Friedliche Oase in der Krisenregion

Jordanien: Modellstaat für Arabien?

Keine Region der Erde ist aktuell so von Konflikten zerrissen wie der Nahe und Mittlere Osten. Doch inmitten dieser Krisenregion blüht das Königreich Jordanien und kommt scheinbar mit allen Nachbarn gut aus, inklusive Israel.

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Der tägliche Blick in die Nachrichten bestätigt: Keine Region der Erde ist so von schwelenden oder offenen Konflikten geprägt wie der Nahe und Mittlere Osten. Syrien ist vom Bürgerkrieg gezeichnet: Alawiten stehen den Sunniten gegenüber, Araber gegen Kurden, Muslime gegen Christen und Jesiden, Assad-Anhänger gegen Oppositionelle. Im Irak ist es nicht besser. Nach dem Krieg gegen den Iran und den militärischen Konflikten mit den USA sowie einem schrecklichen Bürgerkrieg, der das Land konfessionell in Schiiten und Sunniten sowie ethnisch in Araber und Kurden gespalten hat, ist der Irak erneut in Aufruhr: In Bagdad und Basra wird seit Wochen demonstriert.

In der Türkei ist der Konflikt mit den Kurden nicht gelöst. Israel hat unsichere Grenzen und keine Aussöhnung mit den Palästinensern gefunden. Das sunnitische Saudi-Arabien fürchtet seine schiitische Minderheit am Golf. Saudi-Arabien und der Iran führen einen Stellvertreterkrieg im Jemen. Der Iran hat mit eigenen inneren Konflikten zu kämpfen, mischt sich gleichzeitig in Syrien, im Irak und im Libanon ein, indem er zum Beispiel die Hisbollah und die Al-Quds-Brigaden unterstützt. Und Ägypten? Das Land am Nil hat eine kuriose Achterbahnfahrt aus Revolution und Konterrevolution hinter sich und kämpft immer noch mit Armut, Überbevölkerung und islamistischen Fundamentalismus. Die Kopten fühlen sich nicht sicher am Nil.

Und dann ist da noch Jordanien. Was ist mit diesem kleinen Land zwischen Israel, Palästina, Syrien, Saudi-Arabien und dem Irak?

Jordanien: Insel der Ruhe im Meer der Konflikte

Als Jordanien 1946 unabhängig wurde, hatte das kleine Haschemitische Königreich nur rund eine halbe Million Einwohner. Heute sind es rund 10 Millionen! Viele davon haben Migrationshintergrund. Im Zuges des israelisch-arabischen Krieges von 1948 kamen viele Palästinenser vom Gebiet des heutigen Israel nach Jordanien. Die meisten haben sich gut integriert und gelten heute als Jordanier. 1967 kamen weitere Palästinenser hinzu. Rund die Hälfte aller Jordanier haben palästinensische Wurzeln. Hinzu kommen noch 1,8 Millionen Palästinenser hinzu, die noch keinen jordanischen Pass haben.

Während der Golfkriege und des Irakkrieges stand Jordanien stets auf der Seite des Irak, hat aber immer den diplomatischen Ausgleich mit den USA und Israel gesucht. Das war jeweils ein riskantes Spiel, das der damalige König Hussein hervorragend gespielt hat, um sein Land durch die gefährliche Zeit zu manövrieren. Die Folge: Mehr als eine Million Iraker sind nach Jordanien geflüchtet, um dort Sicherheit zu finden.

Auch der Syrienkrieg hat Jordanien betroffen: Rund 1,2 Millionen Syrer sind über die Grenze nach Jordanien geflohen. Darunter auch hunderttausende Christen sowie ethnische Minderheiten. Allein 150.000 assyrische Christen haben in Jordanien Zuflucht gefunden. Hinzu kommen zehntausende Kurden. Auch aus dem Jemen und aus dem Sudan wurden viele Flüchtlinge und Migranten aufgenommen.

Schließlich gibt es noch die Gastarbeiter: Rund eine halbe Million legale und mehr als eine Million illegale Gastarbeiter aus anderen arabischen Ländern, vornehmlich aus Palästina und Ägypten, arbeiten in Jordanien.

