Volksrepublik im Aufwind

Warum Chinas Aufstieg unaufhaltbar ist

Mit seinen 1,4 Milliarden Einwohnern und seiner boomenden Wirtschaft drängt China wieder zur Weltspitze. Für die Chinesen ist dies die Wiederherstellung alter Verhältnisse als Reich der Mitte.

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Chinas Aufstieg zur Weltmacht ist kein kurzfristiges Ereignis. Es handelt sich um einen langfristigen Prozess, bei dem historische Verwerfungen korrigiert und alte Verhältnisse wieder hergestellt werden. Schon heute ist China nicht nur zahlenmäßig die größte Nation, sondern nach den USA der politisch, wirtschaftlich und militärisch mächtigste Staat der Erde.

Über Jahrtausende war China eine Großmacht. Zwar gab es zeitweise an Größe und Einfluss vergleichbare Reiche, wie zum Beispiel das antike Perserreich, das Reich Alexanders des Großen oder das Römische und Byzantinische Reich. Doch diese Gebilde waren geographisch weit abgelegen. In Ostasien war für mehr als zweitausend Jahre Chinas Stellung unangefochten.

Im 16. Jahrhundert waren Indien und China zweifellos die einwohnerreichsten und wirtschaftlich produktivsten Länder. Doch Europas Wettrüsten um Kolonialerwerb und Handelserweiterung inklusive der Entwicklung moderner Schusswaffen sollte die globalen Verhältnisse auf den Kopf stellen.

Chinas Stillstand durch patrimoniales Herrschaftsgebilde

Das Problem Chinas während der Qing-Dynastie (Mandschu) des 17. bis 19. Jahrhunderts war, dass es keinerlei Reformen in der Gesellschaft gab. Das Staatsgebilde war starr. Der Kaiser auf seinem Himmelsthron in der verbotenen Stadt von Peking war Repräsentant einer göttlichen Ordnung, die es zu bewahren galt. Hierzu gehörten die komplexen Hierarchien an Noblen und Beamten, die das Staatswesen organisierten. Das soziale Leben war nach den Regeln des Konfuzius geordnet. Das Gemeinwesen stand im Vordergrund, individuelle Bedürfnisse im Hintergrund.

Handel mit Ausländern durfte nur unter bestimmten Bedingungen an bestimmten Orten geführt werden. Das Reich genügte sich selbst. Redistributionswirtschaft war dominierend. Konkurrenz aus dem Ausland wurde nicht als solche erkannt. Die Vorstellungen von Europa waren zu vage, die Europäer, die nach China kamen, zu fremdartig und seltsam, um sie als potentiell gefährliche Konkurrenten und Gefahren wahrzunehmen.

Doch die Europäer konnten mit ihren Handelskompagnien und Gesandten immer mehr Rechte und Handelsplätze für sich gewinnen. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts war die Situation gekippt. Durch die von den Briten forcierten Opiumkriege und die europäischen Stadtkolonien an der chinesischen Küste, durch die Boxeraufstände 1899-1901 und dem westlichen Expeditionskorps (bestehend aus deutschen, österreichischen, US-amerikanischen, britischen, französischen, russischen, italienischen und japanischen Truppen), das bis nach Peking vordrang und den dortigen Sommerpalast verwüstete, war das Reich von innen zerbrochen, bevor es die Gefahr aus dem Ausland richtig einzuschätzen gelernt hatte. Es folgten Revolutionen und die japanische Besetzung während des Zweiten Weltkrieges.

Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts und erste Hälfte des 20. Jahrhunderts werden in China als Zeit der Schmach und Demütigungen empfunden. China war vom riesigen Kaiserreich zum Land der Dritten Welt geworden, unfähig, dem Westen Paroli zu bieten.

Abhärtung durch permanenten Wettbewerb: Europa und Japan

Europa und Japan hatten etwas, das China fehlte. In Europa war es vor allem die Verknüpfung aus Kolonialerwerb, Handel, Seefahrt, industrieller Revolution und beständigem Wettbewerb untereinander. Während China im 19. Jahrhundert ein Monolith war, gab es in Europa geradezu ein Wettrennen der Staaten um die wirtschaftliche und politische Dominanz.

Auch in Japan hatte die innere Zersplitterung zu einem Wettbewerb geführt, der das Land als einziges nichteuropäisches Staatsgebilde bereits Ende des 19. Jahrhunderts in das Industriezeitalter geführt hat.

Der Koloss China ist längst aufgewacht

Mao Zedong konnte das Land politisch einen und reformieren, eine Armee aufstellen und China zur Atommacht werden lassen. Doch er schaffte nicht den wirtschaftlichen Aufschwung. Der „große Sprung nach vorn“ (1958-1961), der Millionen Menschen das Leben kostete, war ein verzweifelter Versuch, das Land per Planwirtschaft im Eiltempo zu industrialisieren. Der Plan scheiterte nicht nur, es kam zur größten Hungerkatastrophe des 20. Jahrhunderts.

