Nationalfeiertag ohne Volk

Am heutigen Feiertag gedenkt man der Vollendung der staatlichen Einheit Deutschlands. Doch es handelt sich um einen Feiertag der politischen Klasse. Für das Volk ist der 9. November wichtiger.

Foto: Daniela Silva / flickr.com / CC BY-NC-SA 2.0
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Mit dem heutigen Tage, dem 3. Oktober, wird aufs Neue der Beantwortung der so genannten Deutschen Frage gedacht: Am 3. Oktober 1990 wurde die Vereinigung der beiden deutschen Staaten vollzogen und die Einheit Deutschlands, um die vierzig Jahre lang gerungen wurde, wiedererlangt. Das ist Grund genug zu feiern. Grund genug aber auch zu fragen, warum es gerade dieser Tag sein musste.

Dass die Wiedervereinigung auf diesen Tag fiel, ist dem Gang der Ereignisse geschuldet. Am 9. November 1989 war die Mauer gefallen, woraufhin sich die DDR in rasantem Tempo auflöste. Sie implodierte, und daran konnte die Volkskammerwahl vom 18. März 1990 auch nichts mehr ändern. Die Zwei-plus-Vier-Verhandlungen hatten schon begonnen, der Vertrag wurde am 12. September 1990 unterzeichnet. Im Einigungsvertrag vom 31. August 1990 wurde der 3. Oktober als Tag des Beitritts der fünf wiedergegründeten ostdeutschen Bundesländer festgelegt.

Der Termin ihres Beitritts zur Bundesrepublik war zum einen dem Termin für die ersten gesamtdeutschen Wahlen geschuldet, die für den 2. Dezember 1990 angesetzt waren. Um den Bürgern der neuen Bundesländer die Teilnahme zu ermöglichen, musste eine achtwöchige Vorbereitungsfrist gegeben sein. Auf der anderen Seite wollte man mit dem Beitritt wenigstens bis zum 2. Oktober warten, weil an diesem Tag die Außenminister der KSZE-Staaten über das Ergebnis der Zwei-plus-Vier-Verhandlungen informiert werden sollten. Als erster Termin kam also der 3. Oktober in Frage, und so wurde es auch im Einigungsvertrag, der den Tag zum einzigen Bundesfeiertag erklärte, festgeschrieben.

Schon 1990 diskutierte man über den Termin für einen gemeinsamen Nationalfeiertag. Im Westen war es der 17. Juni gewesen, an dem des Aufstandes in der DDR im Jahr 1953 gedacht wurde, im Osten der 7. Oktober, der Tag der Gründung der DDR. Als möglicher neuer Gedenktag bot sich der 9. November an, weil hier das Aufbegehren der Bürger in der DDR seine wichtigste Folge zeitigte: den Fall der Berliner Mauer. An diesem Tag, mit diesem Ereignis war die Revolution nicht mehr aufzuhalten, das Ende der DDR war besiegelt. Denn wie hätte die SED die – durchaus auch durch Zufälle und Missgeschicke – erreichten Erfolg der Bürgerbewegung in der DDR wieder rückgängig machen sollen?

Es ist bedauerlich, dass man nicht den Mut hatte, den 9. November zum Tag der deutschen Einheit zu erklären. Dass er ein »schwieriger« Tag ist, ist klar: Am 9. November 1919 wurde in Berlin gleich zweimal die Republik ausgerufen, am 9. November 1923 wagten Hitler und Ludendorff in München den Putsch gegen die Republik und der 9. November 1938 markierte mit der »Reichspogromnacht« den Beginn einer neuen Phase der Judenverfolgung in Deutschland. Das sind viele Ereignisse ganz unterschiedlicher Art, die den Tag zu einem komplexen Gedenktag gemacht hätten – was aber Grund genug gewesen wäre, es zu tun.

Wegen dieser Mutlosigkeit ist der Tag der deutschen Einheit kein Tag, an dem eines Ereignisses gedacht wird, das vom Volk hervorgebracht wurde. Sondern dieser Tag bezieht sich auf einen bürokratischen Akt, einen Verwaltungsvorgang. Der ist zwar in seiner Bedeutung nicht gering zu schätzen, weil Demokratie sich nur in einem verlässlichen Rahmen entfalten kann, aber letztlich hat die »politische Klasse«, wie der Politikwissenschaftler Herfried Münkler meint, »den 9. November nicht besonders geliebt, sondern hat an die Stelle dessen den 3. Oktober lanciert, denn da konnten sie sich selber und ihre Leistungen in den Zwei-plus-vier-Gesprächen feiern.«

Münklers Behauptung ist plausibel, denn sie deckt sich mit den Erfahrungen politisch wacher Menschen. Wer je auf einem der offiziellen Feste zum Tag der deutschen Einheit gewesen ist, wird der sterile Charakter dieser Veranstaltungen nicht entgangen sein. Es gibt allerdings Grund zur Hoffnung. Münkler verweist auf die Macht der Bilder und Emotionen, die mit dem 9. November verbunden sind – positive wie negative –, die dazu führen werden, dass sich er sich als Nationalfeiertag der Herzen etablieren kann. »Insofern wird dieser Tag – egal, wann die politische Klasse feiert – dann doch der Bezugspunkt werden.« Zu wünschen wäre es.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Helene

Ja, das wäre schön. Hoffentlich wandert dann die "Offene Moschee" (die nun wirklich nicht zu diesem Tag paßt) nicht auch mit.

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