In der Summe kommt man auf 10 Millionen Einwohner Jordaniens, von denen nur eine Minderheit autochthone Jordanier sind. Trotz dieser Diversität kommt es in Jordanien nicht zu den Konflikten, wie wir sie aus dem Libanon, dem Irak, Syrien oder dem Jemen kennen. Auch religiöse Minderheiten fühlen sich sicher. In Amman sieht man zwischen den Moscheen eine Vielzahl von Kirchen aller christlichen Konfessionen. 

Jordanien ist zu einem arabischen Modellstaat geworden

So sehr die Vielfalt auf den ersten Blick nach Multikulti aussieht, so sehr täuscht der Eindruck. Die Syrer, Libanesen, Iraker und Ägypter, die Jordanien leben, sind in der großen Mehrheit Araber (d.h. arabischsprachig) und sunnitische Muslime. Schiiten und Alawiten gibt es kaum. Daher fällt die große konfessionelle Spaltung weg, die Syrien, dem Irak und dem Libanon zu schaffen macht.

Was die Palästinenser angeht: Sie und die autochthonen Jordanier sind sprachlich, historisch und ethnisch nahezu ein und dasselbe Volk, nur geographisch durch den Jordan getrennt. Immerhin gehörte auch das Westjordanland zwischen 1948 und 1967 zu Jordanien, so dass hier eine große Überschneidung vorliegt. Viele Jordanier haben Verwandte in Palästina (d.h. geographisch Israel, Gaza oder Westbank) und umgekehrt.

Insofern ist Jordanien also trotz seiner Vielfalt und seiner großen Zahl an Migranten relativ homogen: Die Mehrheit kann sich als sunnitische Araber schnell mit der jordanischen Staatsbürgerschaft identifizieren. Es ist ein bisschen so, als würden Bayern, Schweizer, Baden-Württemberger und Österreicher näher aneinander rücken. Große kulturelle Unterschiede gibt es nur bedingt.

Wohlstand ohne Öl

Jordanien ist nicht reich. Es hat keine großen Erdölvorkommen wie Saudi-Arabien, Kuwait, die Vereinigten Arabischen Emirate (Dubai und Abu Dhabi) oder der Irak. Ressourcen hat Jordanien wenig, wenn man von den Phosphatvorkommen am Toten Meer absieht. Die Landwirtschaft beschränkte sich auf den Nordwesten des Landes, dem levantinischen Teil. Der östliche und südöstliche Teil des Landes ist Wüste und Steppe. Hier gedeiht nur die Kamel- und Ziegenzucht.

Und dennoch ist Jordanien nicht arm. Der Jordanische Dinar ist eine starke Währung. Der mittlere Lebensstandard der Jordanier ist höher als in Ägypten oder Syrien. Die Straßen in Amman sind weniger chaotisch als in Kairo. Es gibt Flüchtlingsghettos, aber keine Slums wie in den Vororten von Kairo oder Alexandria. Viele Syrer, Libanesen, Palästinenser und Ägypter kommen gerne als Gastarbeiter nach Jordanien.

Die wichtigsten Einnahmequellen sind der Tourismus und der Handel. Jordaniens Hauptstadt Amman ist zu einer florierenden Handelsmetropole geworden. Hier treffen sich zahlreiche Handelsrouten.

Beliebter König

Heute regiert König Abdullah II. Er ist sehr beliebt. Die Regierung wird demokratisch gewählt. Es ist also eine konstitutionelle Monarchie. Aber der König greift oft wie eine Art Volkstribun ins Geschehen ein, löst gegebenenfalls die Regierung auf und verlangt Neuwahlen, um dem Bürgerwillen entgegenzukommen, wenn diese mit der Regierung unzufrieden sind.

Auch wenn hinsichtlich der Menschenrechte und Pressefreiheit keine westlichen Standards vorherrschen, so ist Jordanien wesentlich offener und demokratischer als fast alle anderen arabischen Staaten der Region und der arabischen Halbinsel.

Jordanien hat es geschafft, die Monarchie als Stütze der Gesellschaft zu erhalten und trotzdem demokratische Strukturen einzuführen. Davon sind Saudi-Arabien und die Golfstaaten (Kuwait, Bahrain, Vereinigte Emirate, Katar) noch sehr weit entfernt. Dort herrschen die Monarchen nahezu absolut.