Deng Xiao Ping hatte in den späten 1970ern die Politik der kleinen Schritte zur wirtschaftlichen Öffnung eingeläutet. Am Ende seiner langen und wechselvollen politischen Entwicklung hatte er sich für die praktische Variante der Wirtschaftspolitik entschieden. Schritt für Schritt sollte China vom Westen lernen und dabei dennoch seinen eigenen Weg gehen.

Vorbild war Hongkong

Japan, Südkorea und Taiwan boten in den 1970er und 1980er Jahren guten Anschauungsunterricht. Sie zeigten, wie es ostasiatische Länder schaffen können, die Weltmärkte aufzumischen.

Doch das beindruckende Vorbild war Hongkong. Wie konnte es dieser kleinen Hafenstadt gelingen, ein weltweit bedeutender Handels- und Industriestandort zu werden? „Made in Hongkong“ war damals auf unzähligen Industrieprodukten zu lesen. Von den Briten haben die Hongkong-Chinesen nur wenig abgeschaut. Tatsächlich ließen die Briten den Einwohnern von Hongkong relativ freie Hand. Diese Freiheit, nach eigenem Gutdünken zu wirtschaften und zu handeln, war das Erfolgsrezept für die Stadt.

Die Idee der chinesischen Regierung war, die Region von Shenzhen am Perlflussdelta zur Sonderverwaltungszone zu erklären, in der wirtschaftlich experimentiert werden konnte. Shenzhen hatte damals etwa 300.000 Einwohner. Wegen der Lage direkt auf dem Festland gegenüber von Honkong konnte das Experiment sozusagen in Sichtweite der britischen Kronkolonie beginnen.

Zunächst wurden Investoren aus Hongkong angelockt. Ihnen wurden günstigere Produktionsbedingungen angeboten als in Hongkong selbst. Dies führte dazu, dass zahlreiche Geschäftsleute und Industrielle aus Honkong ihre Fabriken nach Shenzhen verlegen ließen, ihre Handels- und Dienstleistungsbereiche jedoch in Hongkong beließen.

Auf diese Weise konnte Hongkong das chinesische Hinterland für sich ausnutzen und China die Industrieproduktion an sich ziehen. Bereits in den späten 1980ern und 1990ern zeigten sich deutliche Erfolge. Es folgten weitere Sonderwirtschaftszonen entlang der Küste, bis sich schließlich große Teile des Landes der neuen Wirtschaftsform öffneten.

Seit der Jahrtausendwende hat der Wirtschaftsboom das ganze Riesenland erfasst. Von Shenzhen, das mittlerweile fast 13 Millionen Einwohner hat, über Kanton (Guangzhou), entlang der Küste über Shanghai bis hoch im Norden nach Tianjin und Dalian hat sich eine blühende Wirtschaftsregion gebildet, die mittlerweile ins Inland ausstrahlt. Der Boom ist überall augenfällig. Keine große Region der Erde hat sich jemals innerhalb einer solch kurzen Zeit so schnell entwickelt und verändert. Hongkong ist mit seiner Skyline aus Wolkenkratzern nur eine Stadt von vielen imposanten Metropolen in ganz China.

Im Inland, am Oberlauf des Jangtsekiang, entwickelt sich mit der Megametropole Chongqing eine zweite Welle des Wirtschaftsbooms. So wie die Sonderwirtschaftszone Shenzhen vor drei Jahrzehnten von Hongkong gelernt hat, so lernen heute die Städte des Binnenlandes von ihren Vorbildern an der Küste. Von Changchun, Harbin und Shenyang in der Mandschurei bis nach Urumchi in der Westprovinz Xinjiang sind alle großen Städte vom Wirtschaftsboom erfasst, der sich optisch in einer monumentalen Bauwut äußert.

Westlicher Lebensstil ist kein Privileg des Westens mehr

Man sollte den Fortschritt in China nicht unterschätzen. Der Anteil der Chinesen, die sich eine schicke Wohnung mit Fernseher, neuen Möbeln und moderner Küche sowie ein Auto leisten können, wächst unaufhörlich. Im Zeitraffer werden Slums eingerissen und durch moderne Wohnsiedlungen ersetzt.

In den 1960er Jahren spendeten die Menschen in Europa und Amerika für die hungernden Kinder in China. In den 2010er Jahren reisen chinesische Touristen nach Europa und Amerika. Sie machen Sightseeing und gegen auf Shoppingtour – und sie wundern sich über die Rückständigkeit deutscher Städte.

