Polizeieinsatz wegen Heimunterricht

Ein Großaufgebot von Polizisten und Sozialarbeitern hat einem Ehepaar die Kinder weggenommen. Ihr »Verbrechen«: Sie unterrichteten sie lieber zuhause als sie in eine Schule zu schicken.

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Es war ein Schock zu früher Stunde: Letzten Donnerstag um acht Uhr tauchten vor der Tür von Familie Wunderlich in Ober-Ramstadt rund 20 Polizisten und Sozialarbeiter auf und begehrten Einlass. Der Vater wollte durch die verschlossene Tür wissen, um was es geht, doch das dauerte den Vertretern der Obrigkeit zu lang: Sie schlugen die Tür ein, drangen in das Haus ein und nahmen die vier Kinder mit. Ein Abschiedskuss von der Mutter? »Dafür ist es zu spät«, beschied man ihr. Aber sie werde sie ohnehin »nicht so bald« wiedersehen.

»Die Polizisten schubsten mich auf einen Stuhl und hinderten mich daran, einen Telefonanruf zu machen«, erzählt Vater Dirk. »In dem ganzen Chaos sagten sie, sie hätten den Befehl erhalten, meine Kinder mitzunehmen. Sie drohten mir, mich bei der kleinsten Bewegung zu verhaften – als wäre ich ein Terrorist. Man kann es nicht für möglich halten, dass so etwas in unserem kleinen, friedlichen Dorf passieren kann. Es war wie eine Szene aus einem Science-Fiction-Film.« Auch Mutter Petra steht der Schrecken über die Behandlung durch die Behördenvertreter noch ins Gesicht geschrieben: »Wir sind leer. Wir brauchen Hilfe. Wir kämpfen, aber wir brauchen Hilfe«, sagte sie.

In der Tat, man glaubt es nicht: Dirk und Petra Wunderlich wird weder Terrorismus noch Kindesmisshandlung oder auch nur Vernachlässigung ihrer Kinder vorgeworfen. Allein ihre Weigerung, sie an eine Schule zu schicken, ihr Wunsch, sie lieber bei sich zu Hause zu unterrichten, hatte den Großeinsatz ausgelöst. Ob die Kinder in der Obhut ihrer Eltern gedeihen – was niemand bezweifelt hat – oder ob sie im Heimunterricht etwas lernen – was anzunehmen ist –, ist den Behörden egal. Sie wollen der Kinder habhaft werden, sie den Eltern entziehen. Es sieht so aus, als wollten sie ein Exempel statuieren.

Die Familie Wunderlich ist schon seit mehreren Jahren auf der Flucht. Sie ist durch mehrere Länder Europas gezogen, um sich staatlicher Bevormundung zu entziehen, um dann in die USA zu emigrieren. Allerdings gelang es den Eltern dort nicht, beruflich Fuß zu fassen, weshalb sie 2012 wieder nach Deutschland zurückkehrten und in der Nähe von Darmstadt niederließen.

Das Jugendamt verweist zur Begründung der rabiaten Maßnahme auf die Schulpflicht, der die Eltern Wunderlich nicht genügen wollten. In einer Erklärung heißt es: »Ausschlaggebend für die Unterbringung war, dass die Eltern sich weigerten, ihre Kinder zur Schule zu schicken. Die Eltern lehnen jegliches Schulsystem ab und wollten ihre Kinder selbst unterrichten. Es gibt aber die Schulpflicht, der sich Eltern nicht entziehen können. Es geht zudem nicht alleine um die Vermittlung von Bildung, sondern auch um das soziale Miteinander, das Auseinandersetzen mit anderen Ansichten und um das Heranwachsen von Persönlichkeiten in einer Gesellschaft.« Über die Zukunft der Familie sei noch nicht entschieden, aber inzwischen gebe es Bewegung in der Angelegenheit. Die Behörde prahlt: »Unser Jugendamt ist jetzt wieder mit den Eltern im Gespräch, bewegt hat sich also etwas!«

