Freie Wähler

Nolens volens nach Europa

Die Freien Wähler verstehen sich als eine kommunalpolitische Bewegung. Dies hält sie keineswegs davon ab, sich für das Europaparlament zu bewerben – durchaus mit Aussicht auf Erfolg.

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Wenn in einem Land rein gar nichts mehr geht, dann schlägt die Stunde der „parteilosen Experten“. In Italien werden sie in schöner Regelmäßigkeit mit der Regierungsbildung beauftragt. Auch in Griechenland haben sie auf dem Höhepunkt der Krise die Macht übernommen. Gleiches lässt sich über Bosnien berichten und über Tunesien und über viele andere Staaten in nah und fern. Meist kommen sie dann zum Zuge, wenn sich Linke und Rechte in den Parlamenten gegenseitig blockieren. Und ein entnervtes Staatsoberhaupt Heil und Rettung in der Überparteilichkeit sucht.

Grundsätzlich ist gegen solche Übergangskabinette nichts einzuwenden, sofern sie denn wirklich Fortschritt statt Stillstand bewirken. Und doch offenbart das Reden von den „parteilosen Experten“ eine Sicht, die merkwürdige Verbindungen zieht: Wer Experte ist, zeichnet sich demnach durch Parteilosigkeit aus. Und Parteilosigkeit legt den Schluss nahe, dass jemand Experte sein könnte.

Ein solches Urteil stellt die radikale Gegenposition zu jener Auffassung dar, die die etablierten Parteien auch in Deutschland gerne zur Schau stellen: Dort ergibt sich Qualifikation nämlich oft aus der Anzahl von Sitzungen, die in Parteivorständen und Fraktionsarbeitskreisen verbracht werden. Wer da genügend Stunden über sich ergehen lässt, dem stehen alle Posten und Ämter offen. Auch eine Berufung an die Spitze eines Ministeriums kann man sich so ersitzen. Ob man mit seinem Lebenslauf auch nur die leiseste Chance hätte, bei der Besetzung einer Referentenstelle im eigenen Haus in Betracht gezogen zu werden, spielt keine Rolle mehr. Entsprechend groß ist dann die Abhängigkeit eines solchen Behördenleiters vom jeweiligen Mitarbeiterstab. Klügere Minister fügen sich in dieses Schicksal. Weniger kluge versuchen ihm zu entfliehen und erleiden gnadenlos Schiffbruch.

Die Nichtpartei-Partei

Wie dem auch sei: Tatsächlich besteht zwischen Parteizugehörigkeit und Sach- und Fachkunde nicht der geringste Zusammenhang – weder ein positiver noch ein negativer. Doch die Bewegung der „Freien Wähler“ (FW) baut ihren Erfolg letzten Endes auf dem Vorurteil auf, dass „die anderen“ Politik für die Parteien machen, sie dagegen „allein für die Bürger“. Und mit diesem Selbstbild tritt man am 25. Mai auch zum zweiten Mal zur Europawahl an – durchaus mit nicht unerheblichen Erfolgschancen. Denn bereits beim ersten Versuch 2009 konnten die „Freien Wähler“ mit der schillernden Gabriele Pauli an der Spitze 1,7% der Stimmen für sich verbuchen. Für zwei Mandate hätte es ohne Prozenthürde schon damals gereicht. Daher rechnen sich die Spitzenkandidatin Ulrike Müller aus Bayern und ihre Nachrücker Wolf Achim Wiegand (Hamburg) und Manfred Petry (Rheinland-Pfalz) beste Aussichten auf Parlamentssitze aus.

Dabei ist es in Freiwählerkreisen keineswegs unumstritten, dass man sich überhaupt um solche Positionen bewirbt. Denn eigentlich versteht man sich ja als kommunalpolitische Bewegung. Und zudem auch gar nicht als Partei, sondern als losen Zusammenschluss unabhängiger Gruppierungen. Deshalb existieren bis heute eigenwillige Parallelstrukturen: Einerseits haben sich die „Freien Wähler“ auf Bundesebene als parteianaloge ‚Vereinigung‘ organisiert, sich andererseits aber auch einen ‚Verband‘ geschaffen, der eher einen Vereinscharakter aufweist. Vorsitzender beider Konstrukte ist in Personalunion Hubert Aiwanger, der dieselben Gliederungen auch noch einmal in Bayern führt und dort darüber hinaus Chef der Landtagsfraktion ist. Letztere existiert bereits seit dem Jahr 2008, als die „Freien Wähler“ erstmals in einem Bundesland den Sprung auf die Abgeordnetenbänke schafften.

Alles nur Verständnisfragen

Aiwanger ist auch die treibende Kraft hinter dem Versuch, sich bundesweit zu etablieren und nun neuerlich für das Europaparlament zu kandidieren. Dabei sah und sieht er sich starken inneren Widerständen ausgesetzt, und die Verbände in Baden-Württemberg und im Saarland strengten gar Gerichtsverfahren an, um das Projekt über das Vehikel des Namensrechts zu stoppen.

