Wenn »Tugend­terror« über Meinungs­freiheit siegt

Thilo Sarrazin im Berliner Hayek-Club

Politik und Medien werden immer mehr von einer Gleichheitsideologie erfaßt, die sich über die Meinungsfreiheit stellt, stellt Thilo Sarrazin im Berliner Hayek-Club fest. Eigene Erfahrungen haben zu seinem aktuellen Werk über den »Tugendterror« geführt.

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Daß ein langjähriger Sozialdemokrat als Redner in einem liberalen Gesprächskreis wie den Hayek-Club auftaucht, ist nicht alltäglich, aber kommt vor. Das gilt insbesondere in Zeiten, wo man eine wirklich liberale Partei in Deutschland vermißt und Liberale, die es auch immer in anderen Parteien gab, rar gesät sind. Einen, der freiheitliche Positionen als SPD-Mitglied nach außen trägt, hätte das eigene Führungspersonal der Partei am liebsten entsorgt. Diese scheiterte aber mit dem Versuch eines Ausschlußverfahrens kläglich, weil die zugrunde gelegten Vorwürfe vor dem Parteigericht als haltlos und mit der innerparteilichen Meinungsfreiheit als kompatibel erschienen. Am 11. Juni weilte das ‚Enfant terrible der SPD‘ Thilo Sarrazin beim Hayek-Club in Berlin und das Publikum war überaus groß. Nur ein Teil der Anmeldungen fand bei den begrenzten räumlichen Kapazitäten in Berlin-Mitte Platz.

Das Thema des Abends mit dem Ex-Finanzsenator und Ex-Bundesbanker Thilo Sarrazin, welcher als einer der derzeit „mutigsten und unabhängigsten Geister Deutschlands“ eingangs vorgestellt wurde, lautete „Der neue Tugendterror: Über die Grenzen der Meinungsfreiheit in Deutschland“. Damit stand auch klar sein neues Buch zum „Tugendterror“ im Mittelpunkt. Diesem lagen die Erfahrungen mit seinem ersten Druckwerk „Deutschland schafft sich ab“ und die anschließende Debatte zugrunde, in deren Zug er seine Tätigkeit als Vorstandsmitglied der Bundesbank aufgeben mußte. Einige Zeit hatte er das Werk zurückgestellt, zunächst sein nachfolgendes Buch über den Euro veröffentlicht. Sein Verlag war anfangs weniger erfreut war, nun ein „Befindlichkeitsbuch“ zu publizieren, welches vor allem auf Erlebnisse zu einem vorhergehenden Buch eingehen sollte.

Sarrazin beklagt, daß Journalisten in der Masse wenig selber lesen, außer die eigene Zeitung, oft schlecht inhaltlich über Sachverhalte informiert sind, viel voneinander abschreiben oder Artikel lediglich paraphrasieren, ohne dabei nachzudenken. Dieses hätte zu einem Gleichklang in den Medien geführt.

Die reißerische Auseinandersetzung um sein Buch hatte dazu geführt, sich stärker mit dem Thema Gleichheit zu beschäftigen. Das Land wäre von einer Gleichheitsideologie durchzogen. Dieses wäre das Ergebnis des immerwährenden Bedürfnisses des Menschen nach Sinn. Früher wurden Sinnlücken durch Religion geschlossen, später hätte die Naturwissenschaft bzw. Wissenschaft allgemein hier Einzug gehalten. Es sei dann nicht mehr das Jenseits oder Gott Ziel von allem gewesen, sondern die Gesellschaft allgemein. Ab dem 18. Jahrhundert trat verstärkt die Moralphilosophie auf den Plan, bis hin zu ersten sozialistischen Utopien, wie Rousseau.