Friede mit Israel, internationale Kooperation

Jordanien hat nach zwei Kriegen (1948 und 1967) Schritt für Schritt den Frieden und die Aussöhnung mit Israel gesucht und gefunden. 1994 haben die beiden einen Friedensvertrag unterschrieben. Das war ein riesiger Schritt, wenn man bedenkt, dass die Mehrheit der jordanischen Bevölkerung palästinensische Wurzeln hat.

Mit den USA, Großbritannien und auch Deutschland hat Jordanien ein gutes wirtschaftliches und diplomatisches Verhältnis. Fast scheint es, als ob das kleine Königreich mit nahezu Jedem gut auskommt.

Die Zahl terroristischer Anschläge hält sich in engen Grenzen. Hundertprozentig sicher ist man zwar in Jordanien nicht. Aber im Vergleich zu Syrien oder dem Irak ist die Gefahr, Opfer eines Anschlags zu werden, verschwindend gering.

Was lässt sich daraus lernen?

Jordanien ist sicher kein perfektes Land. Aber man kann das kleine Königreich als Modell für die arabische Welt bezeichnen. Dort gelingt, was anderswo scheitert: Wohlstand ohne Erdöl, Frieden trotz zahlreicher Migranten. In Jordanien werden unterschiedliche arabische (Teil-)Ethnien zu einer neuen jordanisch-arabischen Nation zusammengeschweißt. Es bleibt zu hoffen, dass dies weiterhin so erfolgreich fortgeführt und der Frieden bewahrt wird. Sonst kommt die nächste Flüchtlingswelle.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Maria B.

Als ich vo 10 Jahren in Jordanien war, bei christlichen Gruppen und in der UNI der Stadt (Irbid) bei dem Dekan, der in Deutschland studiert hatte, hieß es: Wir sind in Sorge, dass unsere Freiheit zur Religionsausübung eingeschränkt wird. (Neue Kirchen zu bauen, war möglich.)Die Islamisten bedrängen die Regierung. Es wird enger.
So ist es gekommen, aber nicht so stark wie befürchtet.
Es ist ein ständiger Kampf, von den Freiheiten haben auch die Moslems profitiert.

Gravatar: Warszawski

Jordanien ist ein failed state ohne historische Grundlage. Jordanien wird wegen seiner Unwichtigkeit von seinen Nachbarn geduldet.

[Anm. d. Redaktion: Alle modernen Staaten der Levante sind ohne historische Grundlage, sondern in der Folge des Sykes-Picot-Abkommens auf dem Reißbrett entworfen worden.]

Gravatar: Ekkehardt Fritz Beyer

... „Was lässt sich daraus lernen?
Jordanien ist sicher kein perfektes Land. Aber man kann das kleine Königreich als Modell für die arabische Welt bezeichnen. Dort gelingt, was anderswo scheitert: Wohlstand ohne Erdöl, Frieden trotz zahlreicher Migranten.“ ...

Im Gegensatz zum Weltmusterland, das sich - seitdem es unter göttlichem(?) Diktat steht – wohl auch deshalb zum dies bzgl. Schlusslicht wandelte
https://www.abendblatt.de/wirtschaft/article106845095/Deutschland-vom-Musterland-zum-Schlusslicht.html,
weil die Allmächtige(?) inzwischen auch im Krieg mit ganz Europa steht???
https://www.t-online.de/nachrichten/ausland/eu/id_51713234/angela-merkel-geraet-wegen-euro-politik-massiv-in-die-kritik.html

Gravatar: Sebastian K

Kann dem Tenor des Artikels nicht zustimmen. Tatsächlich ist Jordanien über den Friedensvertrag mit Israel unglücklich und möchte die diplomatischen Beziehungen lieber heute als morgen wieder aufgeben: http://www.israelnationalnews.com/News/News.aspx/272113
Dies trotz der massiven finanziellen Unterstützung aus USA, EU und Israel (Wasser, Erdgas). Demographisch ist die jordanische Situation unruhig. Bis zu seiner Ergreifung hatte Saddam Hussein in Jordanien starke Unterstützung. Mit Ausnahme von Qatar sind Golf-Staaten und Saudi-Arabien dem Westen mehr zugeneigt. Mag sein die Türkei ist ein unsicherer Kantonist von wegen Incirlik, S-400 und so weiter. Aber Jordanien ist kein Deut besser.

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