Und die Gegner des aiwanger’schen Expansionskurses haben durchaus gute Argumente auf ihrer Seite. Denn es ist nun mal ein Unterschied, ob man sich auf kommunaler Ebene für oder gegen eine Müllverbrennungsanlage stark macht oder ob man einen nationalen oder gar europaweiten Politikanspruch formulieren will.

Dieses Dilemma zieht sich auch durch die Programmaussagen der „Freien Wähler“ für den 25. Mai, die vor Gemeinplätzen nur so wimmeln: Man sei „unabhängig und wertkonservativ“, heißt es dort, und „zugleich auch bürgerlich-liberal“. In jedem Fall aber stelle man „den Menschen und sein Wohl in den Mittelpunkt“. Folgerichtig solle die EU auch „kein Europa der Bürokraten, sondern ein Europa der Bürger" sein, das zudem „vom Bürger aus gedacht werden“ müsse und „nicht von Lobbyisten“. Um deren Einfluss zu begrenzen, wollen die Freien Wähler „alle Termine mit Interessen- und Lobbygruppen transparent veröffentlichen“, was natürlich jeglicher Politikbeeinflussung einen strikten Riegel vorschiebt. Und wenn zudem auch noch „Entscheidungsprozesse und Mechanismen transparent“ gestaltet werden, dann können gewiss auch „die Menschen in unserer Heimat und den anderen Mitgliedsstaaten die politischen Vorgaben nachvollziehen und verstehen“, die die Europäische Union ihnen permanent aufdrängt. Sofern schließlich „Deutsch als weitere Arbeitssprache neben Englisch und Französisch europäische Politik in Deutschland verständlicher“ macht, wird Europa „näher an den Bürger rücken“ und „die Interessen der Bürger und Regionen nicht nur berücksichtigen, sondern tatsächlich als Grundlage für politische Entscheidungen heranziehen“.

Nur an wenigen Stellen werden die „Freien Wähler“ konkreter: Sie wollen „Schluss mit den Euro-Rettungsschirmen und der Schuldengemeinschaft“ machen, und den Krisenländern soll eine Rückkehr in ihre nationale Währung ermöglicht werden. Für alle Verbleibenden sieht man „einen stabilen Euro als Ziel“. Ferner engagieren sich die „Freien Wähler“ gegen das europäisch-amerikanische Freihandelsabkommen TTIP, wettern gegen die grüne Gentechnik, machen sich für Volksabstimmungen auf europäischer Ebene stark und verlangen die Schließung der Parlamentsdependance in Straßburg. Die durch die „wegfallende Abgeordnetenpendelei“ eingesparte Summe, die man auf zweihundert Millionen Euro pro Jahr beziffert, soll „in den Europäischen Sozialfonds fließen“.

Und auch innerhalb des Parlaments deutet sich an, wohin die Reise gehen könnte, falls die „Freien Wähler“ künftig Abgeordnete stellen: So ist Spitzenkandidatin Ulrike Müller mittlerweile der Europäischen Demokratischen Partei beigetreten, in deren Fraktion sich die liberalen Kräfte Europas organisiert haben. Würden sich die potentiellen FW-Mandatare nach der Wahl einer solchen Gemeinschaft anschließen, wäre das zumindest ein gutes Zeichen. Denn um mal Klartext zu reden: Freie Wählergruppen haben oft ein gutes Image, weil sie als ungebunden und bürgernah gelten. Doch tatsächlich sind sie vielerorts ein Auffangbecken für Eigenbrötler und Querulanten, die sich in anderen Parteien nicht durchsetzen konnten. Auch in der Wählergemeinschaft inszenieren sie dann gern persönliche Kleinkriege, zersplittern sich auch untereinander und erscheinen nur noch sporadisch zu Sitzungen. Verlässliche Absprachen, die man in der Politik einfach braucht, sind mit ihnen kaum möglich. Abstimmungsergebnisse im Gemeinderat werden mehr und mehr zur Glückssache, und Kommunen dümpeln richtungslos vor sich hin. Ob das ein Modell für Europa ist, sollten sich freie Wähler gut überlegen.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Wolf Achim Wiegand

Realitätsfremder, als in diesem Artikel, kann man FREIE WÄHLER gar nicht beschreiben...

Ich als Zweitplazierter auf der FW-Bundesliste kann nur sagen, dass ich mit großer Begeisterung auf die greifbare neue Aufgabe im Europäischen Parlament zugehe! Gerade die Verankerung in den Kommunen gibt uns eine gute Voraussetzung, dem intransparenten Bürokratiedickicht in Brüssel eine geerdete Sichtweise entgegenzusetzen.

Dabei wissen wir uns mit unserem künftigen Partner, der "Europäischen Demokratische Partei" (EDP), in sehr guter Gesellschaft. Ihre führenden Köpfe François Bayrou (2007 als französischer Präsidentschaftskandidat Dritter) und Francesco Rutelli (Ex-Bürgermeister von Rom) treten u.a. für weniger Zentralismus ein - und genau das ist auch unser Ansatz.

Der Autor des obigen Artikels mag also beruhigt sein:

mit uns FREIE WÄHLER wird eine neue bereichernde Kraft in das Europaparlament einziehen, die gerade auch für Deutschland belebenden Frischwind bedeutet!

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