Diese Sinnsuche sei nicht vorbei, trotz des Scheiterns unterschiedlicher Utopien. Dem Streben nach Gerechtigkeit wich dem der Gleichheit. Dabei wird Gleichheit oft falsch verstanden, sah es ursprünglich nur eine Gleichheit vor dem Recht vor. Es sei ein „marodierendes Gleichheitsbedürfnis“ entstanden, was über Maß strapaziert wird. Wer Gleichheit sich zum Ziel setzt, verneine radikal alles andere, was das in Frage stellt. Die Gleichheitsidee würde viele zusammenführen, sei es die Anhänger der katholischen Soziallehre, des Feminismus, der Schwulen- und Lesbenbewegung oder heimatlos gewordene Marxisten und Sozialisten. Einen fruchtbaren Boden würden diese bei den überwiegend links oder grün eingestellten Medienvertretern finden.

Dabei würde es vieles geben, was diese verordnete Gleichheit in Frage stellt, etwa unterschiedliche Intelligenz, Bildung, Geburtenraten und ähnliches, was Gegenstand seines ersten Buches war und von Medien und politisches Establishment als Angriff auf ihre Lehre verstanden wurde. Bis zu 80 Prozent der Wissenschaftler stellen nicht in Frage, daß Intelligenz zu großen Teilen erblich sei. Intelligenz stünde meistens in Korrelation mit beruflichem Erfolg, aber auch mit der Geburtenquote. Akademiker bekommen deutlich weniger Kinder als schlechter qualifizierte Menschen. Seinen Thesen dazu hätten eine kollektive Wut ausgelöst, bis dazu, daß man ihn in Nähe der Eugenik und des Rassismus verortet hätte, weil er solche Probleme ansprach.

Viele würden, ohne sich mit seinem Buch befaßt zu haben, den Kritikern folgen, weil der Mensch als soziales Wesen dazu geneigt wäre, mit seinem Umfeld zu harmonisieren. Daher gebe es eine Neigung zum Opportunismus und zur Anpassung. Man passe sich dem an, worin man eine Mehrheitsmeinung vermute. Dieses hätte Auswirkungen auf die Meinungsfreiheit. Ein passendes Werk dazu hätte schon vor Jahrzehnten Noelle-Neumann mit der Schweigespirale geliefert. Meinungsbildungen ergeben sich dabei aus kollektiven Prozessen, die alles andere als rational sind.

Gleichheit sei zur alleinigen Doktrin geworden. Alles, was mit Ungleichheit zu tun habe, sei zu verwerfen. Dazu gehörten auch gewisse Sekundärtugenden, weil diese Ungleichheit befördern. Wer etwas leiste, zementiere Ungleiches. Wer folglich reich sei, solle sich schlecht fühlen, es sei denn er ist Sportler. Da werde dieses allgemein toleriert.

Außen vor gelassen werde, daß Bildung und Erziehung auf menschliche Fähigkeit einen Einfluß hätten. Für die Gleichheitsapostel könne aber jeder alles lernen, selbst ein Kind mit Down-Syndrom hätte alle Möglichkeiten, wenn man es ausreichend fördere. Vorzugsweise müsse jeder heutzutage das Abitur erlangen mit der Einheitsnote 1. Auch an den Universitäten traue sich kein Professor mehr eine 4 oder 5 zu vergeben, weil er mit nachfolgenden Prozessen rechnen müsse. Dieses schraube das Lernniveau allgemein runter.

Angeborene Unterschiede werden negiert. Lehren, wie die eines Charles Darwin seien heute undenkbar in dem praktizierten Gleichheitswahn. Sarrazin wendet sich gegen diesen, was für einen Sozialdemokraten ungewöhnlich ist. Menschen würden nicht zwar vor dem Recht gleich geboren, aber nicht grundsätzlich in ihren Fähigkeiten. Für einige eine unangenehme These.

Nationalstolz spiele hierzulande keine Rolle, insbesondere wenn man aus Deutschland käme, denn Ziel sei die Weltgesellschaft. An den Problemen der Dritten Welt seien vor allem die Industrieländer schuld. Alle sollen zudem einen Anspruch auf soziale Grundsicherung haben, bis hin zu Hartz IV für alle Afrikaner. Kinder seinen hierzulande nur noch Privatsache, da Einwanderung alle Probleme löse.