Nicht nur Familie Wunderlich ist auf der Flucht

Ähnliche Erfahrungen wie die Wunderlichs, denen in Deutschland gravierende Nachteile drohen, weil sie auf ihr Elternrecht pochen, haben auch andere Familien machen müssen. Bereits 2008 waren Hannelore und Uwe Romeike mit ihren fünf Kindern in die USA gezogen, wo sie 2010 politisches Asyl erhielten. Der Einwanderungsrichter Lawrence O. Burman sagte zur Begründung: »Eltern, die ihre Kinder zuhause unterrichten, sind eine spezielle soziale Gruppe, die die deutsche Regierung zu unterdrücken versucht. Diese Familie hat die gut begründete Sorge, Opfer staatlicher Verfolgung zu werden. Aus diesem Grund haben sie Anspruch auf Asyl, das ihnen das Gericht auch gewähren wird.« In der zweiten Instanz indes verlor die Familie wieder ihren Asylstatus. Der Board of Appeals, der dem Justizministerium untersteht, konnte keine Verfolgung erkennen, sondern nur eine Beeinträchtigung, die keinesfalls die Gewährung von Asyl rechtfertige.

Es gibt weitere Fälle. Experten gehen davon aus, dass in Deutschland 40 bis 80 Kinder aus weltanschaulichen Gründen nicht zur Schule gehen und stattdessen Hausunterricht erhalten. Man erfährt wenig in deutschen Medien über sie. Dazu muss man schon in ausländischen Zeitungen suchen.

Die Verfolgung von so genannten Homeschoolern hat in Deutschland Tradition – und zwar eine sehr ungute. Heimunterricht wurde 1938 verboten, um dem Staat einen besseren Zugriff auf die Kinder zu verschaffen, und das Verbot gilt, anders als in den meisten anderen europäischen Ländern, auch heute noch. Es sind inzwischen die Bundesländer, die diese Tradition weiterführen. Von Bildung, geschweige denn dem Recht darauf, ist dabei natürlich nicht die Rede. Es geht weiterhin vor allem darum, den Eltern ihre Kinder vorzuenthalten. Der CSU-Vorsitzende Erwin Huber sagte 2008 ganz ungeschminkt: »Sinn und Zweck der Schulpflicht ist nicht nur die Vermittlung von Lehrplaninhalten, sondern insbesondere auch die Schulung der Sozialkompetenz der Kinder.« Als ob die nicht genauso gut – oder vielleicht noch besser – zuhause erlernt werden könnte.

In Deutschland regt sich nur zaghaft Kritik an der Anwesenheitspflicht von Kindern an Schulen. So hat sich 2012 Ex-Bundesarbeits- und Sozialminister Norbert Blüm (CDU) für die Homeschooling-Bewegung stark gemacht. Er wandte sich anlässlich einer Konferenz »gegen die Monopolisierung der Erziehung durch den Staat und die faktische Abschaffung von Elternschaft« sowie gegen »eine totale Vereinnahmung durch den Schulbetrieb«, der geradezu »imperialistische Züge« trage.

Internationales Unverständnis über den deutschen Sonderweg

Doch einstweilen scheint es beim deutschen Sonderweg zu bleiben, auch wenn die Kritik daran schon weite Kreise zieht. Vor wenigen Jahren brachte der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Bildung das Thema auf die Tagesordnung. Vernor Muñoz Villalobos schrieb in seinem Bericht über seinen Deutschlandbesuch 2006 (PDF) unter anderem: »Nach den vorliegenden Informationen könnte es sein, dass in manchen Bundesländern Bildung ausschließlich als ›Schulbesuch‹ verstanden wird. Auch wenn der Sonderberichterstatter ein Verfechter der unentgeltlichen und obligatorischen öffentlichen Schule ist, muss daran erinnert werden, dass Bildung nicht auf ›school attendance‹ reduziert werden kann und stets auf das Wohl des Kindes ausgerichtet sein muss. Alternativen wie Fernunterricht und ›homeschooling‹ sind mögliche Optionen, die unter gewissen Umständen, die außergewöhnlich sein müssen, in Betracht kommen können, insbesondere wenn man berücksichtigt, dass nach Artikel 13 des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte Eltern das Recht zukommt, die angemessene Bildung für ihre Kinder zu bestimmen. Die Förderung und Stärkung des öffentlichen und staatlich finanzierten Bildungssystems darf nicht dazu führen, Modelle ohne physische Präsenz im Schulgebäude anzuprangern. In diesem Sinne wurden dem Sonderberichterstatter Klagen über Drohungen mit dem Entzug des elterlichen Sorgerechts zur Kenntnis gebracht, weil Kinder in ›homeschooling‹-Modellen unterrichtet werden.«

