Steuerprotest

Kann Steuern sparen Sünde sein?

Steuerstaat und christliche Moral, wie verträgt sich das? Oft gar nicht gut, findet Dr. Georg Alfes.

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„Wer Steuern hinterzieht, verhält sich verantwortungslos oder gar asozial“. So hat es Bundespräsident Joachim Gauck im vergangenen Mai einem „Stern“-Redakteur in die Feder diktiert. Wikipedia, das bekanntlich ebenfalls alles weiß, ist über die Verwendung des „a-Wortes“ erstaunt: „Heute findet der Begriff im deutschen wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskurs sowie in der gehobenen Umgangssprache kaum mehr Verwendung“, erläutert das Online-Lexikon. „Aufgrund seiner belasteten Geschichte gilt er vielen als problematisch, mit ungewollten Assoziationen bestückt und somit als politisch nicht korrekt“. Doch alles muss seine Grenzen haben – auch die politische Korrektheit. Sie mag ja viele Gruppen in unserer Gesellschaft schützen oder gar begünstigen. Aber Leute, die ihre Steuern hinterziehen, schont sie ganz bestimmt nicht. Denn Steuerhinterzieher sind das Letzte! Unser Staat tut so viel Gutes – er subventioniert die Windkraft, betreut kleine Kinder und rettet nebenbei auch noch Griechenland. Was müssen das für Menschen sein, die sich dem mit Vorsatz entziehen?

Diese Frage stellen sich viele. Manche allerdings auch mit veränderten Vorzeichen. Darunter sind nicht wenige Christen. Sie verfügen ja über das Copyright auf den Begriff des „Steuersünders“. Deswegen steht es ihnen gut an, gelegentlich über seinen Inhalt nachzudenken. Auf den ersten Blick sind die Verhältnisse klar: Ein Steuersünder ist jemand, der seine Steuern nicht bezahlt, jedenfalls nicht vollständig. „Der Gehorsam gegenüber der Autorität und die Mitverantwortung für das Gemeinwohl machen es zu einer sittlichen Pflicht, Steuern zu zahlen“, stellt denn auch der Katechismus fest. Doch die christliche Moral ist differenzierter, als es gelegentlich den Anschein hat. Und so schränkt das Kompendium der Kirchenlehre ausdrücklich ein: „Der Bürger hat die Gewissenspflicht, die Vorschriften der staatlichen Autoritäten nicht zu befolgen, wenn diese Anordnungen den Forderungen der sittlichen Ordnung, den Grundrechten des Menschen oder den Weisungen des Evangeliums widersprechen“.

Das berühmte Jesus-Wort, man solle dem Kaiser geben, was des Kaisers sei, kann also nicht zur moralischen Legitimation unreflektierter Steuerentrichtung in jeder geforderten Höhe herangezogen werden. Vielmehr wird der Einzelne dazu ermahnt, genau zu überprüfen, ob die Verwendung der von ihm entrichteten Abgaben den vom Katechismus genannten Kriterien entspricht. Auf dieser Grundlage lässt sich der vom Staat beanspruchte Steuerbetrag in zwei Teile aufgliedern. Selbst wenn die öffentliche Gewalt in vielerlei Hinsicht ihre Zuständigkeit überschreite, sollten sich die Bürger „nicht weigern, das zu tun, was das Gemeinwohl objektiv verlangt“, betont die Kirche. Der Gläubige ist also stets verpflichtet, jenen Anteil an der ihm aufgebürdeten Steuerlast zu bezahlen, den der Staat zur Erfüllung seiner Aufgaben nachweislich benötigt. Zugleich haben die Christen (und alle Menschen guten Willens) jedoch auch „das Recht, ihre und ihrer Mitbürger Rechte gegen den Missbrauch der staatlichen Autorität zu verteidigen“. Ein geeignetes Instrument kann dabei der Einbehalt eines Teils der veranschlagten Steuersumme sein.

Selbst wenn es das wär, so wär‘s mir egal …

Nun ist dieser Überlegung vielfacher Widerspruch gewiss. Zunächst mag man argumentieren, dass die individuelle Verkürzung geforderter Steuern durch den einzelnen Steuerpflichtigen der Beliebigkeit Tür und Tor öffnet und chaotische Staatsfinanzen nach sich ziehen wird. Doch ein Blick ins Steuerrecht offenbart, dass die Regierenden Willkür und Wahllosigkeit auch ohne die Hilfe der Steuerzahler hinbekommen. Und was das Chaos in den öffentlichen Finanzen betrifft, so spricht eine staatliche Gesamtverschuldung von über zwei Billion Euro ihre eigene Sprache. Insofern kann das Individuum die angerichtete Malaise kaum vergrößern. Tatsächlich würde es durch die Überarbeitung des ihm zugesandten Steuerbescheids dem Gemeinwesen sogar Gutes tun: Hätte der Staat weniger Geld, könnte er weniger Schaden anrichten. Freiheitswillen und Verantwortungsbereitschaft der Menschen würden zu einer neuen Blüte gelangen, Familienzusammenhalt und Nachbarschaftshilfe würden gestärkt, und das gesellschaftliche Klima würde ganz anders, könnte man den Nächsten in Not nicht mehr kaltherzig auf das Sozialamt verweisen. Und auch der notorische Linke bekäme seine Zückerli: Weniger Staatseinnahmen bedeuteten weniger Polizeistaat und weniger Überwachung, weniger Militarismus und weniger Subventionen für die Großkonzerne.

