Lösungen für einen vernetzten Konflikt

Krieg in Syrien: Wie lange noch?

Krieg ohne Ende? Wie lange noch wird in der Krieg in Syrien andauern? Wie verworren ist mittlerweile die Lage dort?

Foto: lalalalalala2006 / flickr.com / CC BY ND 2.0
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Vier Jahre dauert der Bürgerkrieg in Syrien bereits. 2011 fing alles im Rahmen des Arabischen Frühlings an. Ein großer Teil der Syrer demonstrierte gegen Präsident Baschar al-Assad. Man hoffte, dass die Diktatoren des Nahen Ostens durch mehr oder weniger friedliche Revolutionen fallen, wie einst die kommunistischen Machthaber im ehemaligen Ostblock. Doch es kam anders. In Syrien brach der Bürgerkrieg aus.

Schreckliche Zwischenbilanz: Rund eine Viertelmillion Syrer sind ums Leben gekommen. Rund 11 bis 12 Millionen sind auf der Flucht. Etwa 4 Millionen haben das Land bereits verlassen, die meisten davon sind in die Türkei und in den Libanon geflohen. Minderheiten werden verfolgt. Chaos und Willkür überall. Die Infrastruktur ist zusammengebrochen. Viele Städte sind zerstört. Die Lage scheint hoffnungslos.

Wie lange wird der Konflikt noch andauern? Kann man das realistisch einschätzen? An welchen Anhaltspunkten kann man sich orientieren? Afghanistan und der Irak sind seit mehr drei Jahrzehnten von Krieg und Bürgerkrieg geprägt: Droht Syrien das gleiche Schicksal?

Das Problem in Syrien ist die Vielfalt der Kriegsparteien. Ist es im Nahen Osten schon schwierig, einen Ausgleich zwischen zwei Gruppen – wie etwa zwischen Israelis und Palästinenser oder Sunniten und Schiiten – herzustellen, wie soll es dann möglich sein, zwischen all den Volksgruppen, Minderheiten, Religionen und Konfessionen sowie unterschiedlichen Kriegsparteien zu vermitteln? Wie sieht überhaupt die aktuelle Verteilung der Kriegsparteien aus?

Von wem wird Assad derzeit noch unterstützt?

Das alte Regime des Assad wird nach wie vor von der regulären syrischen Armee getragen. Die Art und Weise, wie die radikalislamischen Rebellen mit gefangenen syrischen Soldaten der Regierungstruppen umgehen, lässt den Armeeangehörigen keine Wahl. Sie wissen, dass wenn sie verlieren oder in Gefangenschaft geraten, ihnen die Hinrichtung droht.

Die syrische Armee wird weiterhin unterstützt von ihren alawitischen und schiitischen Verbündeten. Das sind zum einen die Quds-Brigaden. Sie wurden vom Iran aus nach Syrien und in den Irak geschickt, um die dortigen Schiiten und Alawiten zu unterstützen.

Weitere Unterstützung bekommt Assad von den schiitischen Hisbollah-Milizen. Sie operieren vom Libanon aus und werden ebenfalls vom Iran unterstützt. Ebenso aus dem Libanon kommen die Einheiten der schiitischen Amal-Milizen.

Dann gibt es die alawitischen Schabiha-Truppen. Hierbei handelt es sich um paramilitärische Einheiten, die sehr Präsidententreu sind. Denn der Präsident ist Alawit.

Ebenfalls dem Präsidenten verbunden sind die Drusen in Syrien. Sie gehören zu den von den radikalsunnitischen IS-Milizen verfolgten religiösen Minderheiten. Am Krieg beteiligen sie sich mit Selbstverteidigungstruppen und mit den Milizen der drusischen Dschaisch al-Muwahhidin.

International ist Assad isoliert. Lediglich Russland, der Iran und Nordkorea halten noch zu ihm. Die Position Chinas ist unklar geworden. Jedenfalls scheint Peking nicht mehr voll hinter Assad zu stehen. Anfangs hatte China die Politik der Nichteinmischung gefordert und somit indirekt Assad den Rücken freizuhalten versucht.

Wer sind die „guten“ Gegner des Assad?

Die Gegner des Assad bilden keine einheitliche Front. Sie bekämpfen zum Teil Assad, aber auch zum Teil sich gegenseitig, da sie für unterschiedliche Ziele antreten.

Große Teile Mittelsyriens werden von der Freien Syrischen Armee (FSA) gehalten. Hierbei handelt es sich um sunnitische Bürgerwehren, die sich zu starken militärischen Einheiten zusammengeschlossen haben. Anfangs kämpften sie hauptsächlich gegen die Regierungstruppen. Mit der Zeit mussten sie gehäuft gegen die radikal-sunnitischen Extremisten des „Islamischen Staates“ (IS) und andere Fundamentalisten kämpfen. In vielen Gebieten Syriens sorgen sie für Ordnung und für den Schutz der Zivilbevölkerung.

