Rechtsexperte gegen Rüge Deutschlands durch UN-Komitee

Veröffentlicht:
von

Die Rüge Deutschlands durch das UN-Komitee zur Beseitigung der Rassendiskriminierung (CERD) wegen der Nichtverurteilung Thilo Sarrazins für seine in der Zeitschrift Lettre International gemachten Aussagen erfolgte nicht einstimmig. Ein Mitglied des Komitees, der Jura-Professor der Georgetown University Carlos Vazquez (Washington), gab ein abweichendes Gutachten zu Protokoll.

Zu der Rüge, die mit einem Ultimatum an die Bundesregierung verbunden ist, war es gekommen, weil der Türkische Bund in Berlin-Brandenburg (TBB) das Verfahren angestrengt hatte. Da die Berliner Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gegen Sarrazin eingestellt und ihr die Generalstaatsanwaltschaft die deshalb eingelegte Beschwerde zurückgewiesen hatte, wandte sich der TBB 2010 an CERD. CERD soll die Einhaltung des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form der Rassendiskriminierung (ICERD) überwachen. In dem Komitee sitzen 16 Experten, die von den Mitgliedsländern auf Zeit gewählt werden.

Das Komitee entsprach also letztlich dem Anliegen des TBB, der die Rüge als »historische Entscheidung« feierte. TBB-Sprecher Hilmi Kaya Turan fasste den Beschluss so zusammen: »Der CERD-Ausschuss hat festgestellt, dass die Äußerungen Herrn Sarrazins auf einem Gefühl rassischer Überlegenheit oder Rassenhass beruhen und Elemente der Aufstachelung zur Rassendiskriminierung enthalten. Der CERD-Ausschuss hat festgestellt, dass trotz vorhandener gesetzlicher Bestimmungen Umsetzung der Bestimmungen des Übereinkommens in der Bundesrepublik in der Praxis unzureichend ist. Der Ausschuss hat die Bundesrepublik aufgefordert, entsprechend zu handeln. Außerdem hat der Ausschuss implizit eine entsprechende Schulung der Staatsanwält_innen und Richter_innen empfohlen.«

Das Minderheitsvotum von Vazquez spricht allerdings eine ganz andere Sprache. Vazquez geht vor allem auf zwei Fragen ein: Erstens, sind die Äußerungen Sarrazins als rassistisch zu bewerten? Zweitens, hat der Staat seine Pflichten verletzt, weil Sarrazin sich nicht vor einem Gericht verantworten musste?

Rassistisch? Nein, sagt Vazquez. Zwar empfindet er Sarrazins Äußerungen als teilweise »borniert und beleidigend«, sie würden außerdem »hin und wieder verleumderische und beleidigende Sprache enthalten.« Aber deshalb sei Sarrazin noch lange kein Rassist. Vielmehr argumentiere er im Rahmen eines akzeptablen politischen und ökonomischen Diskurses, bei dem er nicht einzelne Bevölkerungsgruppen – zum Beispiel Türken oder Araber – zurücksetze oder beleidige.

Für Vazquez steht deshalb fest: »Diese Aussagen befürworten gleichwohl keine Diskriminierung auf der Basis von ›Rasse, Farbe, Herkunft oder nationaler oder ethnischer Zugehörigkeit‹. Darüber hinaus können sie nicht als ›Anstiftung‹ zur Diskriminierung verstanden werden.« Er folgert: »Sarrazin hat anscheinend nicht behauptet, dass die türkische Kultur oder die Türken als Nation oder ethnische Gruppe minderwertig sind. Stattdessen hat er anscheinend Behauptungen aufgestellt über den Einfluss verschiedener ökonomischer Strategien auf die Motivation türkischer Immigranten, sich zu integrieren und ökonomisch erfolgreich zu sein.«

Auch die Frage, ob der Staat die Aussagen Sarrazins strafrechtlich hätte verfolgen müssen – wenn sie denn rassistisch gewesen wären –, verneint Vazquez. Es gebe keine Verpflichtung des Staates, solche Aussagen strafrechtlich zu verfolgen, sondern der Staat habe stets die Möglichkeit, das zu tun oder zu unterlassen. Er könne und müsse bei dieser Entscheidung die Umstände berücksichtigen und überlegen, welche Folgen sich aus einer strafrechtlichen Verfolgung ergeben könnten. Bei strafrechtlichem Vorgehen gegen Meinungsäußerungen müsse der Staat nach den Kriterien der Notwendigkeit und der Verhältnismäßigkeit handeln. »Die Prüfung der Notwendigkeit ergibt, ob das Ziel der Einschränkung ›auch auf anderen Wegen erreicht werden kann, die nicht die Freiheit der Meinungsäußerung beschränken‹, und die Prüfung der Verhältnismäßigkeit ergibt, ob der Staat ›das am wenigsten zudringliche Instrument benutzt, das ihm zur Verfügung steht‹, mit dem er seine legitimen Ziele erreichen kann.«

Vazquez benennt auch den grundsätzlichen Konflikt bei strafrechtlichen Ermittlungen wegen des Verdachts auf so genannte Hass-Reden: Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist so zentral, dass man äußerst vorsichtig bei der Verfolgung nicht erwünschter Aussagen sein muss. »Selbst wenn die ›Verbreitung von Ideen, die auf rassischer Überlegenheit oder Hass beruhen‹, nicht durch das Recht auf die Meinungsfreiheit geschützt ist, folgt daraus nicht, dass die strafrechtliche Verfolgung solcher Verbreitung keine Risiken für die Meinungsfreiheit darstellen.« Denn es könnte sein, dass »ein aggressiver Ansatz zur Verfolgung Menschen davon abhalten kann, ihr Recht zur Ausübung der freien Rede auszuüben, die eigentlich geschützt ist.«

Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte
unterstützen Sie mit einer Spende unsere
unabhängige Berichterstattung.

Abonnieren Sie jetzt hier unseren Newsletter: Newsletter

Kommentare zum Artikel

Bitte beachten Sie beim Verfassen eines Kommentars die Regeln höflicher Kommunikation.

Keine Kommentare

Schreiben Sie einen Kommentar


(erforderlich)

Zum Anfang