War Jesus ein Kapitalist?

Robert Grözinger im Berliner Hayek-Club

Der Versuch des Autors Grözinger, die Bibel für den Liberalismus in Beschlag zu nehmen, ist umstritten. Sein Versuch, dem Sozialdemokratismus eine freiheitliche Alternative entgegenzusetzen, nicht.

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Auf die Frage, wer Jesus war, haben sich die unterschiedlichsten Leute die unterschiedlichsten Gedanken gemacht. Die Christen sagen: der Sohn Gottes. Die Atheisten: eine literarische Figur. Franz Alt: der neue Mann. Und so weiter. Robert Grözinger nun behauptet: Jesus war ein Kapitalist. Sein Buch, das den Untertitel »Das christliche Herz der Marktwirtschaft« trägt, stellte er im Berliner Hayek-Club vor.

Was Grözinger über Jesus und seine Legitimation des Kapitalismus zu sagen hatte, stieß bei den Teilnehmern indes mehrheitlich auf zum Teil scharfe Kritik. Jesus als Kapitalisten oder als Begründer des Kapitalismus zu lesen, sei unhistorisch und eine methodologische Katstrophe, sagte einer. Man dürfe nicht der Versuchung erliegen, dem häufigen Missbrauch von Jesus durch die Linke einen weiteren Missbrauch von der rechten Seite entgegenzusetzen, sagte ein anderer. Der Titel des Buches sei aber ohnehin falsch, weil es nur am Rande um die Figur Jesus‘ gehe, bemerkte ein dritter, und war merklich empört über diese mutmaßlich verlegerische Verstiegenheit.

Tatsächlich nahmen ganz andere Überlegungen den größten Raum in Grözingers Vortrag ein. Vor allem auf die Schriften des Ökonomen Gary Norths und des Soziologen Rodney Starks ging er ein. North betreibt biblische Exegese in wirtschaftlicher Perspektive, Stark untersucht die Moderne auf ihre christlichen Wurzeln. Auf ihren Schultern sitzend erläuterte Grözinger, wie die Christen durch das Ringen um ein Verstehen des göttlichen Heilplans, bei dem sie ihre Vernunft einsetzen, was als ihr Alleinstellungsmerkmal unter den monotheistischen Religionen sei, die Moderne mit ihren Errungenschaften wie Wissenschaft und Menschenrechten hervorgebracht hätten. Die Entstehung des Kapitalismus sei nur auf dieser Grundlage möglich gewesen; die christliche Theologie habe freiheitliches Wirtschaftsdenken ermöglicht, meinte Grözinger.

Eine Rückbesinnung auf christliche Werte, das heißt auf freiheitliches Denken, würde allen guttun, führt Grözinger weiter aus. Allerdings sieht es nicht so aus, als wäre die Botschaft in breite Bevölkerungsschichten durchgedrungen. Grözinger sieht hier die Schuld beim Liberalismus, der sich selber nicht genug kenne, und den Feind, das staatszentrierte Denken, ebensowenig. Nicht begriffen sei, dass jeder Mensch insofern religiös sei, als er sein Handeln an bestimmte Werte rückkoppele.

Vor diesem Hintergrund plädierte Grözinger dafür, christliche Theologie und freiheitliches Wirtschaftsdenken, das seit der Aufklärung voneinander getrennt sei, wieder zusammenzuführen. In modernen Gesellschaften dominierten – Grözinger folgte hier wieder North – »Machtreligionen« wie der Sozialdemokratismus, dem man eine »Herrrschaftsreligion«, die die einen transzendenten Gott kennt und sich deshalb der eigenen Beschränktheit bewusst ist, entgegensetzen sollte. Der Liberalismus indes agiere wie eine »Fluchtreligion«, bei der die Selbstrettung im Zentrum stehe.

Um sich gegen den Sozialdemokratismus mit seinen freiheitsfeindlichen Folgen zur Wehr zu setzen, müsste der Liberalismus nach Grözinger nicht mehr als Fluchtreligion auftreten. Er habe eine rationale Welterklärung, allerdings fehle ihm eine Vision, um sie den Menschen schmackhaft zu machen. Deshalb müsse man die Trennung von Christentum und Liberalismus überwinden – und das sei möglich, weil beides kompatibel sei. Wenn man die Bibel auf ihr freiheitliches Potential lese und für die Gegenwart fruchtbar mache, könne der Liberalismus auch eine Herrschaftsreligion werden und den anderen Herrschaftsreligionen Paroli bieten.

So bleibt das Fazit des Abends im Berliner Hayek-Club zwiegespalten. Einerseits ist die Stoßrichtung Grözingers plausibel: Der Liberalismus bietet im Moment keine Orientierung; er befindet sich als »Fluchtreligion« in der Defensive, auch weil er nicht weiß, dass er eine »Religion« ist. Stattdessen dominiert – unter verschiedenen Bezeichnungen – die »Herrschaftsreligion« Sozialismus, die zu bekämpfen ein wertvolles Ziel darstellen würde. Andererseits wurde nicht ausreichend diskutiert, wie der Kampf aufzunehmen wäre. Stattdessen ging es bei der Diskussion um die wirklich nicht überzeugende Anregung, der Bibel linken Bibellektüre eine rechte entgegenzusetzen. Das war zwar notwendig, aber letztlich nicht zielführend und an einem wichtigeren Problem vorbei diskutiert.

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