Wenn das Medienkarussell kreist

Quote, Quote und immer an die Quote denken!

Rufmord als Mediengeschäft und eine harmonische Gemeinschaft der Lachenden und Feixenden.

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Die Meldung ging um die Welt: Formel I-Rekordweltmeister Schumacher war aus dem Koma erwacht und aus einer Spezialklinik zur weiteren Genesung in eine andere verlegt worden. In welche genau? Niemand weiß es – das Medienkarussell kreist trotzdem bis heute: auf der Suche nach der nächsten Meldung, gierig nach Informationen. Vor Wochen hatten „Journalisten“ sich verkleidet Zugang zur Klinik verschafft, um d a s Foto vom auf Leben und Tod liegenden Sportstar machen zu können! Selbst die bislang als zurückhaltend geltenden Öffentlich/Rechtlichen beteiligten sich an diesem Medienzirkus. Wieder stellt sich die Frage: wie weit darf die Presse gehen – wann beginnt die Verletzung der persönlichen Ehre? Und, so fragen z.B. Christian Schertz und Thomas Schuler in ihrem Buch, was geschieht mit Medienopfern – gerade auch, wenn sie keinen Promi-Bonus tragen müssen?

Operiert wird mit Halbwahrheiten und Erfindungen

Nicht nur für Medienprofis – auch für die alltäglichen Konsumenten ist unübersehbar, dass sich die Konkurrenzsituation im Medienmarkt immer weiter verschärft. Um die Aufmerksamkeit des Lesers oder Zuschauers zu erringen, muss das bisher Gezeigte immer wieder übertroffen werden. Schließlich tragen auch die veränderten Seh- und Lesegewohnheiten und die kurze Halbwertzeit von News dazu bei, dass die Reizschwelle immer höher klettert. Also wird zunehmend mit Gerüchten, Halbwahrheiten oder falschen Tatsachenbehauptungen operiert, werden die Eingriffe in die Privatsphäre von Prominenten immer schonungsloser. Zunehmend trifft es jedoch auch Menschen, die aus der Anonymität heraus ins mediale Rampenlicht gezerrt werden, etwa Verbrechens- oder Unglücksopfer. Und so ist es vom Rufmord mit Medienverstärkung nur ein kleiner Schritt zum Rufmord als Mediengeschäft. Gerichtliche und außergerichtliche Auseinandersetzungen von Personen mit Medien haben in den letzten Jahren deshalb drastisch zugenommen.

Rufmord vs. Medienkultur

Der Münchner Politikwissenschaftler und Buchautor Thomas Schuler hat 21 renommierten Medienjournalisten und Presserechtsexperten die Möglichkeit gegeben, sich in dem Buch „Rufmord und Medienopfer. Die Verletzung der persönlichen Ehre“ mit exemplarischen Fällen der Verletzung von Persönlichkeitsrechten zu beschäftigen. Die Beispiele zeigen die Mechanismen, die im Hintergrund wirken, und schildern nachdrücklich die zerstörerischen psychischen und sozialen Folgen für die Opfer. Darüber hinaus geben die fast zwei Dutzend Autoren rechtliche Orientierung, stellen Hilfsangebote für Medienopfer vor und unterbreiten konkrete Vorschläge für eine neue Medienkultur. Nicht zuletzt werden auch die Aktivitäten des Presserates kritisch geprüft, denn die Praxis des Rufmords hat nicht nur schwerwiegende Folgen für die Opfer, sondern für den Journalismus selbst.

Schlampige Recherchen führen zu Tragödien

Dr. Christian Schertz fungiert als einer der Autoren und zweiter Herausgeber. Der in Berlin arbeitende Medienanwalt unterrichtet Medienrecht an der Hochschule für Film und Fernsehen Potsdam-Babelsberg sowie der TU Dresden. „Gerüchte, Unterstellungen, gefälschte Bilder“, so der Anwalt, „bestimmen das Bild unserer derzeitigen Medienkultur.“ In unserer modernen Mediengesellschaft können mit gezielt gestreuten Gerüchten, aufgebauschten Nebensächlichkeiten oder schlampiger Recherche schnell das Ansehen und die Ehre eines Menschen verletzt oder gar zerstört werden. „Nach einer solchen Zeitungs- oder Fernsehkampagne ist der Ruf von Personen des öffentlichen Lebens oft derart beschädigt, dass ihnen wichtige Ämter nicht mehr angetragen werden, sie eine gesellschaftliche Ächtung erfahren.“, resümiert der Anwalt. „Aber auch zufällig Beteiligte bei Unfällen, Katastrophen oder Entführungen können unversehens ihre Privatheit verlieren und zu Opfern einer sensationslüsternen Darstellung werden.“

