Theresa May

Konkurrenz für Merkel: Die neue britische Premierministerin

Was ist von der neuen Premierministerin zu halten? Nach Margaret Thatcher ist sie die zweite Frau, die in Downing Street No. 10 einzieht. Sie hat schon jetzt für einige Überraschungen gesorgt.

By Andrew Burdett (Transferred from en.wikipedia) [CC BY 3.0], via Wikimedia Commons
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Die konservative Tory-Politikerin Theresa May, 59 Jahre alt, ist neue britische Premierministerin geworden. Nachdem der prominente Brexit-Vorkämpfer Michael Gove zunächst seinen langjährigen Verbündeten Boris Johnson als Kandidat für die Downing Street ausmanövriert hatte und dann sich selbst ins politische Abseits beförderte, blieb Frau May als einzige Kandidatin übrig. Der geschmeidige und eloquente Tory-Abgeordnete Jacob Rees-Mogg hatte bereits zuvor angekündigt, auf die Kandidatur zu verzichten.

Nigel Farage, der UKIP-Kandidat, hätte bis zu nächsten Wahl warten müssen. Doch er hat bereits öffentlich das Ende seiner politischen Laufbahn angekündigt. Er will Privatier werden. Die zukünftige Rolle der UKIP-Partei ist ungewiss, weil sie einen Teil ihrer Agenda und Existenzbegründung verloren hat. Denn ihr Ziel war der Brexit. Dieses Ziel ist nun erreicht.

May neben Merkel mächtigste Frau Europas

Somit ist Theresa May neben Angela Merkel die mächtigste Frau Europas geworden. Es werden bereits Vergleiche gezogen: „Mrs Europa gegen Mrs Brexit.“ Beide entstammen der Generation der 1950er Jahre, beide sind kinderlos, beide sind konservativ, beide sind Pfarrerstöchter. Falls dann noch Hillary Clinton hinzukommen sollte, wird es spannend, wie die mächtigsten Damen der Welt miteinander auskommen werden.

Bereits zu Beginn hat Theresa May für eine Überraschung gesorgt. Nach ihrer Ernennung und ihrem obligatorischen Besuch bei der Queen hat sie bereits erste Personalentscheidungen bekanntgegeben. Ihr neuer Außenminister wird der Brexit-Vorkämpfer und ehemalige Londoner Oberbürgermeister Boris Johnson. Auch mit ihm wir die EU verhandeln müssen.

Vor dem Brexit war Theresa May eine Vertreterin der Kampagne für den Verbleib in der EU. Doch man solle sich nicht täuschen.

Theresa May hat bereits am Tage der Ankündigung ihrer Kandidatur für das Amt des Premierministers vor der versammelten Presse klar und deutlich gemacht: „Brexit means Brexit“. Es gebe kein zweites Referendum und keinen Wiedereintritt in die EU durch die Hintertür. „The country voted to leave the European Union. And it is the duty of the government and parliament to make sure we do just that.” – “Das Land entschied sich, die Europäischen Union zu verlassen. Und es ist die Pflicht der Regierung und des Parlaments genau dies zu tun.“ Klare Worte, klarer Kurs.

Außerdem machte sie deutlich, dass der Austritt aus der EU nach Artikel 50 des EU-Vertrages (Austrittsklausel) erst dann beantragt wird, wenn man sich auf eine klare Austritts- und Verhandlungsstrategie geeinigt hat. Und das werde, so May, nicht vor Ende des Jahres passieren. Mit Blick auf Brüssel hat sie in ihrer Rede kristallklar Standpunkt bezogen: Man werden sich nicht unter Zeitdruck setzen lassen, sondern jeden einzelnen Schritt gründlich vorbereiten, um Großbritannien langsam aber überlegt und sicher von der EU zu lösen. Für diesen Prozess wird eigens ein neues „Government Department“ eingerichtet werden, dessen Aufgabe es ausschließlich ist, den Weg Großbritanniens aus der EU zu erarbeiten.

Die Presse rätselt: Was ist von Theresa May zu erwarten? Wie soll man sie einordnen?

Die FAZ sieht Theresa May auf den Spuren des Ludwig Erhard. Marcus Theurer schrieb in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, er könne eine Parallele zu Ludwig Erhard erkennen. Ihr Slogan „An economy that works for everyone“ erinnere, so argumentiert Theuerer, an Erhards „Wohlstand für alle“. Theresa May wisse, dass sich in kaum einem anderen Industrieland „die Einkommensschere zwischen Gewinnern und Verlierern so weit geöffnet“ habe wie in Großbritannien, schrieb Marcus Theurer in der FAZ. Frau May habe bereits klar gemacht, dass sie das Referendum nicht nur als Votum gegen die EU, sondern auch als Ausdruck des Wunsches nach Veränderung verstanden habe.

