Chaos im Nahen Osten

Türkisch-kurdischer Konflikt macht alles komplizierter

Die Türkei reagiert auf PKK-Anschläge mit massiven Militäreinsätzen, die auch auf den Irak übergreifen. So schließt sich ein Kreislauf des Gegeneinanders, der den Kampf gegen den IS verkompliziert.

Foto: Kurdishstruggle/flcikr.com/CC BY 2.0
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Was soll man davon halten? Als in der kurdischen Stadt Kobane im syrischen Grenzgebiet zur Türkei die Kämpfe tobten, die Terroristen des „Islamischen Staates“ (IS) mit äußerster Härte vorgingen, Zivilisten tausendfach flohen, hunderte Menschen getötet wurden – da standen die türkischen Panzer hinter der Grenze und warteten ab.

Das gleiche Spiel wiederholte sich mehrfach: Wann immer der IS in der Nähe der türkischen Grenze ein Blutbad anrichtete, hielten sich die türkischen Truppen zurück. Auch bei der Anti-Terror-Allianz hat sich das türkische Engagement in Grenzen gehalten. Erst sehr spät willigte man ein, Luftangriffe gegen den IS zu fliegen und den USA für ihre Drohnen und Lufteinsätze einen Flughafen zur Verfügung zu stellen.

Nun, da bei einem Anschlag 14 türkische Polizisten ums Leben gekommen sind, wagt die Türkei etwas, das sie sonst immer als Argument gegen eine Intervention angeführt hatte: Sie verletzt die Grenzen eines anderen Landes und setzt Bodentruppen im Nordirak ein – gegen Kämpfer der PKK. Damit wird wieder einmal ganz offenkundig, dass die Türkei die PKK als größere Bedrohung einstuft als den IS. Wie werden die Kurden darauf reagieren?

Wo liegen die türkischen Prioritäten?

Die türkische Führung unter Präsident Recep Tayyib Erdogan hat immer wieder klargestellt, dass sie die PKK mindestens genauso als Terrororganisation ansieht wie den IS. Doch wie steht es mit den anderen kurdischen Einheiten, der YPG in Nordsyrien und den vom Westen bewaffneten Peschmerga im Nordostirak? Wie lange wird die türkische Regierung diese Differenzierungen vornehmen können, wenn die Kurden sich insgesamt als Bevölkerungsgruppe von der Türkei bedroht fühlen? Wird dieser Konflikt sich auf eine Auseinandersetzung zwischen der türkischen Armee und der PKK beschränken oder zu einem türkisch-kurdischen Konflikt insgesamt ausweiten?

Wohin sollen die Kurden fliehen, wenn sie sich sowohl von der türkischen Regierung als auch vom IS und Assad-Regime bedroht fühlen? Wen sollen die westlichen Vermittler in der Region als Partner ansprechen, wenn es um die Bekämpfung des IS geht? Wird sich die bizarre Trennung in „gute“ Kurden (Peschmerga) und „böse“ Kurden (PKK) aufrechterhalten lassen? Und wie wird die Türkei mit den syrisch-kurdischen Volksverteidigungseinheiten der YPG (Yekîneyên Parastina Gel) umgehen, die historisch gesehen mit der PKK vernetzt sind?

Die Situation wird immer verworrener. Denn neben der syrischen YPG gibt es ja noch die „Kurdisch-Islamische Front“ (Al-Dschabha al-Islamiya al-Kurdiya), die ebenso wie der IS für einen radikal-islamischen Staat kämpft – zum Verdruss beispielsweise der säkularen Kurden und der jesidischen Kurden.

Kurden sind zwischen IS, Türkei und Iran isoliert

Wenn es um die Kurden geht, haben der Iran und die Türkei einen gemeinsamen Interessens-Nenner. Obwohl beide Staaten auf dem syrischen Kriegsschauplatz gegeneinander agieren, indem die Türkei sich gegen das Assad-Regime positioniert hat, der Iran jedoch Assad unterstützt, haben sie bei der Kurdenfrage ein gemeinsames Interesse, nämlich die Entwicklung eines selbständigen Kurdenstaates zu verhindern. Denn ein freies Kurdistan würde die kurdische Minderheit im Iran gegen das Regime in Teheran aufwiegeln. Immerhin leben im Iran rund 7-8 Millionen Kurden, das sind rund 10 Prozent der iranischen Bevölkerung.

Tatsächlich ist die kurdische Untergrundorganisation PJAK im Iran mit der PKK in der Türkei vernetzt und hat ebenfalls Stützpunkte im Nordirak. Daher ist es kein Wunder, dass es parallel zur türkischen Operationen gegen die PKK auf der östlichen Seite der Grenze prompt zur Konfrontation zwischen der PJAK und den iranischen Truppen gekommen ist.

