Erdgas

Pipeline-Monopoly: Gas ist Gold

Katar am Persischen Golf und Aserbaidschan am Kaspischen Meer sind kleine Länder mit großen Erdgasvorkommen. Aktuell sind sie im Fokus des geostrategischen Machtspiels um Ressourcen und Pipelines.

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Wladimir Putin bezeichnete den Untergang der Sowjetunion als große Tragödie. Er verwies auf die Millionen Russen, die in den ehemaligen Sowjetrepubliken über Nacht zu Minderheiten wurden. Nun sieht sich die Russische Föderation als Schutzmacht dieser Minderheiten.

Doch vermutlich hatte er noch etwas anderes im Sinn. Denn das Riesenreich verlor nicht nur ein Drittel seiner Fläche und die Hälfte seiner Einwohner. Auch eine riesige Schatzkammer ging Moskau verloren: die rohstoffreichen Länder Zentralasiens.

Die Region rund um das Kaspische Meer ist reich an Erdöl und Erdgas. Ihr Ressourcenreichtum wird lediglich von der Region des Persischen Golfes übertroffen. Früher teilten sich die Sowjetunion und der Iran diese Ressourcen. Heute streiten sich Russland, Aserbaidschan, Iran, Turkmenistan und Kasachstan um die Förderrechte am Kaspischen Meer.

Aserbaidschan und Katar – zwei kleine Staaten am großen Gashahn

Zwischen ihnen liegen rund zweitausend Kilometer. Doch die beiden kleinen Staaten haben vieles gemeinsam. Beide sind muslimisch geprägt, liegen am Meer und haben viel Erdöl und Erdgas. Und beide sind Nachbarn des Iran – Aserbaidschan unmittelbar, bei Kater liegt noch der Golf dazwischen.

In Aserbaidschan ist die Bevölkerungsmehrheit muslimisch, davon sind rund 85 Prozent Schiiten, 15 Prozent Sunniten. Auch Katar hat eine muslimische Bevölkerungsmehrheit. Die wahabitisch-salafistische Auslegung des sunnitischen Islam ist Staatsreligion. Doch unter den Hunderttausenden Gastarbeitern gibt es auch viele schiitische Muslime und Hindus.

Katar und Aserbaidschan profitierten jahrzehntelang vom Erdölboom. Baku, die Hauptstadt Aserbaidschans und Hafenstadt am Kaspischen Meer, war einst die Erdölmetropole der Sowjetunion. Sie war einer der wichtigsten Energiezulieferer der sozialistischen Staatswirtschaft und im Zweiten Weltkrieg ein strategisches Ziel der deutschen Wehrmacht.

Katars Zeit als Erdölexporteur begann in den 1950er Jahren. Damals war es noch britisches Protektorat. Ausgebeutet wurden die Quellen von der Anglo-Iranian Oil Company, dem Vorgänger von British Petroleum. Katars Boom begann mit der Unabhängigkeit 1971 und der Verstaatlichung der Ölproduktion 1974.

Doch die Erdölförderung Katars lässt sich kaum noch steigern. Aserbaidschan hat sogar den „Peak“ überschritten. Das Ende des Ölbooms ist in beiden Länder abzusehen.

Deshalb investieren sie in den neuen Boom: Erdgas. Vor der Küste Katars liegt ein riesiges Erdgas-Gigantenfeld, das größte der Welt – eine wahre Geldblase unter dem Golf. Auch vor der Küste Aserbaidschans liegen zahlreiche große Erdgasfelder, die darauf warten, ausgebeutet zu werden.

Ein hungriger Hauptabnehmer steht schon in den Startlöchern: Europa. Die Europäische Union wünscht sich die Diversifikation des Gasimports, angeblich um weniger abhängig von Russland zu sein.

Wer am Gashahn ohne Gasleitung sitzt, hat ein Problem

Mehr noch als beim Erdöl ist man beim Erdgas auf Pipelines angewiesen. Hier liegt die Crux. Zwar kann man Erdgas auf LNG-Tankschiffen transportieren. Doch müsste das Gas zuvor unter Energieaufwand seien Aggregatzustand ändern, d.h. verflüssigt werden (LNG = „Liquefied Natural Gas“). Dann kann dieses Flüssiggas ähnlich wie Öl transportiert werden.