Die amerikanische Home School Legal Defense Association (HSLDA), die den Skandal publik gemacht hat, ist da weniger diplomatisch. »Deutschland ist zahlreichen Verträgen über die Menschenrechte beigetreten und hat das Recht der Eltern anerkannt, eine von öffentlichen Schulen abweichende Bildung zu vermitteln, die den religiösen Vorstellungen der Eltern entspricht. Deutschland hat schlichtweg nicht seine Verpflichtungen erfüllt, die aus diesen Verträgen erwachsen, geschweige denn als liberale Demokratie«, sagte Michael Farris, Geschäftsführer der HSLDA.

Anmerkung: Das Foto ist ein Symbolfoto. Es zeigt einen Einsatz der Berliner Polizei bei einer Demonstration.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Anne

"Auch radikale Islamisten könnten dann ihre Kinder zu Hause erziehen"...

So dachte ich auch.

Wie Frau Prasuhn weiter oben schreibt "...Auch sie brauchen den Nachweis, dass ihre Kinder bestimmte Leistungsansprüche erfüllen"

Das hat mich überzeugt!

Gravatar: geli

Zitat: "Es geht darum, auch zu lernen, sich mit anderen Menschen und deren Meinungen auseinanderzusetzen bzw. diese überhaupt erst kennenzulernen."
Ach, werte Katharina, tun Sie doch nicht so, als würden die Homeschooling-Kinder zu Hause angebunden und kriegten nichts von der Welt mit. Außerdem : Was sind denn das für tolle Einflüsse und Meinungen, die ihnen entgehen, wenn sie nicht die Schule besuchen?
Glauben Sie wirklich, Kinder von radikalen Islamisten würden von der Schule auf den rechten Weg gebracht?
Träumen Sie nur weiter vom segensreichen Einfluss der Schule. Eins ist den Schulkindern dort auf jeden Fall sicher: Auf immer niedrigerem Lernniveau erhalten sie einen Schulabschluss, damit nach außen wenigstens die Quote stimmt und nicht auffällt, wie jammervoll es in Deutschlands Schulen aussieht.
Meine Bewunderung gilt den Homeschooling-Eltern, die viele Mühen auf sich nehmen, um ihren Kindern noch eine anständige Bildung mitzugeben.

Gravatar: Katharina

"»Sinn und Zweck der Schulpflicht ist nicht nur die Vermittlung von Lehrplaninhalten, sondern insbesondere auch die Schulung der Sozialkompetenz der Kinder.« Als ob die nicht genauso gut – oder vielleicht noch besser – zuhause erlernt werden könnte." - Nein, kann sie nicht. Es geht darum, auch zu lernen, sich mit anderen Menschen und deren Meinungen auseinanderzusetzen bzw. diese überhaupt erst kennenzulernen. Wenn man immer nur die Eltern, Geschwister und einige handverlesene Verwandte und Freunde treffen darf (und diese Gefahr besteht bei allen radikalen Gruppen), lernst man nur sehr eingeschränkte Sozialkompetenz. Und von Entscheidungsfreiheit kann dann auch keine Rede mehr sein. Auch radikale Islamisten könnten dann ihre Kinder zu Hause erziehen, ihnen jeglichen Kontakt mit der Umwelt verwehren und sie so zu Dschihadisten erziehen. Das nur mal so als Denkanstoß.

Gravatar: Olli Schäfer

Na, dann wird es ja wohl höchste Zeit, seine Sachen zu packen und auszuwandern, wenn hier alles so furchtbar ist, dass man nicht mal seine Kinder entsprechend der geltenden Pflicht zur Schule schicken mag.
Warum sind Sie noch hier?