Was ist Berlin im Vergleich zu Shanghai? Berlin hat historische und nostalgische Aspekte. Doch über die moderne Architektur in Berlin können die Chinesen nur schmunzeln. Wer heute nach Shanghai fliegt, wird vom dortigen Flughafen per Magnetschwebebahn in wenigen Minuten in die Megastadt gebracht. In Berlin landen die Chinesen auf dem Miniflughafen Tegel, fahren mit der veralteten U-Bahn ins Zentrum und sehen dort eine Stadt, die sie oft als „schmutzig“ beschreiben.

In Deutschland haben viele noch nicht begriffen, dass Europa nicht mehr das Zentrum der Welt ist. Die Zukunft liegt in Ostasien und im pazifischen Raum. Für China als „Zhong Guo“, als „Reich der Mitte“, ist diese Entwicklung eine Wiederherstellung der alten Ordnung.

Stichwort: GeoAußenPolitik

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Coyote38

"Everything's bigger in China".

Das gilt aber nicht nur für Wachstumsraten der Wirtschaft, Wohnsilos, Bevölkerungszahlen und Wolkenkratzer-Skylines.
Das gilt auch und zuerst - und das wird immer wieder gerne vergessen - für die sich im gleichen Maßstab potenzierenden Probleme: Umweltverschutzung, Gesundheitssystem, Rentenproblematik, strukturschwache Gebiete.
Ja, China springt "mit Gewalt" in das Hochindustrie- und IT-Zeitalter ... aber mit der GLEICHEN Gewalt wird es - eher früher als später - mit den GLEICHEN Problemen konfrontiert werden, die bereits seit knapp drei Jahrzehnten zu behutsamen Anpassungsschritten in den westlichen Industrienationen führen mussten und geführt haben.
In Peking beispielsweise ist die "Lungenkrebs-Quote" in den letzten 10 Jahren aufgrund der Luftverschmutzung um 60% gestiegen. NUR das normale Atmen bedeutet eine Belastung des Körpers, die dem Konsum von 21 Zigaretten pro Tag entspricht. Es sterben jährlich eine Viertelmillion Menschen an den Folgen des Smogs und er löst - ebenfalls jährlich - bei 300.000 Kindern Asthma aus.
Welche Folgen, das - landesweit betrachtet - auf ein Gesundheitssystem haben muss, welche Folgekosten und Wirtschaftseinbußen damit verbunden sind, das kann man in China zur Zeit noch nicht einmal schätzen.
Ich habe neulich "irgendwo" (Handelsblatt o.ä.) eine Zahl gelesen, wonach China allein für die Bekämpfung der selbstverursachten Luftverschmutzung mit jährlichen Kosten um die 210 Mrd Euro pro Jahr etwa ab 2020 rechnet ... da "relativiert" sich dann manche "Erfolgsmeldung" aus dem Reich der Mitte doch sehr zügig.

Gravatar: kassandro

Ich halte China für eine Investment-Blase, vergleichbar aber viel größer als die der "Tiger-Staaten" in den 80er und 90 Jahren Jahren. China ist nicht aus sich selber heraus gewachsen wie Westeuropa oder die USA, sondern verdankt seinen Aufschwung der ins unermessliche wachsenden Kapitalflut, der immer weniger reale Werte gegenüberstehen. Irgendwann wird aber das Ende der Fahnenstange erreicht sein, und dann wird diese Blase platzen wie die der Tiger-Staaten Ende der 90er Jahre. Die daraus resultierende gigantische Kapitalvernichtung wird ein Wirtschafttsbeben ungeahnten Ausmaßes nach sich ziehen. Die irre Negativzinspolitik einhergehend mit Diskussionen über die Abschaffung des Bargeldes, ist ein Vorbote des Endes der Fahnenstange.

Gravatar: Stephan Achner

Die Aussage, dass die USA immer noch die stärkste Wirtschaftsmacht vor China seien, stimmt nur, wenn man den herkömmlichen, aber wegen der Wechselkursschwankungen wenig aussagefähigen Vergleich des BSP macht. Nimmt man den aussagefähigeren BSP-Vergleich nach Kaufkraftparität, ist - nach Zahlen des IWF - China seit Ende 2014 stärkste Wirtschaftsmacht vor den USA.

Der Berlin-Shanghai-Vergleich ist sehr treffend. Berlin ist gegenüber Shanghai nur noch eine heruntergekommene und verschmutzte Provinz-Stadt mit Nostalgie-Charakter. Das gilt aber auch für einen Vergleich mit vielen anderen asiatischen Städten, wie z.B. Singapur. Weltstadt Berlin - das ist sehr lange her und kommt wohl auch nie wieder.

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