Bisher waren die Kurden die tapfersten und erfolgreichsten Widersacher des IS. Doch sie sind zu isoliert. Der Westen kann die Kurden nur bedingt unterstützen, da er Rücksicht auf die Sicherheitsinteressen der Türkei nehmen muss.

Die Folge wird sein, dass vielen Kurden nur die Flucht bleibt – und zwar nach Europa. Hier beißt sich diese Entwicklung mit dem Wunsche, den Menschen vor Ort zu helfen, um größere Migrationsbewegungen zu verhindern.

Eine weitere Gefahr besteht darin, dass sich die Animositäten zwischen Kurden und Türken verstärkt auf Europa übertragen, wo beide Bevölkerungsgruppen stark vertreten sind. Die jüngsten Anschlagserien in der Türkei könnten dann auch andernorts ihre Fortsetzung finden.

( Schlagwort: GeoAußenPolitik )

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Karl Brenner

Zitat:
"Die Kurden wollen nur eines: Politische Unabhängigkeit, Autonomie und einen eigenen Staat. Also Selbstbestimmungsrecht eines Volkes nach der UN-Charta. Was kann daran falsch sein?"

Die Kurden sind ein einheitliches Volk, mit einer eigenen Sprache/Kultur, auf einen definierbaren Land, mit den Willen zu einem eigenen Staat.

Warum bekommen sie ihn nicht?

Weil der schwierige Partner der USA alles bekommt was er will. Auch auf Kosten der Deutschen und der Europäer. Die Zustände in einigen deutschen Großstätten sprechen für sich.

Gravatar: Donald Ganter

Herrn Erdogan geht es nicht darum sein Land vor der PKK zu beschützen. Von der PKK - was eine durchaus abzulehnende Organisation ist - ging aber bis vor Kurzem keine akute Gefahr für die Türkei aus. Bis zur letzten Wahl, bei der Erdogan noch davon ausging wieder die absolute Mehrheit zu gewinnen um die Verfassung dann zu seinen Gunsten für weitere Amtszeiten zu verändern, war die PKK nur noch Rand Thema. Sie war in Syrien mit dem IS gut beschäftigt. In der Türkei fanden sogar Friedensverhandlungen statt. Erst nach der Wahl, als die HDP unerwartet über die 10 % Hürde kam und Erdogans absolute Mehrheit weg war, kam man auf die perfide Idee für Terroranschläge der IS auch die PKK mitverantwortlich zu machen, diese mit völlig unverhältnismäßigen Militäraktionen insbesondere auch im Ausland anzugreifen und damit erfolgreich Gegenreaktionen zu provozieren. Jetzt lässt Erdogan Neuwahlen ansetzen, stellt die HDP als politischen Terrorarm der PKK dar und siehe da, es funktioniert. Die parteizentralen der HDP brennen einschließlich Verlagshäuser welche diese Politik des Herrn Erdogan kritisch hinterfragen. Parteifunktionäre der HDP werden unter Terrorverdacht gestellt und verhaftet und überhaupt alles dafür getan, damit dieser Politiker unterster Schublade auch weiterhin in "seinen" Palästen weiterregieren kann. Dabei sind ihm Menschenleben genauso egal wie sein Volk insgesamt. Er ist nicht besser als der Noch-Regend aus Damaskus. Aber wie das Beispiel Syrien zeigt ist es für die westlichen Regierungen besser mit einen korrupten Wirrkopf an der Macht als das totale Chaos im Land. Traurig. Andererseits haben es die Türken bei der nächsten Wahl noch selbst in der Hand. Das ist spätestens aber dann vorbei, wenn Edogan danach schalten und walten kann wie er will.

Gravatar: Stephan Achner

Ob die Türkei tatsächlich die IS-Terroristen bekämpft, bezweifle ich. Das sind doch nur Lügen von Erdogan & Co., um die militärischen Einsätze gegenüber den Kurden zu verstecken. Genauso wird es eine Lüge sein, dass man nur PKK-Stellungen angreift. Es wird in der Presse immer fein säuberlich zwischen kurdischen YPG-Stellungen und PKK-Stellungen unterschieden. Das kann man doch in der syrischen Realität der bewaffneten Kämpfe gar nicht unterscheiden. Es gibt keine guten Kurden und bösen Kurden. Das ist wieder einmal der typische Quark, um die westlichen Seelen zu beruhigen. Die Kurden wollen nur eines: Politische Unabhängigkeit, Autonomie und einen eigenen Staat. Also Selbstbestimmungsrecht eines Volkes nach der UN-Charta. Was kann daran falsch sein?

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