Dies ist nur dann ökonomisch, wenn der Transportweg lang genug ist, um preislich mit dem Gas aus Pipelines konkurrieren zu können. Solange die Abnehmerländer Erdgasstätten in geographischer Nähe haben, von denen der schnelle Transport via Pipeline erfolgt, ist der Export von Flüssiggas nicht rentabel.

Und genau hierin liegt der Vorteil Aserbaidschans gegenüber Katar. Die geographische Lage des kleinen Landes am Kaspischen Meer macht es zu einem energiewirtschaftlichen Partner Europas und Konkurrenten Russlands – vorausgesetzt, das Pipelinenetz zwischen Aserbaidschan und Europa wird komplettiert. Das hängt auch von der politischen Lage im Kaukasus ab.

Wie EU und Aserbaidschan Russland umgehen wollen

Russisches Gas oder aserbaidschanisches Gas? Die EU bevorzugt aus politischen und geostrategischen Gründen aserbaidschanisches Gas. Man will offensichtlich Russland umgehen. Wie das funktionieren soll, hängt von der Planung des Pipelinenetzes ab.

Russland und sein Energieriese Gazprom favorisieren den Bau der South-Stream-Pipeline. Diese soll direkt von Russland durchs Schwarze Meer nach Bulgarien und von dort durch den Balkan nach Österreich führen. Gazprom würde Gesellschafter dieses Pipeline-Konsortiums sein.

Doch die EU hat andere Pläne. Nachdem die Entwürfe zur Nabucco-Pipeline durch den Balkan abgelehnt wurden, hat man sich für den Bau der Transadriatischen Pipeline durch Griechenland und Albanien nach Italien entschieden, um dort an das bestehende Pipelinenetzwerk anzudocken.

Diese Pipeline ist als Fortsetzung der geplanten Transanatolischen Pipeline (TANAP) durch die Türkei gedacht, die wiederum an die bereits bestehende Südkaukasus-Pipeline anschließt. Auf diesem Wege kann das Erdgas von der aserbaidschanischen Küste direkt über die Türkei in das europäische Netz gepumpt werden, vollkommen unabhängig von Russland.

Vorraussetzung ist natürlich die politische Stabilität in Georgien, durch das die Südkaukasus-Pipeline führt. Sicherlich auch deshalb wird danach gestrebt, Georgien schnellstmöglich an die EU und NATO anzukoppeln, bevor Russland seinen dortigen Einfluss geltend macht.

Wer profitiert? Ob die Endverbraucher, also die EU-Bürger davon profitieren, hängt eher von den politischen Umständen ab, nämlich ob Brüssel und Moskau sich vertragen oder nicht. Profitieren würden natürlich die türkischen und internationalen Betreiber der Pipelines sowie die aserbaidschanischen Gasproduzenten am Kaspischen Meer und ihre internationalen Gesellschafter.

Vor allem ist dies im Sinne all jener politischen und wirtschaftlichen Kräfte in Europa und den USA, die Russland wirtschaftlich und politisch isoliert sehen möchten.

Wer verliert? Gazprom. Immerhin ist der russische Mineralölkonzern Lukoil noch an der Ausbeutung des großen Gasfeldes vor Aserbeidschan beteiligt. Somit wäre Russland nicht völlig aus dem Spiel. Doch im Vergleich zur South-Stream-Alternative ist das weniger als ein Trostpreis.

Katar liegt weit ab vom Schuss

Katar wünscht sich nichts sehnlicher, als mit seinen riesigen Erdgasreserven an das obig beschriebene Pipeline-Netzwerk anzudocken. Doch Katar hat zwei Probleme: Syrien und der Irak. Durch eines dieser Länder müsste die geplante „Qatar-Turkey-Pipeline“ führen.