Zudem ist zu erwarten, dass die Ernsthaftigkeit einer Gewissensentscheidung zur Steuerverkürzung in Frage gestellt werden wird. Von vornherein suggeriert bereits die deutsche Sprache eine unlautere Motivation, indem sie das Wort von der Steuerhinterziehung geprägt hat. Die negative Konnotation, die diesem Begriff anhaftet, erweckt ja den Eindruck, als würde der Einzelne dem Staat einen Geldbetrag vorenthalten, der objektiv ihm gehört – obwohl es in Wahrheit umgekehrt ist. Insofern wird dem Gewissenstäter nichts anderes übrigen bleiben, als das eingesparte Geld für wohltätige Zwecke zu verwenden – notfalls auch vor den Augen der Welt.

Aus christlicher Perspektive wird man schließlich noch anführen können, eine nicht korrekt ausgefüllte Steuererklärung widerspreche dem achten Gebot. „Du sollst nicht falsch gegen deinen Nächsten aussagen“, lautet es in der Fassung des Buches Exodus. „Du sollst nichts Falsches gegen deinen Nächsten aussagen“, heißt es im Buch Deuteronomium. Beiden Fassungen ist dabei der Bezug zu einem Gegenüber gemein, das nach dem Verständnis der Bibel immer personal zu verstehen ist. Im Verhältnis des Individuums zum Finanzamt gibt es aber keinen Nächsten: Der Person des Finanzbeamten hat es nichts auszusagen, und die Behörde, der gegenüber es Aussagen trifft, ist keine Person. Folglich ist das achte Gebot überhaupt nicht betroffen.

… lieber will ich sündigen mal, als ohne Zaster sein

Letztlich ist die Frage der Steuerverkürzung natürlich nicht nur eine moralische, sondern besitzt auch eine praktische Implikation: Wie kann ein entsprechendes Vorhaben gelingen? An dieser Stelle offenbart unser Staat wieder einmal eine Diskrepanz zwischen sozialem Reden und deutlich weniger sozialem Handeln. „In unserem Land darf es in rechtlichen und moralischen Fragen nicht zweierlei Standards geben, einen für die Starken und einen für die Schwachen“, postuliert Herr Gauck. „Niemand darf selbst entscheiden, ob er Steuern zahlt oder nicht". Doch tatsächlich ist genau dies der Fall: Während man dem Einkommensteuerzahler erhebliche Gestaltungsmöglichkeiten einräumt, bekommt der Lohnsteuerzahler die in Rede stehende Summe nicht einmal für einen kurzen Augenblick in die Hand. Doch im Grunde geschieht dies dem „kleinen Mann“ auch irgendwie Recht, kann es doch gleichsam wie eine Strafe erscheinen für seine moralische Verlogenheit: Als würde bloß der Top-Manager in großem Umfang Steuern abkürzen, während der brave Michel in seiner hehren Gesinnung den Vorgarten stets nur mit Rechnung pflastern lässt. Tatsächlich hinterzieht der Reiche nur deshalb viel, weil er es sich leisten kann. Der Arme dagegen verkürzt nur wenig, weil ihm für mehr schlicht die Mittel fehlen.

Kommen wir ein letztes Mal zurück auf die Christen, genauer gesagt auf die Kirche. Auch sie erhebt ja vermeintlich Steuern, wenn man dem allgemeinen Sprachgebrauch folgt. Tatsächlich ist die Kirchensteuer ein Mitgliedsbeitrag, den die staatlichen Behörden gegen Bezahlung von den Gläubigen eintreiben. Darf der Christ auch diese Summe in zwei Teile aufgliedern und den zweiten Teil bei sich behalten? Womöglich wird das geschulte Gewissen auch hier einen Liebesdienst verlangen und darauf drängen, die Kirche von der Last des Reichtums zu befreien. Denn das viele Geld infiziert sie mit dem Virus der Bürgerlichkeit. Es macht sie satt und behäbig und nimmt ihr die missionarische Kraft, derer sie und die Welt so dringend bedürfen.

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