Mangel an Rechtstaatlichkeit?

Viviane Redings EU-Justizrede löst Besorgnis aus

EU-Justizkommissarin hat in einer Rede eine Krise der Rechtsstaatlichkeit in Europa diagnostiziert. Ein Vorwand, sagen Experten. Sie vermuten, dass sie die Befugnisse der Kommission unzulässig ausweiten will.

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Eine Anfang September gehaltene Rede von EU-Justizkommissarin Viviane Reding hat bei Experten Besorgnis ausgelöst. Reding hatte in der Rede »Die EU und die Rechtsstaatlichkeit – wie geht es weiter?« eine Krise der Rechtsstaatlichkeit in Europa diagnostiziert, diese These an drei Beispielen illustriert und Vorschläge zur Behebung gemacht. Damit hat sie versucht, sagen die Kritiker, die Befugnisse der EU unzulässig auszudehnen und in den Kernbereich der nationalstaatlichen Souveränität einzugreifen, nämlich der Gesetzgebung und Rechtsdurchsetzung.

»Rechtsstaatskrisen« in Europa?

Als Beispiele für eine gestörte Rechtsstaatlichkeit nannte sie die »Roma-Krise« in Frankreich 2010, die »ungarische Krise« 2011 und die »rumänische Krise der Rechtsstaatlichkeit« 2012.

In Frankreich hatte die Polizei auf Anweisung der Regierung illegale Roma-Lager aufgelöst und illegal zugewanderte Roma in ihre Herkunftsländer ausgewiesen. In Ungarn hatte die Partei des Ministerpräsidenten Orban, die eine Zweidrittelmehrheit im Parlament hat, verschiedene Verfassungsänderungen beschlossen. Und in Rumänien hatte es einen Machtkampf zwischen Ministerpräsident Ponta und Präsident Băsescu gegeben.

Aus diesen drei »Krisen« zog Reding nun den Schluss, dass die Kommission weitere Befugnisse auf dem Gebiet der Rechtspflege erhalten müsse. Es sei nötig, »ein besser entwickeltes Instrumentarium« zu entwickeln, mit dem »die Lücke gefüllt werden kann, die gegenwärtig existiert zwischen der Aufgabe der Kommission, als Hüterin der Verträge einzugreifen, und den Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrages«.

Schon letztes Jahr hatte Reding in einem Interview mit der FAZ ihre Idee präsentiert, wie man in solchen Krisen Abhilfe leisten kann: »Ich glaube, wir brauchen aber auch eines nicht allzu fernen Tages einen EU-Justizminister, der Mittel hat, um die Rechtsstaatlichkeit in der EU durchzusetzen.«

Keine Lösung für Nicht-Probleme

Dieser und weitere Vorschläge Redings werden von Experten allerdings als wenig überzeugend beurteilt. Ein Analyst der Bürgerrechtsorganisation European Dignity Watch verweist darauf, dass es sich bei den Beispielen nicht um Krisen der Rechtsstaatlichkeit handele. Die von Reding präsentierten Vorschläge seien also, so der Vorwurf, nicht als Lösung auf die von ihr beschriebenen Probleme zu verstehen. Sondern sie verfolge eine ganz andere Agenda, die losgelöst von den von ihr angeführten Ereignissen seien.

Die »Roma-Krise« in Frankreich, sagt der Analyst, war keine Krise der Rechtsstaatlichkeit, sondern gerade umgekehrt: Die Behörden setzten das Recht um, zum Beispiel indem sie illegale Ansiedelungen auflösten. Im Verlauf der »ungarischen Krise«, heißt es, schrumpften die Vorwürfe am Ende auf »Altersdiskriminierung«, was nicht gerade auf eine Rechtsstaatskrise hindeute. Und in Rumänien, wo sich zwei Verfassungsorgane bekämpften, sei auch keine Rechtsstaatskrise zu diagnostizieren gewesen, sondern eine Verfassungskrise.

In allen drei Fällen hatte die EU-Kommission allerdings keine Kompetenz einzugreifen, lautet das Fazit des Autors. So muss man aus den Redingschen Vorschlägen fast zwangsläufig den Schluss ziehen, dass es der Kommissarin nicht darum geht, echte Krisen zu lösen, sondern vor allem darum, die Macht der EU-Kommission auf ein Gebiet auszudehnen, das noch nicht unter ihrer Kontrolle ist: das Recht der Mitgliedsstaaten.

Die Briten wehren sich

Das stößt zum Beispiel beim britischen Justizminister Chris Grayling auf Ablehnung. »In einer Zeit, in der die Europäische Union immer noch mit der größten Finanzkrise der modernen Geschichte kämpft, kann ich einfach nicht verstehen, warum es Gespräche über einen europäischen Justizminister und die Vereinheitlichung unserer Justizsysteme geben soll. Es ist wirklich an der Zeit, dass sich EU-Beamte auf die wahren Probleme konzentrieren, die uns alle betreffen, und aufhören, unrealistische Euro-Ideologien zu verfolgen.«

Auf dem Open Europe Blog wird man deutlicher und fordert unter bezug auf Redings Ausführungen: »Sollten die Mitgliedsstaaten jemals die Kontrolle über die EU behalten wollen, sollten sie solche Einlassungen zu einem Kündigungsgrund machen.«

Ein trockenes, aber bedeutendes Thema

Aus Deutschland sind keine Reaktionen bekannt geworden, doch das könnte ein Fehler sein. Sicher, die Materie ist trocken und für Laien kaum zu durchschauen. Aber das sollte kein Grund sein, sich nicht mit ihr zu beschäftigen. Denn wenn Redings Wünsche Wirklichkeit werden sollten, wäre die EU auf ihrem Weg zu einem Superstaat ein gutes Stück weitergekommen – mit fatalen Konsequenzen für die Demokratie.