Menschen – zum Abschuss freigegeben

Ein besonderes Kapitel schlägt Roland Kirbach in: „Zum Abschuss freigegeben. Fernsehshows und ihre Opfer“ auf. Der „Zeit“- Redakteur beschäftigt sich mit der Analyse zum Verhalten der TV-Zuschauer. Hier geht es also nicht um die Medienberichterstattung selber, sondern um das Verhalten derjenigen, die an den wirklichen oder erfundenen Skandalen ihre Freude habe. Stefan Raab ist nach Thomas Gottschalk und Günter Jauch Deutschlands erfolgreichster TV-Moderator. Vor allem jüngere Zuschauer lieben seine pubertären Witze, seine Gags auf Kosten anderer. Die sächsische Hausfrau, deren Akzent Raab für sein Lied vom Maschendrahtzaun ausschlachtete oder die türkische Verkäuferin, die als Drogendealerin bezeichnet wurde, als sie mit der Schultüte ihrer Tochter zu sehen war: man muss sie als Opfer bezeichnen. Ihr Ruf ist ruiniert, sie mussten sich auf der Straße anpöbeln lassen, sich gar in psychiatrische Behandlung begeben. Der unter Mitwirkung von Thomas Assheuer recherchierte Beitrag beschreibt das Betriebsgeheimnis von Raabs Sendung so: Indem der Moderator ständig neue Opfer ausfindig macht und sie an den TV-Pranger stellt, versucht er ein Gemeinschaftsgefühl unter den Fernsehzuschauern zu stiften. In diesem Akt der emotionalen Entladung entsteht dann ein kollektives Wohlfühlklima - eine harmonische Gemeinschaft der Lachenden und Feixenden. So macht Raab Quote auf dem Rücken Unschuldiger. Und obwohl einzelne Medienkritiker dem Moderator immer wieder seinen Zynismus vorwerfen, die Betroffenen meist erfolgreich auf Schadensersatz klagen: die Gesellschaft hat sich längst an das televisionäre Mobbing gewöhnt.

Das System „Friedmann“

Gleichwohl ist, auch 30 Jahre nach den Enthüllungen eines Günter Wallraff, die Bild-Zeitung das Leitmedium des Rufmordes. Ohne die größte Tageszeitung Deutschlands ist eine Medienkampagne gegen eine Person, prominent oder nicht, kaum denkbar. Jedoch, so Andreas Förster von der Berliner Zeitung: Längst wird die Skandalisierung auch zu Manipulation und Desinformation benutzt, etwa wenn es darum geht, Vorgänge zu verschleiern und ihren tatsächlichen Hintergrund zu verbergen. Die Masse der Gesellschaft nimmt das weitgehend klaglos hin, sehnt sie sich doch nach einfachen, überschaubaren Erklärungsmustern. Durchschaubar gemacht wird dieses Muster am „Fall Friedmann“: „Ja, ich habe einen Fehler gemacht. Ich werde alle öffentlichen, gewählten Ämter, die ich bisher innehabe, jetzt zurückgeben.“ Damit war die „Geschichte“ eigentlich ausgestanden. Erstaunlich? Nein, so Förster, dahinter steckte ein System. Es ging eben nie n u r um den streitsüchtigen TV-Moderator und selbsternannten Vorzeige-Moralist. Seine Drogensucht blieb zwar im Gedächtnis, nicht jedoch sein Lustgewinn auf Kosten verschleppter osteuropäischer Frauen. Die anderen prominenten Kunden kamen auch deshalb völlig unbeschadet davon. Friedmann kannte das Spiel und seine Regeln. Deshalb gilt Friedmann heute auch als rehabilitiert.