Die Freie Syrische Armee (FSA) ist allerdings nur ein Oberbegriff, der viele, mehr oder weniger unabhängig operierende, Milizen umfasst. Wie viele Krieger die FSA noch hinter sich weiß, ist unklar. Vor einem Jahr waren es noch bis zu 50.000 Soldaten.

Eine weitere Oppositionstruppe, die ähnliche Ziele verfolgt wie die FSA, ist die sogenannte „Islamische Front“. Auch sie ist ein Zusammenschluss mehrerer kleinerer Milizen. Sie streben die Gründung eines islamischen Gottesstaates an, der allerdings auch die gemäßigten Kräfte miteinbeziehen will. So behaupten sie es zumindest. Die islamische Front kooperiert an einigen Orten mit der FSA und anderen Gruppen. Die Islamische Front besteht aus etwa 40.000 Bewaffneten.

Eine ganz andere Motivation haben die Kampfeinheiten der ethnischen und religiösen Minderheiten. Dazu gehören die Milizen der Kurden, wie die Kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG, rund 60.000 Soldaten). Die Kurden unterstützen den sogenannten Kurdischen Nationalrat, der für eine föderale Aufteilung Syriens ist, bei dem den Kurden weitgehende Autonomierechte zugesprochen werden sollen. Wie eng die Kurden zeitweise mit der FSA zusammengearbeitet haben und es zum Teil auch noch tun, zeigt die Dschabhat al-Akrad, eine kurdische Einheit, die innerhalb der FSA gegründet wurde.

Auch die Christen haben sich bewaffnet. Ihre stärkste Einheit ist die aramäisch-assyrische Miliz Sutoro. Die Christen kooperieren eng mit den Kurden, teilen sie doch das Schicksal der verfolgten Minderheiten.

All die oben genannte Kriegsparteien sollen, nach Auffassung der USA, die „Guten“ sein, die der Westen unterstützen soll. Tatsächlich kann sich der Westen am ehesten mit diesen Gruppen identifizieren, da sie weniger radikal sind als die IS-Terror-Milizen – aber dennoch gegen den Diktator Assad kämpfen. Doch sollte man sich nicht täuschen: Auf allen Seiten wird mit äußerster Härte vorgegangen. Außerdem gibt es in vielen Fragen erhebliche Interessensdifferenzen. Sollte Assad dereinst tatsächlich gestürzt werden, ist unklar, ob sich die Gruppen nicht gegenseitig bekämpfen werden.

Besonders problematisch sind die Gruppen der sogenannten „Islamischen Front“. Denn hier öffnet sich die Grauzone der vielen Einzelpersonen und Gruppen, die hin und wieder die Seiten wechseln. So gibt es beispielsweise auch die „Kurdisch-Islamische Front“. Das sind Kurden, die gegen Assad, aber auch gegen die anderen Kurden der Kurdischen Volksverteidigungseinheiten kämpfen. Der Grund: Sie wollen wie die arabischen Glaubensbrüder einen Gottesstaat errichten.

Wer sind die „bösen“ Gegner des Assad?

Der Osten Syriens und der Nordwesten des Irak werden größtenteils vom sogenannten „Islamischen Staat“ (IS) kontrolliert. Sie sind gegen alle, die nicht für einen reinen islamisch-sunnitischen Gottesstaat salafistischer Ausprägung mitstreiten. Sie verfolgen alle religiösen Minderheiten und zerstören Kulturgüter. Unterstützt werden die IS-Milizen von freiwilligen Dschihadisten (Gotteskrieger) aus aller Welt. Darunter sind viele Freiwillige aus dem Maghreb (Marokko, Algerien, Tunesien), aus Libyen, Ägypten (viele ehemalige Muslimbrüder) und sogar Tschetschenien. Aber auch Muslime aus Europa und Amerika sind nach Syrien gekommen, um sich dem IS anzuschließen.

Wie viele Krieger auf der Seite des IS in Syrien und im Irak kämpfen, ist unklar. Die Schätzungen reichen von 20.000 bis 100.000. Ihr brutales und unerschrockenes Vorgehen macht sie unberechenbar, da sich vor nichts zurückschrecken.

Al-Qaida ist mit der Al-Nusra-Front vertreten. Dies sind weniger als 10.000 Dschihadisten, die wie der IS für einen salafistisch-sunnitischen Gottesstaat kämpfen. Die Verbindungen zwischen Al-Nusra und IS sind fließend und wechselhaft. Mal agieren sie als Verbündete, mal als Konkurrenten. Sowohl die Al-Nusra-Front als auch der IS werden durch illegale private Geldquellen aus den konservativen arabischen Golfstaaten unterstützt.

Und wie soll eine Friedensordnung ins Bürgerkriegschaos gebracht werden?