Gravatar: Anita Krüger

Liebe Familie Wunderlich,
mit Betroffenheit habe ich den Bericht über den gewaltsamen Eingriff in ihre Familie gelesen!
Vielleicht wäre mit Hilfe von Avaaz (Internetplattform auf der schon sehr sehr viele nationale und internationale Anliegen erfolgreich zu "Gehör" gebracht wurden) und einer Petition für ein faires Verfahren, oder einem anderen Anliegen, Unterstützung durch eine große Gemeinschaft möglich.
Alles Gute für Sie alle!!!

Gravatar: Ingrid

Erschreckend! Anders kann man das nicht nennen, was hier geschehen ist. Dagegen nimmt sich das Handeln der Nordrheinwestfälischen Kultusministeriums vor 1-2 Jahren, als dort erreicht wurde, dass Eltern die homeschooling machten und Strafen dafür nicht zahlten ins Gefängnis mussten geradezu harmlos aus! Natürlich ist es das nicht und ich war damals zutiefst schockiert über solche Maßnahmen, aber mit diesem Fall geht es noch auf eine ganz andere Ebene, denn so handelt ein totalitärer Staat, z.B. in der Sowjetuniongeschah es, dass christlichen Familien die Kinder weggenommen wurden.
IN anderen Ländern, ich las so etwas von Italien, werden Eltern für die Mühe die sie sich mit homeschooling machen belobigt und unterstützt, unsere Regierung sollte beim bekannten Niedergang (Pisastudie etc.) unserer Schulbildung schleunigst in solche Richtung gehen!

Gravatar: Karin Weber

Ich möchte zu Ihrem letzten Satz noch etwas anfügen:

Der Herr Sigmar Gabriel von der SPD hat letztens sogar von einer "Ganztagspflicht" gesprochen, umso Kindern, deren Eltern nicht bei den Hausaufgaben zu Hause helfen, Chancengleichheit einzuräumen. Kurzum: Wenn alle Kinder ihre Hausaufgaben in der Schule machen, dann hätten alle gleiche Ausgangsbedingungen. Die Hausaufgaben wollte man ja bereits in einer gesonderten PR-Aktion abschaffen. Mal ehrlich: Haben die nicht einen gewaltigen Knall?

Aber durch die Hintertür, subtil manipulierend und das eigentliche Ziel vernebelnd, bewegt man sich in Richtung "Entelterung" der Kinder. Genau darum geht es und dieses Ziel setzt man in kleinen Schritten kontinuierlich um. Man muss mal hinterfragen, warum die den Zugriff auf die "junge Generation" derart hoch verorten. Ich kann es sagen: Pol-Pot hat in Kampuchea binnen 4 Jahren fast die ganze Intelligenz ausgerottet und einen Agrarstaat errichten wollen. Mit dummen und ungebildeten Menschen wollte er eine neue (kommunistische) Gesellschaft schaffen. Bewegen wir uns mittlerweile - auch und vor allem mit der CDU - nicht längst wieder in Richtung "Sozialismus"?

Gravatar: Redaktion (oe)

Es handelt sich um ein Symbolfoto. Von dem Einsatz selbst gibt es kein Foto (zumindest ist mir keins bekannt).

Gravatar: Carsten

Berliner Polizisten beim Einsatz in Darmstadt? Die aktuellen Uniformen der hessischen Polizei sind blau. Und haben keinen Berliner Bären.
Irgendwas stimmt hier nicht. Lässt mich an der gesamten Schilderung zweifeln.

Gravatar: Karin Weber

@ Mister X
Zitat: "Und wer als die Polizei, soll die Gesetze letztendlich durchsetzen?"

Vielleicht lesen Sie sich doch erst mal hier etwas ein ....
http://www.t-online.de/nachrichten/panorama/kriminalitaet/id_65309412/duesseldorf-polizist-soll-mann-auf-wache-vergewaltigt-haben.html

Naja, vielleicht sollten wir als rot-grüne Gutmenschen doch etwas mehr Toleranz mitbringen:
http://www.berlin.de/polizei/praevention/homosexualitaet/
http://www.velspol.de/

.. sind ja diskriminierte Minderheiten. Wer solcherart Gefahren sicher umgehen will, macht vielleicht zukünftig eine Anzeige wegen Fahrraddiebstahl "online" oder "telefonisch".

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