Justitia – komplett blind

In mehreren Artikeln des Buches zeigt sich, dass nicht nur die Medien eine wichtige Rolle im Falle von Kampagnen spielen, sondern auch die Justiz. Wo sie keine klaren Grenzen setzt, wo sie die Hintergründe nicht hartnäckig genug aufzudecken versucht, entsteht eine Grauzone, in der sich die Wahrheit kaum in der öffentlichen Wahrnehmung durchsetzen kann. Das betrifft den Polizisten, der monatelang fälschlicherweise verdächtigt wurde, ein Exhibitionist zu sein, das betrifft den Talkshowmoderator, gegen den ein Prozess wegen sexueller Nötigung nie hätte eröffnet werden dürfen. Die Opfer können sich, selbst wenn sie offiziell rehabilitiert sind, nie sicher sein, dass nichts „hängen geblieben“ ist. Diese Unsicherheit werden sie ihr Lebtag nicht mehr loswerden - selbst, wenn sie Nobelpreisträger sind.

Günter Grass und die SS

„Ich hatte mich ja kriegsfreiwillig zur Marine gemeldet und landete dann bei der Waffen-SS...“, so das Zitat, das eine Kampagne einleitete, die zumindest in der deutschen Medienlandschaft ein Alleinstellungsmerkmal tragen dürfte. Die Meldung, Günter Grass sei bei der Waffen-SS gewesen, wurde von der Frankfurter Allgemeinen lanciert, besser gesagt: in Szene gesetzt anhand eines Interviews, das der Schriftsteller dem Blatt zu seinem neuen Buch gab. Dem Interview schrieb sie titularisch eine einzige Zielsetzung vor: „Warum ich nach sechzig Jahren mein Schweigen breche.“ Den Aufmacher konzentrierte sie auf das eine Detail, das sie zudem auf Platz eins, noch vor der Meldung zum Libanon-Krieg rangieren ließ. Der zugehörige Leitartikel „Das Geständnis“ fällte das zu erwartende Urteil, das zwar rhetorisch verkleidet war, aber im Klartext wohl lauten sollte: Der Ruf des Bürgers Grass sei durch Doppelmoral ruiniert. Und das obwohl die Meldung eigentlich gar keine war, denn Grass hatte nie verschwiegen, als junger Mann Sympathien für das NS-Regime gehegt zu haben - entfaltete sich im Sommer 2006 ein wahrer Sturm, der seriöse und weniger seriöse Medien erfasste.

Der Presserat versagt

Die Verletzung der persönlichen Ehre bringt Geld, macht Auflage und Quote, so das Fazit der Autoren des Sammelbandes „Rufmord und Medienopfer“. Der recherchierende Journalismus versagt als Kontrollinstanz, die Öffentlichkeit nimmt den Kollateralschaden an die in die Mühlen der Medien geratenen Opfer mehr oder weniger Schulter zuckend zur Kenntnis. Auch der Presserat, das Selbstkontrollorgan der Zeitungen, erweist sich als zahnloser Tiger. Für eine neue Medienkultur, die die Privatsphäre wieder respektiert, plädieren deshalb die Herausgeber Christian Schertz und Thomas Schuler und: Der Journalismus müsse sich endlich wieder auf die Tugend der gründlichen Recherche besinnen. Wahre Worte. Aber wie schrieb schon der Sprachkritiker Karl Kraus vor gut hundert Jahren über den „Sieg der Information über die Kultur“: „Um in solchen Schlachten zu bestehen, muss die Menschheit lernen, sich über den Journalismus zu informieren“.

Rufmord und Medienopfer. Die Verletzung der persönlichen Ehre“ Christian Schertz und Thomas Schuler (Hg.); 272 Seiten, Klappenbroschur; ISBN 978-3-86153-424-2; 19,90Euro

 

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Karin Weber

In Sachen "Medienkultur" hat Herr Mross von MMnews vor kurzem einen offenen Brief an einen Spiegel-Redakteur geschrieben. Ich denke, dass Herr Mross den Zustand der Medien doch ganz gut erfasst hat:

http://www.mmnews.de/index.php/politik/18465-spiegel-medienhuren

Über sinkende Auflagenzahlen muss sich keine Tageszeitung mehr wundern. Die Leute sind einfach satt von all den Lügen und Manipulationen. Man kann den Bürgern nicht in Zeitungen etwas erklären, von dem sie in der Realität sehen, dass es ganz anders ist.

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