Ob die anderen Mitglieder der Kommission ebenfalls eine Ausweitung der EU-Kompetenzen befürworten, ist noch nicht bekannt. Sicher ist aber, dass die EU-Skepsis durch solche Vorschläge, die an der Realität vorbeigehen, weil mit ihnen ohnehin eine andere, geheime Agenda verfolgt wird, massiv befeuert wird. Im Open Europe Blog heißt es: »Vor kurzem hat uns in Brüssel jemand gesagt: Jedes Mal, wenn Reding ihren Mund aufmacht, bekommt Nigel Farage weitere tausend Stimmen.«

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Realist-1942

Schuster bleib bei deinen Leisten! Hier fehlt ganz offensichtlich die Kompetenz. Ein Studium vermittelt tiefgreifendes Fachwissen, eine Promotion den Nachweis wissenschaftlich arbeiten zu können, ein solcher Ausrutscher beweist, dass Frau Redding die Grenzen ihrer Kompetenz überschritten hat. Sie wird ja nicht allein diesen Job machen müssen, sondern von einem größeren Team unterstützt. Hier fehlt offensichtlich auch noch die Fähigkeit aus dem Ergebnis einer Fachrecherche die richtigen Schlüsse zu ziehen und eine gewisse Beratungsresistenz.

Gravatar: P.Feldmann

Man muss Reding ernst nehmen, rein taktisch als Gegner. Sie steht für die Selbstherrlichkeit und prophetische Ignoranz jenes Klubs von Duodezfürstlein, die EU regieren wollen ohne jegliche demokratische Legitimation. Sie steht für eine schon fast bösartige Inkompetenz, mit der sie leider nicht allein steht in dieser Kommission.
Man darf auf keinen Fall die unseelige Kraft von Dummheit und Ignoranz unterschätzen und es wäre eigentlich Sache unserer gewählten Vertreter im EU Parlament, Reding / Kommission hier vehement diskursiv entgegenzutreten.
Leider nur versagt die einzige demokratisch legitimierte Instanz der EU hier auf ganzer Breite.
Die einzige Chance, die die europäischen Völker haben sind wirklich kritische Geister im Europaparlament. Die Wahlen dazu stehen bald an!

Gravatar: Klaus Kolbe

Diese Frau Reding habe ich einmal in einer dieser Talk-Runden, zu der man auch den AfD-Vorsitzenden Bernd Lucke geladen hatte (um wieder einmal nach dem Motto verfahren zu können: gemeinsam gegen einen), gesehen und gehört – das reicht!
An sach- und fachlicher Inkompetenz nicht zu überbieten – so, wie diese gesamte sozialistische Räte- und Kommissar-Bagage in Brüssel.

Gravatar: Karin Weber

Ich verstehe die Diskussion um die verschiedenen Ethnien durchaus. Es sind und bleiben unterschiedliche Kulturen, die per "europäischem bzw. nationalem Recht" hier zusammengepresst werden. Auf diese Weise hat sich über Jahrzehnte ein Berg an sozialem/politischem Sprengstoff angehäuft, an dem die Lunte schon glimmt.

Diesen politischen Irrsinn werden viele Menschen mit ihrem Leben und ihrer Gesundheit bezahlen. Man kann nichts integrieren, was sich nicht integrieren will und man kann das durchaus auch verstehen, dass solche Leute ihre Lebensgewohnheiten und "Kultur" behalten wollen. Aber dann gehören sie hier eben nicht her.

Die Behörden sind machtlos und kuschen devot vor den EU-Machthabern. Aber mehr Geld, mehr Polizei und mehr Gesetze lösen diese Probleme nicht. Lest euch das mal durch hier.

http://www.zukunftskinder.org/?p=26635
http://www.dailymail.co.uk/news/article-2486333/Kosice-won-51million-grants-named-Europes-Capital-Culture--thousands-Roma-children-living-slums.html

Wenn das hier einmal diesbezüglich zu ethnischen Unruhen kommt, dann ist alleinig die politische Klasse und die ganzen Gutmenschen dafür verantwortlich. Man kann nur eindringlich davor warnen.

Zu dieser Frau Redding reicht der Hinweis, dass die erst mal klären soll, was ein "Rechtsstaat" ist. Wir als Bürger verstehen darunter etwas anderes als die politische Klasse und deren Systemfunktionäre. Erst wenn das geklärt ist, gibt es eine Basis für eine Diskussion.

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