Die Aufzählung der größeren Gruppen beinhaltet noch nicht die kleinen Splittergruppen und freien Volksverteidigungsmilizen. Damit ist die Komplexität des Konfliktes klar. Es dürfte unmöglich sein, all diese unterschiedlichen Parteien an einen Verhandlungstisch zu bringen. Die Positionen der einzelnen Gruppen sind nicht verhandelbar. Assad wird niemals die offizielle territoriale Souveränität des syrischen Staates aufgeben wollen, er steht längst mit dem Rücken zur Wand und kämpft um sein Überleben. Die radikalen Sunniten sind keine Verhandlungspartner, weil ihre Bild vom Gottesstaat nicht realisierbar ist, ohne die Minderheiten zu unterdrücken. Die Minderheiten wiederum wissen, dass jedes Nachgeben ihre Existenz kosten kann.

Um Syrien den Frieden zu bringen, bräuchte es einen Friedensplan. Doch der existiert nicht. Niemand hat bisher einen überzeugenden Plan vorlegen können, wie der Konflikt beendet werden könnte. Denn das Primärziel der meisten umliegenden Länder ist nicht der Frieden in Syrien, sondern die Verhinderung des schlimmeren Übels.

Wie sind ausländische Staaten involviert?

Der Iran will Assad stützen, weil dieser seit vielen Jahrzehnten ein wichtiger Verbündeter ist. Daher wird aus es dem Iran auch weiterhin Unterstützung geben.

Die Türkei will Assad loswerden. Gleichzeitig will man die Kurden in Schach halten. Die radikalen Sunniten hielt man lange Zeit für das geringere Übel. Diese Position wird neuerdings überdacht. Ein konsequentes Eingreifen zugunsten der einen oder andere Partei ist von der Türkei aber nicht zu erwarten, eher symbolische Taten, um den USA beizustehen.

Die USA wollen gleichzeitig Assad und den IS loswerden. Dabei wollen sie aber keine eigenen Bodentruppen einsetzen, um kein weiteres Szenario wie im Irak und in Afghanistan zu erleben. Daher beschränken sie sich auf Luftangriffe, Drohnenattacken und militärische Unterstützung der „gemäßigten“ FSA und der Kurden.

Israel will vor allen Dingen die eigene Sicherheit schützen. Die Hauptgegner Israels sind das Regime des Assad und die schiitischen Hisbollah sowie, hinter all jenen stehend, der Iran.

Die Golfstaaten – allen voran Saudi-Arabien und Katar – wollen vor allem Assad beseitigen und den Einfluss des Iran auf das Geschehen unterbinden. Die Regierungen der arabischen Golfstaaten haben weitaus mehr Angst vor schiitischen Milizen als vor Al-Qaida und dem IS. Daher ist ihr Vorgehen gegen den IS im Rahmen der internationalen Anti-Terror-Allianz sehr halbherzig. Andererseits werden die Ideen des IS gefürchtet. Es gibt in Saudi-Arabien und den kleinen Golfstaaten viele heimliche Bewunderer des IS. Die Regierungen befürchten oppositionelle Gedanken und die Gefahr, dass die Monarchien zugunsten eines islamischen Gottesstaates gestürzt werden könnten.

Gibt es wirklich keine schnelle Lösung?

Fazit: Der Konflikt in Syrien wird anhalten. Es ist keine praktikable Lösung in Aussicht. Die Vernetzung des syrischen Konfliktes mit den anderen Konflikten im Nahen Osten macht die Situation umso aussichtsloser.

Es gibt allerdings eine Möglichkeit, das Morden, Zerstören und die Vertreibung der Bevölkerung einzudämmen. Doch dazu müsste man die territoriale Integrität des formal noch bestehenden syrischen Staates verletzen.

Die Möglichkeit ist, mittels Bodentruppen Syrien aufzuspalten und somit die Kriegsparteien topografisch zu trennen. Hierzu wäre allerdings ein erhebliches militärisches Engagement des Westens nötig. Dazu wird es nicht kommen. Eher werden die Türkei und der Westen versuchen, den Konflikt regional zu isolieren, damit er nicht auf weitere Länder übergreift.

Als nüchterne Bilanz bleibt, dass sich der Krieg in Syrien auf allen Seiten bis zur Erschöpfung fortsetzen wird. Millionen Menschen bleibt dann nur die Flucht übrig, wenn sie ihr Leben und das ihrer Familie retten wollen, wobei sie selbst bei der Flucht ihr Leben aufs Spiel setzen müssen.

( Schlagwort: GeoAußenPolitik )

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: H.von Bugenhagen

Na ist denn das..

Ein Flächenbrand wäre die Lösung und Syrien könnte neu aufgebaut werden als BRD GmbH-OST
und alle dort aus BRD West Steuertopf mit Hartz 4 versorgen...wir schaffen das,,

Gravatar: Peter

Theoretisch könnten also 5-10 Mio. Syrer nach Europa fliehen. Die meisten wollen nach Deutschland und Skandinavien.

Hier geht der Konflikt dann auf den Straßen weiter, weil alle ethnischen und religiösen Konfliktparteien wie Türken, Kurden, Sunniten, Schiiten, Alawiten, Jesiden usw. auch schon zahlreich eingewandert sind.

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