Beim Schreiben seines letzten Buches hätte Sarrazin vor allem immer Claudia Roth vor Augen gehabt mit ihren aufgerissenen Kulleraugen und sich vorgestellt, wie diese aufschreien würde, wenn er dieses und jenes in Textform bringe.

Sarrazin gab letztlich einen Einblick in seinen früheren Alltag als Politiker wie auch als Bundesbanker. Er hätte bewußt den Ausstieg gewählt um mit der Tätigkeit bei der Bundesbank etwas Neues zu machen. Viel machen mußte er bei der Bundesbank nicht. Gelegentlich eine Sitzung, hier und da etwas unterschreiben, alles wurde von seinem Stab vorbereitet. Man hätte genug Zeit gehabt einen Bestseller zu schreiben.

Warnende Worte hält Sarrazin auch bereit. Verständnis habe er, wenn sich gerade jüngere Menschen in ihrer Meinung zurückhielten, um ihre beruflichen Chancen nicht zu gefährden. Dieses Problem sei immer wieder latent. Er habe sich auch lange zurückgehalten. Heute bekomme er drei Pensionen, könne sich dadurch frei äußern. Das sei ein Vorteil, den nicht alle hätten. Überlegen Sie sich was Sie wann, wo und wie sagen, brachte er zum Ausdruck.

Man muß nicht alle Positionen Sarrazins teilen, vieles basiert auf schlichtweg auf eine kühne Interpretation von Statistiken. Im Grundsatz kann Sarrazin bei vielem durchaus Recht geben. Die Menschen sind nicht so gleich wie es sich einige wünschen. Auch der Sozialismus scheiterte am Vorhaben entsprechend einen „neuen Menschen” zu formen. Jeder Mensch ist anders, ist einzigartig, hat eigene Fähigkeiten wie auch Begabungen und ist somit verschieden von anderen. Religion, Herkunft und Sozialisation würden nicht nur den Charakter beeinflussen.

Letztlich blieb ein interessanter wie anregungsreicher Abend mit einem gut aufgelegten Thilo Sarrazin, der seine Hypothesen zugespitzt wie humorvoll vorzutragen wußte und anschließend noch für Gespräche im kleineren Kreis zur Verfügung stand.

 

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Erich Fragen

Herr Sarrazin ist ein durch und durch verbitterter, böser und vorallem lebensferner Mann, der nicht weiß, wovon er schreibt. Die Welt, in der er lebt ist reich, abgehoben und hat mit dem normalen Volk nichts zu tun. Er benutzt die Gunst der Stunde, um seine verdeckt-rechtsextremistischen Thesen bonmotartig unter die Leute zu bringen. Damit vergiftet er das Klima der Menschen unter sich in Deutschland. Er beklagt die angebliche Gleichmacherei und bemerkt gar nicht, wie widersprüchlich diese These ist, weil er sich eigentlich gegen ein buntes ergo unterschiedliches Land mit gerade unterschiedlichen Menschen wehrt...er meint nur, daß er nich tuneingeschränkt seine antihumanistischen und unmenschlichen Theses herauströten dürfte....darf er ja.....aber muß sich dann der Kritik auch stellen. - Ich kenne das Umfeld Herrn Sarrazins..und es ist total abgehoben und eine reiche Parllelwelt, aus der er sehr zynisch ärmere Menschen und Mitbürger verunglimpft. Wie feige eigentlich.

Gravatar: Lukas Hauf

"...vieles basiert auf schlichtweg auf eine kühne Interpretation von Statistiken."

Ich verstehe nicht, warum Sie diesen Satz schreiben. Damit machen Sie doch mit einem Satz genau das, was alle anderen Medien auch tun. Aus Fakten Meinungen und aus Meinungen Fakten machen, nach dem Motto irgendwie hat Sarrazin dann doch nicht so ganz Recht.