Erst war es der syrische Diktator Baschar al-Assad, der unter dem Einfluss Russlands und Irans dem ganzen Vorhaben im Wege stand, nun sind es die Terrorgruppen des „Islamischen Staates“ (IS), die man in Katar zwar wegen ihres Glaubens (salafistische Sunniten) gutheißt, aber wegen der schrecklichen Terrormethoden offiziell ablehnt und nun im Verbund mit den USA und der internationalen „Koalition der Willigen“ bekämpfen muss.

Die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Lage in Syrien und im Irak in naher Zukunft beruhigt, dürfte gering sein. Somit haben sich gewisse Investoren in der Golfregion, die privat und geheim die islamistischen Rebellen in Syrien unterstützt haben, um Assad loszuwerden, ins eigene Knie geschossen.

Irans Doppelstrategie

Teheran kann mit seiner Unterstützung Baschar al-Assads, der im syrisch-libanesischen Grenzgebiet agierenden Hisbollah-Milizen und der Schiiten im Irak gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.

Zum einen wird der schiitische Halbmond, der gedachte geographische Bogen von Bahrain über Südirak, Iran, Aserbaidschan, Westsyrien und dem Libanon, gestärkt. Auf diese Weise wird auf dem Terrain des ideologisch-religiösen Kampfes der von den Golfstaaten unterstützten salafistischen Bewegung ein Schlag versetzt.

Zum anderen hat der Iran größere Chancen, sein eigenes Erdgas zu verkaufen. Denn der Iran hat große Erdgasfelder sowohl im Persischen Golf als auch am Kaspischen Meer. Auch ein Teil des großen Gasfeldes vor Katar überschneidet sich mit iranischen Gewässern. Somit ist der Iran das einzige Land, das an beiden Boomrevieren partizipiert.

Auf dem Landwege stünde dem Iran langfristig die Option offen, sich dem Gas-Netzwerk in Richtung Europa anzuschließen. Angedacht ist die „Iran-Iraq-Syria-Pipeline“, auch „Friendship-Pipeline“ genannt – vorausgesetzt, Baschar al-Assad bliebe an der Macht in Damaskus, ebenso die Schiiten in Bagdad. Alternativ kann der Iran zusammen mit Turkmenistan und Kasachstan dem Energiehunger Chinas entgegenkommen.

Damit sind die arabischen Golfstaaten wie Katar mit ihren Gasreserven klar im geographischen Nachteil. Eurasien könnte vorerst ohne sie auskommen. Oder sie machen es wie die USA und setzen zunächst auf LNG-Transportschiffe. Deshalb hat Katar riesige Gasverflüssigungsanlagen gebaut. Hauptnehmer sind Japan und Südkorea. Die Japaner und Südkoreaner sind bereit, mehr Geld für Energie auszugeben. Denn sie liegen, wie Katar, weit ab von allen großen Gas-Pipeline-Netzen.

Dank Öl und Gas – 1001 Nacht in Katar

Trotz aller geographischen Nachteile und aktuellen politischen Entwicklungen im Nahen und Mittleren Osten hat Katar keinen Grund zum Jammern. Um 1950 gab es auf der Wüstenhalbinsel von Katar gerade einmal 47.000 bitterarme Beduinen, Oasenbauern und Fischer. Heute gehört Katar, gemessen am Bruttoinlandsprodukt pro Kopf, zu den weltweit reichsten Ländern der Erde.

Doch erwirtschaftet wird dieses Bruttoinlandsprodukt hauptsächlich von rund 1,7 Millionen Gastaberbeitern und Ausländern. Die einheimischen Kataris zählen gerade mal 300.000 Personen.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: keinUntertan

Man muss die Routen und Quellen des Erdöls und Erdgases auf der Karte verfolgen und dann mit der Karte der Konflikte vergleichen. Dann sieht man in der Tat: Von der Ukraine bis Syrien, von Libyen bis Iran und Afghanistan-- die Völker, Rebellen und Armeen sind Schachfigugen in einem großen Strategiespiel. Doch in der Tagesschau wird davon nichts erzählt. Auch in der FAZ nicht.

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