verlieren. Außerdem ist es zu begrüßen, wenn sich der Vorschlag zu einem öffentlichen Investitionsgerichtshof (Investment Court System – ICS) durchsetzen würde.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: FDominicus

"Private Monopole sind genauso bedenklich wie staatliche Monopole – zumindest wenn der Staat nicht im Sinne der Allgemeinheit, sondern im Sinne von Partikularinteressen agiert. Deshalb gibt es in allen marktwirtschaftlichen Gesellschaften Institutionen, welche die Bildung von Monopolen zu verhindern suchen. "

Ja nee private Monople entstehen einfach nur so. Da haben Staaten gar nichts mit zu tun. Fragt man sich nur wie es zu Zentralbanken kommen konnte....

Gravatar: Theo

Schade, dass sich FreieWelt einen solchen Artikel antut.

Die emotionalisierte, weil völlig unerfahrene und mit dem Thema unvertraute Darstellung des Themas Schiedsgerichtsbarkeit beruht auf der Annahme, dass die Parteien sich einen Richter auswählen und während des Verfahrens beeinflussen können. Tun sie aber nicht.

Ganz im Gegenteil: Aufgrund der Tatsache, dass ein Schiedsrichter aus dem Gremium den anderen Richter bei dessen Parteilichkeit "rausschmeißen" lassen kann ersetzt die Kontrolle, die bei einem staatlichen Gericht eben erst gar nicht gegeben ist.

Die Häufigkeit, einen Richter eines ordentlichen Gerichts wegen Befangenheit aus dem Verfahren zu drängen, sind in Deutschland gegen "Null", da ein Spruchkörper eben aus denselben staatlich alimentierten und versorgten Richtern darüber zu entscheiden hat und dies im überwiegenden Fall der Fälle auch so entscheidet: Der/die Richter/IN bleibt!

TTIP ist eine brillantes Beispiel, dass in einem linksideologisch verseuchten Sprüche- und Diskutantenland immer häufiger ideologisch schwadroniert wird ohne Sachkenntnis und ohne intellektuelle Fähigkeit.

Bestes Beispiel: Der DGB und die LINKSRADIKALEN-Vereinigungen von ATTAC, den JUSOS und den mittlerweile in die Jahre gekommenen Ewiggestrigen GRÜNEN etc., die von Tuten und Blasen keine Ahnung haben - aber immer mitreden wollen.

Angesichts von 33 Freihandelsabkommen, in denen sämtlich Schiedsgerichte vorgesehen sind und die mittlerweile allen Ländern einen Wirtschaftsboom verschafft haben, ist die Diskussion zu TTIP mit den USA absurdes Theater einer - wieder einmal - unter Merkel nach LINKS abgedrifteten Bundesrepublik Deutschland.

Gravatar: Jürg Rückert

"Die internationalen Investoren" können jede westliche Regierung aus dem Amt fegen, denn sie beherrschen die Massenmedien, die Banken und die Schlüsselindustrien.
Wie beim Monopoly-Spiel besitzen sie die wertvollsten und meisten Straßen. Aber sie wollen alles!
Gleichzeitig stehen sie bis jetzt auf tönernen Füßen, weshalb sie das Tageslicht scheuen.
Geht TTIP durch, stehen ihre Füße in genageltem Schuhwerk, sind die Demokratien nur noch Verwaltungsbezirke.
Ende 2016 dürften wir 10 Mio Neubürger haben und TTIP unter Dach und Fach sein, das auch dank Merkel, der Pastorin der Erlösung der Welt von den Deutschen d.h. vom Bösen. Amen.

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