Es ist ein Fakt, dass Intelligenz zu großen Teilen erblich und Muslime unterdurchschnittlich am Arbeitsmarkt partizipieren, um Sarrazins umstrittenste Punkte aufzugreifen. Wo sehen Sie denn da jetzt die "kühne Interpretation von Statistiken"?

Gravatar: P.Feldmann

Um nur einen Aspekt des hier Gesagten anzuleuchten und sprachlich etwas zu differenzieren: die hier beklagte "Gleichheit" ist eigentlich eine "Egalisierung=Gleichmacherei" (auch ich sehe Claudia Roth als moralisierenden Egalisierungs-Teddy hierbei vor Augen, denn sie hat alles, was dieses Projekt zum Scheitern verurteilt: Emblem ohne geistigen Gehalt).

Also: es geht nicht darum, die Gleichheit der Menschen zu leugnen! Es geht darum, eine Ideologie abzuwehren, die die individuelle und lebensgeschichtliche Verschiedenheit der Menschen einebnen will und die ihnen dadurch ihr Gesicht raubt.

Ganz evident ist dabei die Frage, WAS den Menschen den Grund ihrer Gleichheit gibt und WORIN sie gleich sind. Sie sind gleich in ihrer Ebenbildlichkeit zu Gott und darin liegt die Würde jedes Menschen (die ihm daher auch keiner aberkennen kann). Diese Gleichheit ist substanziell und nicht konventionell. Ein säkularer Ausfluss dieser Gleichheit ist die Gleichheit der Menschen vor dem Recht.
Nicht gleich sind die Einzelnen aber in ihren Fähigkeiten, ihren Wegen, ihren Bestrebungen und ihrem Denken und Fühlen! Wer hier gleichmachen will, der nivelliert mit dem Einzelnen das Vermögen des Menschen an sich. Genau dieses Problem sehe ich hier durch Sarazin gesellschaftlich angesprochen.

Gravatar: Uwe Meder

Es gibt eine Liebe, die Jeden verschieden sein laesst und den Anderen ertraegt. Wir sollen unseren Mitmenschen die Meinungsfreiheit und Glaubensfreiheit zugestehen.
Der Mensch neigt dazu, sich Anderen anzupassen. Diese Neigung birgt aber auch grosse Gefahren, weil der Mensch weder Schoepfer noch Retter ist, sondern in der Vergangenheit immer wieder schrecklich in die Irre lief, auch unter Missbrauch des Namens Christus. Oft diente und dient dieser Name als Tarnung, oder man sieht ihn als Teil des religioesen Staubes der Vergangenheit. Man begeht dabei einen grundlegenden Fehler, weil sich in diesem Namen die Loesung verbirgt: Die Befreiung des Menschen von seinem ausweglosen Selbst, durch seinen menschgewordenen Schoepfer.

Gravatar: albert

Verstehe nicht, warum gründet er die eigene Partei nicht? Erfolg garantiert.

Gravatar: Karin Weber

Ohne in das Detail zu gehen, aber der Gesamtfall Sarazzin und auch sein Besuch im Hayek-Club widerspiegeln nur, dass es mittlerweile Parallelgesellschaften in Deutschland gibt. Während die Politik noch glaubt, dass es noch 100 Jahre so weiter gehen wird, wissen Leute wie Herr Sarazzin längst, das es schon vorbei ist. Dieses Phänomen kenne ich noch aus den letzten Jahren der Ex-DDR. Man sollte einfach mal den Bürgern in Sachen Regierung/Politik eine Vertrauensabstimmung ermöglichen. Die politische Klasse ist sich des Ergebnisses einer solchen Umfrage ganz sicher bewusst.

Herr Sarazzin verdient absoluten Respekt. Gegen den Zeitgeist anzukämpfen und sich den Schmähungen der Altkader auszusetzen, ist ganz sicher nicht einfach zu verkraften. Da gehört sehr viel menschliche Stärke dazu.

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