Zu einer recht seltsamen Einschätzung ist Vanessa Vu in der ZEIT gelangt. In ihrem Artikel „Rechts oben“ konstruiert sie einen Zusammenhang zu den europäischen Spitzenpolitikerinnen der konservativen und rechtspopulistischen Parteien. Anstatt die neue britische Premierministerin als künftige Verhandlungspartnerin gegenüber Angela Merkel und vielleicht Hillary Clinton zu betrachten, werden Vergleiche zu Marine Le Pen (Front National in Frankreich), Siv Jensen (norwegische Finanzministerin und Vorsitzende der Fortschrittspartei), Pia Merete Kjærsgaard (Vorsitzende der dänischen Dansk „Folkeparti“) herangezogen. Auch einen Vergleich mit den Spitzenfrauen der AfD, Frauke Petry und Beatrix von Storch, scheute sie nicht. Hätte Frau Vu den Bogen etwas weiter gespannt, hätte sie feststellen müssen, dass dies nichts mit einer bestimmten politischen Richtung oder Konservatismus per se zu tun hat, sondern mit der Tatsache, dass Frauen allgemein in der Politik ebenso prominent vertreten sind wie Männer. Das trifft auf alle politischen Richtungen und Parteien zu, auch in Deutschland, von Frau von der Leyen bis zu Sahra Wagenknecht. Doch Vanessa Vu sieht das Ganze aus der Gender-Brille: „Wenn Männer also Chaos gestiftet haben […], dann müssen Trümmerfrauen her.“

Sascha Zistral, ebenfalls in der ZEIT, ist zu einer anderen Schlussfolgerung gekommen. Er hält Theresa May eher für eine „Unberechenbare“. Immerhin hatte sie vor dem Referendum für den Verbleib Großbritanniens in der EU geworben. Nun muss sie die Brexit-Bedingungen aushandeln. Obwohl sie als konservativer und wirtschaftsliberaler Hardliner bekannt ist, hat sie neuerdings Zeit viele soziale Töne angeschlagen. Sie wolle die Probleme der Wohnungsnot, der Steuerflucht durch Unternehmen und der sozialen Ungerechtigkeit angehen und sich für mehr Arbeitnehmerrechte einsetzen. Theresa May scheint also nicht in die Fußstapfen der Margaret Thatcher zu treten.

Berufsleben der Theresa May: Oxford und Bank of England waren ihre Stationen

Die Pfarrerstochter May stammt aus dem südenglischen Sussex. Dort wurde sie 1956 in der Küstenstadt Eastbourne geboren. Sie blieb das einzige Kind der Familie. Nach ihrer Schulzeit an verschiedenen öffentlichen und kirchlichen Schulen hatte sie sich an der University of Oxford eingeschrieben. Dort erwarb sie am St. Hugh’s College ihren Bachelor-Abschluss im Fach Geographie.

Ihre berufliche Laufbahn führte sie zunächst in den Finanzsektor. Ihr erster Arbeitgeber war die Bank of England. Dann arbeitete sie für die Association for Payment Clearing Services im internationalen Finanz-Dienstleistungs-Bereich. Anschließend ging sie in die Politik. Ihr erster Wirkungsbereich war der Londoner Stadtbezirk London Borough of Merton. 1997 wurde sie mit fast 50 Prozent der Wählerstimmen als Vertreterin des Wahlbezirks Maidenhead (westlich von London) ins Unterhaus gewählt. Dort konnte sie ihre Spitzenposition bei allen Wahlen behaupten. Bei der letzten Wahl erhielt sie sogar fast 60 Prozent der Stimmen.

2010 wurde sie Her Majesty's Principal Secretary of State for the Home Department, kurz: Home Secretary unter Premier David Cameron. Dieses Amt lässt sich am besten als „Innenministerin für England und Wales“ verstehen.  Dieses Amt übernimmt nun ebenfalls wieder eine Frau, und zwar die 1963 geborene Amber Rudd.

Theresa May hat es nicht immer einfach gehabt. Ihre Eltern sind früh gestorben, als Theresa noch eine junge Erwachsene war. Der Vater kam bei einem Autounfall ums Leben, die Mutter starb an Multipler Sklerose. Sie selbst leidet an Diabetes Typ 1. Dennoch macht sie auf ihre Parlamentarierkollegen einen energischen und selbstsicheren Eindruck.

Mit ihrer Amtsübernahme als britische Premierministerin in der Nachfolge von David Cameron am 11. Juli hat sie auch die Rolle des Parteivorsitzes für die Konservativen übernommen. Damit ist sie nun Kapitän an Bord des britischen Staatsschiffes. Man kann nur hoffen und ihrem Land wünschen, dass sie das Schiff in sichere Gewässer steuern wird.

Fazit: Theresa May hat eine schwierige Aufgabe übernommen. Doch sie hat schon jetzt bewiesen, dass sie für Überraschungen gut ist. Man sollte ihr unvoreingenommen entgegentreten und Zeit geben, ihre Politik zu entwickeln, bevor man sie voreilig in eine Schublade einordnet. Vorabtitulierungen wie zum Beispiel „Eiserne Lady“ sind verfrüht.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Karin Weber

Es wäre schön, wenn diese Frau den Europäern zeigt, wie gut es den UK-Bürgern nach dem Austritt geht. Das hätte Sogwirkung und die EU-Apparatschniks würden nicht mehr aus dem Zittern herauskommen.

Viel Erfolg, Frau May! Ein Land musste den ersten Schritt raus aus dem Irrsinn tun.

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